Kleinen wie rasend im Zimmer umherflog. Ludovica preßte die Lippen zusammen und schlug mit aller Macht in die Tasten. Plötzlich jedoch hielt sie inne und drückte, in ein lautes Schluch¬ zen ausbrechend, die Hände vor das Antlitz. Alexis stampfte den Boden und blickte mit schlecht verhehltem Aerger nach ihr hin. Die Kleine zog die Brauen empor; Anna ging hinaus. Es war ein peinlicher, häßlicher Moment und ich hätte am liebsten nach meinem Hute gegriffen und mich still entfernt. Ludovica schien es zu bemerken. Sie stand auf und trat mir entgegen. "Stoßen Sie sich nicht daran, ich bitte", sagte sie. "Es ist nichts; ein plötzlicher Weinkrampf. Das Geigenspielen greift die Nerven fürchterlich an. Ich habe oft solche Zufälle."
Inzwischen war unter der Obsorge Anna's ein einfaches Mahl aufgetragen worden, an das wir verstimmt und einsilbig gingen. Berger und Alexis versuchten hin und wieder ein scherzhaftes Wort; aber es schlug nicht durch. Endlich war es Zeit, mich zu empfehlen. Ludovica zeigte sich beim Abschied zurückhaltend und zerstreut; Alexis jedoch überbot sich an Herz¬ lichkeit. "Es freut mich außerordentlich, Sie kennen gelernt zu haben", sagte er. "Ich hoffe", fuhr er mit einem raschen Blicke auf Ludovica fort, "Sie recht oft hier zu treffen." Un¬ ten am Thore athmete ich auf und trank in langen Zügen die klare Frühlingsnachtluft ein. Es stand bei mir fest, diese Schwelle nie mehr zu betreten. --
Aber der Mensch ist ein seltsames Geschöpf. Nachdem
Kleinen wie raſend im Zimmer umherflog. Ludovica preßte die Lippen zuſammen und ſchlug mit aller Macht in die Taſten. Plötzlich jedoch hielt ſie inne und drückte, in ein lautes Schluch¬ zen ausbrechend, die Hände vor das Antlitz. Alexis ſtampfte den Boden und blickte mit ſchlecht verhehltem Aerger nach ihr hin. Die Kleine zog die Brauen empor; Anna ging hinaus. Es war ein peinlicher, häßlicher Moment und ich hätte am liebſten nach meinem Hute gegriffen und mich ſtill entfernt. Ludovica ſchien es zu bemerken. Sie ſtand auf und trat mir entgegen. „Stoßen Sie ſich nicht daran, ich bitte“, ſagte ſie. „Es iſt nichts; ein plötzlicher Weinkrampf. Das Geigenſpielen greift die Nerven fürchterlich an. Ich habe oft ſolche Zufälle.“
Inzwiſchen war unter der Obſorge Anna's ein einfaches Mahl aufgetragen worden, an das wir verſtimmt und einſilbig gingen. Berger und Alexis verſuchten hin und wieder ein ſcherzhaftes Wort; aber es ſchlug nicht durch. Endlich war es Zeit, mich zu empfehlen. Ludovica zeigte ſich beim Abſchied zurückhaltend und zerſtreut; Alexis jedoch überbot ſich an Herz¬ lichkeit. „Es freut mich außerordentlich, Sie kennen gelernt zu haben“, ſagte er. „Ich hoffe“, fuhr er mit einem raſchen Blicke auf Ludovica fort, „Sie recht oft hier zu treffen.“ Un¬ ten am Thore athmete ich auf und trank in langen Zügen die klare Frühlingsnachtluft ein. Es ſtand bei mir feſt, dieſe Schwelle nie mehr zu betreten. —
Aber der Menſch iſt ein ſeltſames Geſchöpf. Nachdem
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Kleinen wie raſend im Zimmer umherflog. Ludovica preßte
die Lippen zuſammen und ſchlug mit aller Macht in die Taſten.
Plötzlich jedoch hielt ſie inne und drückte, in ein lautes Schluch¬
zen ausbrechend, die Hände vor das Antlitz. Alexis ſtampfte
den Boden und blickte mit ſchlecht verhehltem Aerger nach ihr
hin. Die Kleine zog die Brauen empor; Anna ging hinaus.
Es war ein peinlicher, häßlicher Moment und ich hätte am
liebſten nach meinem Hute gegriffen und mich ſtill entfernt.
Ludovica ſchien es zu bemerken. Sie ſtand auf und trat mir
entgegen. „Stoßen Sie ſich nicht daran, ich bitte“, ſagte ſie.
„Es iſt nichts; ein plötzlicher Weinkrampf. Das Geigenſpielen
greift die Nerven fürchterlich an. Ich habe oft ſolche Zufälle.“
Inzwiſchen war unter der Obſorge Anna's ein einfaches
Mahl aufgetragen worden, an das wir verſtimmt und einſilbig
gingen. Berger und Alexis verſuchten hin und wieder ein
ſcherzhaftes Wort; aber es ſchlug nicht durch. Endlich war
es Zeit, mich zu empfehlen. Ludovica zeigte ſich beim Abſchied
zurückhaltend und zerſtreut; Alexis jedoch überbot ſich an Herz¬
lichkeit. „Es freut mich außerordentlich, Sie kennen gelernt
zu haben“, ſagte er. „Ich hoffe“, fuhr er mit einem raſchen
Blicke auf Ludovica fort, „Sie recht oft hier zu treffen.“ Un¬
ten am Thore athmete ich auf und trank in langen Zügen
die klare Frühlingsnachtluft ein. Es ſtand bei mir feſt, dieſe
Schwelle nie mehr zu betreten. —
Aber der Menſch iſt ein ſeltſames Geſchöpf. Nachdem
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Saar, Ferdinand von: Novellen aus Österreich. Heidelberg, 1877, S. 215. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/saar_novellen_1877/231>, abgerufen am 17.02.2025.
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