werden -- und in dieser Zwischenzeit kam er in unser Haus. Ich zählte damals kaum sechszehn Jahre; meine Schwester Anna war bedeutend jünger; Mimi noch ganz klein. Seine außer¬ ordentliche Schönheit, sein stolzes und doch geschmeidiges Wesen, das Feuer seiner Blicke und Worte, mit welchen er mir als¬ bald eine lebhafte Neigung verrieth, nahmen mein eben auf¬ keimendes Herz derart gefangen, daß ich in kürzester Zeit mit Leib und Seele sein eigen war. Weit entfernt, das Verderb¬ liche eines solchen Verhältnisses damals auch nur zu ahnen, konnte ich mich um so mehr ganz diesem süßen Rausche über¬ lassen, als unsere Mutter früh gestorben war und mein Vater, welcher in solchen Dingen, wie ich jetzt erkenne, eine unglaub¬ liche Kurzsichtigkeit besaß, mich gar nicht überwachte. Eines Tages erschien Alexis plötzlich in glänzender Uniform und theilte mir mit, daß ihn seine Eltern bestimmt hätten, in den Militärstand zu treten. Er habe denn auch gleich eine Offi¬ ziersstelle in der Kavallerie erhalten und müsse nun zu seinem Regimente nach Ungarn abgehen. Das war unsere erste Trennung. Da wir aber täglich die glühendsten Briefe wech¬ selten und mein Geliebter, so oft es nur anging, hieher kam, so empfand ich dieselbe keineswegs schmerzlich; ja sie erhöhte vielleicht noch den Reiz unserer Liebe. Sogar als die Briefe, die ich von Alexis erhielt, kürzer und seltener wurden und er selbst nicht mehr so oft erschien, wurde das Gleichgewicht mei¬ ner Seele nicht erschüttert. Ich war gewiß, daß nur äußere
werden — und in dieſer Zwiſchenzeit kam er in unſer Haus. Ich zählte damals kaum ſechszehn Jahre; meine Schweſter Anna war bedeutend jünger; Mimi noch ganz klein. Seine außer¬ ordentliche Schönheit, ſein ſtolzes und doch geſchmeidiges Weſen, das Feuer ſeiner Blicke und Worte, mit welchen er mir als¬ bald eine lebhafte Neigung verrieth, nahmen mein eben auf¬ keimendes Herz derart gefangen, daß ich in kürzeſter Zeit mit Leib und Seele ſein eigen war. Weit entfernt, das Verderb¬ liche eines ſolchen Verhältniſſes damals auch nur zu ahnen, konnte ich mich um ſo mehr ganz dieſem ſüßen Rauſche über¬ laſſen, als unſere Mutter früh geſtorben war und mein Vater, welcher in ſolchen Dingen, wie ich jetzt erkenne, eine unglaub¬ liche Kurzſichtigkeit beſaß, mich gar nicht überwachte. Eines Tages erſchien Alexis plötzlich in glänzender Uniform und theilte mir mit, daß ihn ſeine Eltern beſtimmt hätten, in den Militärſtand zu treten. Er habe denn auch gleich eine Offi¬ ziersſtelle in der Kavallerie erhalten und müſſe nun zu ſeinem Regimente nach Ungarn abgehen. Das war unſere erſte Trennung. Da wir aber täglich die glühendſten Briefe wech¬ ſelten und mein Geliebter, ſo oft es nur anging, hieher kam, ſo empfand ich dieſelbe keineswegs ſchmerzlich; ja ſie erhöhte vielleicht noch den Reiz unſerer Liebe. Sogar als die Briefe, die ich von Alexis erhielt, kürzer und ſeltener wurden und er ſelbſt nicht mehr ſo oft erſchien, wurde das Gleichgewicht mei¬ ner Seele nicht erſchüttert. Ich war gewiß, daß nur äußere
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werden — und in dieſer Zwiſchenzeit kam er in unſer Haus.
Ich zählte damals kaum ſechszehn Jahre; meine Schweſter Anna
war bedeutend jünger; Mimi noch ganz klein. Seine außer¬
ordentliche Schönheit, ſein ſtolzes und doch geſchmeidiges Weſen,
das Feuer ſeiner Blicke und Worte, mit welchen er mir als¬
bald eine lebhafte Neigung verrieth, nahmen mein eben auf¬
keimendes Herz derart gefangen, daß ich in kürzeſter Zeit mit
Leib und Seele ſein eigen war. Weit entfernt, das Verderb¬
liche eines ſolchen Verhältniſſes damals auch nur zu ahnen,
konnte ich mich um ſo mehr ganz dieſem ſüßen Rauſche über¬
laſſen, als unſere Mutter früh geſtorben war und mein Vater,
welcher in ſolchen Dingen, wie ich jetzt erkenne, eine unglaub¬
liche Kurzſichtigkeit beſaß, mich gar nicht überwachte. Eines
Tages erſchien Alexis plötzlich in glänzender Uniform und
theilte mir mit, daß ihn ſeine Eltern beſtimmt hätten, in den
Militärſtand zu treten. Er habe denn auch gleich eine Offi¬
ziersſtelle in der Kavallerie erhalten und müſſe nun zu ſeinem
Regimente nach Ungarn abgehen. Das war unſere erſte
Trennung. Da wir aber täglich die glühendſten Briefe wech¬
ſelten und mein Geliebter, ſo oft es nur anging, hieher kam,
ſo empfand ich dieſelbe keineswegs ſchmerzlich; ja ſie erhöhte
vielleicht noch den Reiz unſerer Liebe. Sogar als die Briefe,
die ich von Alexis erhielt, kürzer und ſeltener wurden und er
ſelbſt nicht mehr ſo oft erſchien, wurde das Gleichgewicht mei¬
ner Seele nicht erſchüttert. Ich war gewiß, daß nur äußere
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Saar, Ferdinand von: Novellen aus Österreich. Heidelberg, 1877, S. 219. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/saar_novellen_1877/235>, abgerufen am 23.11.2024.
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