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Saar, Ferdinand von: Novellen aus Österreich. Heidelberg, 1877.

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darin, an dessen röthlich-grauem Mauerwerke einige hohe Flie¬
derbüsche in voller Blüthe standen, was sich ebenso lieblich
als überraschend ausnahm. Selbst zwei verkrüppelte Obst¬
bäume hatten sich in dieses entlegene Werk verirrt. Sie wur¬
zelten dicht an der Brustwehr und streckten ihre knorrigen
Aeste über eine Kanone, die wie vergessen zwischen ihnen stand
und die Mündung harmlos in die sonnige Gegend hinaus¬
richtete. Tief unten, an den freundlichen Häusern von Podol
und an den bröckelnden Mauerresten der Libussaburg vorüber,
zog die Moldau schimmernd nach dem braunen, rauchaufwir¬
belnden Häusermeere der alten böhmischen Königsstadt. Von
dort her grüßte mit funkelnden Zinnen der Hradschin, wäh¬
rend stromaufwärts, über die ansteigenden, wohlbebauten Ufer
hinweg, sich eine weite Landschaft aufthat und endlich in dem
fernen Dufte der Königsaaler Berge verschwamm.

Ich war von dieser reizenden Einsamkeit zu sehr ange¬
muthet, als daß ich sobald daran gedacht hätte, sie wieder zu
verlassen; ich sah mich vielmehr nach einer schattigen Stelle
um, wo ich mich, bequem hingestreckt, ganz in den eigenthüm¬
lichen Zauber des Ortes und der Fernsicht versenken konnte.
Eine solche bot sich mir alsbald in der Nähe des Blockhauses
dar, wo sich die Zweige zweier nachbarlichen Fliederbüsche zu
einer Art Laube wölbten. Auch kam mir dort, als ich mich
niederließ, eine muldenförmige Vertiefung im Erdreiche, wel¬
ches mit kurzem, aber dichtem Grase bewachsen war, vortrefflich

darin, an deſſen röthlich-grauem Mauerwerke einige hohe Flie¬
derbüſche in voller Blüthe ſtanden, was ſich ebenſo lieblich
als überraſchend ausnahm. Selbſt zwei verkrüppelte Obſt¬
bäume hatten ſich in dieſes entlegene Werk verirrt. Sie wur¬
zelten dicht an der Bruſtwehr und ſtreckten ihre knorrigen
Aeſte über eine Kanone, die wie vergeſſen zwiſchen ihnen ſtand
und die Mündung harmlos in die ſonnige Gegend hinaus¬
richtete. Tief unten, an den freundlichen Häuſern von Podol
und an den bröckelnden Mauerreſten der Libuſſaburg vorüber,
zog die Moldau ſchimmernd nach dem braunen, rauchaufwir¬
belnden Häuſermeere der alten böhmiſchen Königsſtadt. Von
dort her grüßte mit funkelnden Zinnen der Hradſchin, wäh¬
rend ſtromaufwärts, über die anſteigenden, wohlbebauten Ufer
hinweg, ſich eine weite Landſchaft aufthat und endlich in dem
fernen Dufte der Königſaaler Berge verſchwamm.

Ich war von dieſer reizenden Einſamkeit zu ſehr ange¬
muthet, als daß ich ſobald daran gedacht hätte, ſie wieder zu
verlaſſen; ich ſah mich vielmehr nach einer ſchattigen Stelle
um, wo ich mich, bequem hingeſtreckt, ganz in den eigenthüm¬
lichen Zauber des Ortes und der Fernſicht verſenken konnte.
Eine ſolche bot ſich mir alsbald in der Nähe des Blockhauſes
dar, wo ſich die Zweige zweier nachbarlichen Fliederbüſche zu
einer Art Laube wölbten. Auch kam mir dort, als ich mich
niederließ, eine muldenförmige Vertiefung im Erdreiche, wel¬
ches mit kurzem, aber dichtem Graſe bewachſen war, vortrefflich

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[8/0024] darin, an deſſen röthlich-grauem Mauerwerke einige hohe Flie¬ derbüſche in voller Blüthe ſtanden, was ſich ebenſo lieblich als überraſchend ausnahm. Selbſt zwei verkrüppelte Obſt¬ bäume hatten ſich in dieſes entlegene Werk verirrt. Sie wur¬ zelten dicht an der Bruſtwehr und ſtreckten ihre knorrigen Aeſte über eine Kanone, die wie vergeſſen zwiſchen ihnen ſtand und die Mündung harmlos in die ſonnige Gegend hinaus¬ richtete. Tief unten, an den freundlichen Häuſern von Podol und an den bröckelnden Mauerreſten der Libuſſaburg vorüber, zog die Moldau ſchimmernd nach dem braunen, rauchaufwir¬ belnden Häuſermeere der alten böhmiſchen Königsſtadt. Von dort her grüßte mit funkelnden Zinnen der Hradſchin, wäh¬ rend ſtromaufwärts, über die anſteigenden, wohlbebauten Ufer hinweg, ſich eine weite Landſchaft aufthat und endlich in dem fernen Dufte der Königſaaler Berge verſchwamm. Ich war von dieſer reizenden Einſamkeit zu ſehr ange¬ muthet, als daß ich ſobald daran gedacht hätte, ſie wieder zu verlaſſen; ich ſah mich vielmehr nach einer ſchattigen Stelle um, wo ich mich, bequem hingeſtreckt, ganz in den eigenthüm¬ lichen Zauber des Ortes und der Fernſicht verſenken konnte. Eine ſolche bot ſich mir alsbald in der Nähe des Blockhauſes dar, wo ſich die Zweige zweier nachbarlichen Fliederbüſche zu einer Art Laube wölbten. Auch kam mir dort, als ich mich niederließ, eine muldenförmige Vertiefung im Erdreiche, wel¬ ches mit kurzem, aber dichtem Graſe bewachſen war, vortrefflich

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Zitationshilfe: Saar, Ferdinand von: Novellen aus Österreich. Heidelberg, 1877, S. 8. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/saar_novellen_1877/24>, abgerufen am 29.04.2024.