Saar, Ferdinand von: Novellen aus Österreich. Heidelberg, 1877.sich gar nicht vorstellen, wie schön, wie bezaubernd sie war. "Nun also --" sagte ich. "Und dennoch -- dennoch liebe ich sie nicht mehr, kann "Diese Bezeichnung ist vielleicht nicht übel gewählt", er¬ Er schnellte, wie an einer Wunde berührt, vom Sitze ſich gar nicht vorſtellen, wie ſchön, wie bezaubernd ſie war. „Nun alſo —“ ſagte ich. „Und dennoch — dennoch liebe ich ſie nicht mehr, kann „Dieſe Bezeichnung iſt vielleicht nicht übel gewählt“, er¬ Er ſchnellte, wie an einer Wunde berührt, vom Sitze <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0245" n="229"/> ſich gar nicht vorſtellen, wie ſchön, wie bezaubernd ſie war.<lb/> Ihre Augen, ihr Wuchs, ihre Hände und Füße — und ſie<lb/> iſt jetzt noch ſchön und dabei ein gutes, vortreffliches Weſen<lb/> — keine ihrer Schweſtern kann eigentlich nur im entfernteſten<lb/> mit ihr verglichen werden —“</p><lb/> <p>„Nun alſo —“ ſagte ich.</p><lb/> <p>„Und dennoch — dennoch liebe ich ſie nicht mehr, kann<lb/> ſie nicht mehr lieben! Sie iſt immer dieſelbe; immer die<lb/> gleiche Hingebung, die gleiche Zärtlichkeit; immer die näm¬<lb/> lichen ſanften Anſprüche. Dieſe Monotonie wirkt nachgerade<lb/> erdrückend. Sehen Sie, da iſt ihre Schweſter Mimi — ein<lb/> launenhaftes, bizarres Geſchöpf. Aber voll Geiſt, voll Witz,<lb/> voll Leben — ein reizender kleiner Teufel.“</p><lb/> <p>„Dieſe Bezeichnung iſt vielleicht nicht übel gewählt“, er¬<lb/> wiederte ich ruhig. — „Aber gibt Ihnen das ein Recht, ein<lb/> Weib zu verlaſſen, das mit inniger Liebe und Treue an Ihnen<lb/> hängt — das Ihnen Alles geopfert?“</p><lb/> <p>Er ſchnellte, wie an einer Wunde berührt, vom Sitze<lb/> empor. „Ja“, rief er, im Zimmer auf und ab eilend, „ja,<lb/> ſie hat mir viel, hat mir Alles geopfert. Ich weiß, was Sie<lb/> meinen. Aber warum that ſie es?! Ich hab' es nicht gefor¬<lb/> dert. Sie hätte mich meinem Schickſale überlaſſen ſollen.<lb/> Und dann — ich habe Alles geordnet, Alles beglichen, was<lb/> ſie von jener Zeit her noch bedrücken, noch beunruhigen könnte.<lb/> Ich habe ihr die glänzendſten Anerbietungen gemacht. Aber<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [229/0245]
ſich gar nicht vorſtellen, wie ſchön, wie bezaubernd ſie war.
Ihre Augen, ihr Wuchs, ihre Hände und Füße — und ſie
iſt jetzt noch ſchön und dabei ein gutes, vortreffliches Weſen
— keine ihrer Schweſtern kann eigentlich nur im entfernteſten
mit ihr verglichen werden —“
„Nun alſo —“ ſagte ich.
„Und dennoch — dennoch liebe ich ſie nicht mehr, kann
ſie nicht mehr lieben! Sie iſt immer dieſelbe; immer die
gleiche Hingebung, die gleiche Zärtlichkeit; immer die näm¬
lichen ſanften Anſprüche. Dieſe Monotonie wirkt nachgerade
erdrückend. Sehen Sie, da iſt ihre Schweſter Mimi — ein
launenhaftes, bizarres Geſchöpf. Aber voll Geiſt, voll Witz,
voll Leben — ein reizender kleiner Teufel.“
„Dieſe Bezeichnung iſt vielleicht nicht übel gewählt“, er¬
wiederte ich ruhig. — „Aber gibt Ihnen das ein Recht, ein
Weib zu verlaſſen, das mit inniger Liebe und Treue an Ihnen
hängt — das Ihnen Alles geopfert?“
Er ſchnellte, wie an einer Wunde berührt, vom Sitze
empor. „Ja“, rief er, im Zimmer auf und ab eilend, „ja,
ſie hat mir viel, hat mir Alles geopfert. Ich weiß, was Sie
meinen. Aber warum that ſie es?! Ich hab' es nicht gefor¬
dert. Sie hätte mich meinem Schickſale überlaſſen ſollen.
Und dann — ich habe Alles geordnet, Alles beglichen, was
ſie von jener Zeit her noch bedrücken, noch beunruhigen könnte.
Ich habe ihr die glänzendſten Anerbietungen gemacht. Aber
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