Saar, Ferdinand von: Novellen aus Österreich. Heidelberg, 1877.Sie -- und auch keinen Anderen. Mimi gehört zu den Frauen, Er schritt langsam zu seinem Stuhl und setzte sich wieder. "Ich bin nicht in der Absicht hiehergekommen", fuhr ich, Sie — und auch keinen Anderen. Mimi gehört zu den Frauen, Er ſchritt langſam zu ſeinem Stuhl und ſetzte ſich wieder. „Ich bin nicht in der Abſicht hiehergekommen“, fuhr ich, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0247" n="231"/> Sie — und auch keinen Anderen. Mimi gehört zu den Frauen,<lb/> die erſt dann lieben, wenn ſie ſelbſt nicht mehr fähig ſind,<lb/> Liebe zu erwecken.“</p><lb/> <p>Er ſchritt langſam zu ſeinem Stuhl und ſetzte ſich wieder.<lb/> Schweigend, mit geſenktem Haupte ſchien er einem geheimni߬<lb/> vollen Echo zu lauſchen, das meine Worte in ſeinem Innern<lb/> wachgerufen. Er mußte bereits ſelbſt ſchwer und oft gezwei¬<lb/> felt haben und kämpfte jetzt mit ſeinen Gedanken.</p><lb/> <p>„Ich bin nicht in der Abſicht hiehergekommen“, fuhr ich,<lb/> mich ihm nähernd, fort, „Gluthen anzufachen, die erloſchen<lb/> ſind: das vermag keine Macht der Erde. Aber laſſen Sie<lb/> uns offen mit einander reden. Was Sie an Mimi feſſelt, iſt<lb/> die Macht ihrer jugendlichen Reize. Sie finden bei ihr Freu¬<lb/> den und Genüſſe, die Ihnen Ludovica nicht mehr zu bieten<lb/> vermag. Allein bedenken Sie, daß das Daſein nicht blos im<lb/> Genießen beſteht, daß wir auch zu entbehren und ſo manches<lb/> Opfer uns ſelbſt und Anderen zu bringen haben. Bedenken<lb/> Sie, daß es Pflichten gibt, die, ſofern ſie nicht mit unſerem<lb/> beſſeren Ich im Widerſpruche ſtehen, unter allen Umſtänden<lb/> erfüllt werden müſſen. Erkennen Sie, daß man eine Ver¬<lb/> gangenheit nicht ſo leicht abſchüttelt wie ein Kleid, das man<lb/> wechſelt. Und welchen Tauſch wollen Sie treffen? <hi rendition="#g">Hier</hi><lb/> ein Weib, ſanft und zärtlich, voll Hingebung und Treue; zu¬<lb/> frieden, mit Ihnen in ein und derſelben Luft athmen zu kön¬<lb/> nen; <hi rendition="#g">dort</hi> ein Geſchöpf, mehr ſtachelnd als anziehend; zwar<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [231/0247]
Sie — und auch keinen Anderen. Mimi gehört zu den Frauen,
die erſt dann lieben, wenn ſie ſelbſt nicht mehr fähig ſind,
Liebe zu erwecken.“
Er ſchritt langſam zu ſeinem Stuhl und ſetzte ſich wieder.
Schweigend, mit geſenktem Haupte ſchien er einem geheimni߬
vollen Echo zu lauſchen, das meine Worte in ſeinem Innern
wachgerufen. Er mußte bereits ſelbſt ſchwer und oft gezwei¬
felt haben und kämpfte jetzt mit ſeinen Gedanken.
„Ich bin nicht in der Abſicht hiehergekommen“, fuhr ich,
mich ihm nähernd, fort, „Gluthen anzufachen, die erloſchen
ſind: das vermag keine Macht der Erde. Aber laſſen Sie
uns offen mit einander reden. Was Sie an Mimi feſſelt, iſt
die Macht ihrer jugendlichen Reize. Sie finden bei ihr Freu¬
den und Genüſſe, die Ihnen Ludovica nicht mehr zu bieten
vermag. Allein bedenken Sie, daß das Daſein nicht blos im
Genießen beſteht, daß wir auch zu entbehren und ſo manches
Opfer uns ſelbſt und Anderen zu bringen haben. Bedenken
Sie, daß es Pflichten gibt, die, ſofern ſie nicht mit unſerem
beſſeren Ich im Widerſpruche ſtehen, unter allen Umſtänden
erfüllt werden müſſen. Erkennen Sie, daß man eine Ver¬
gangenheit nicht ſo leicht abſchüttelt wie ein Kleid, das man
wechſelt. Und welchen Tauſch wollen Sie treffen? Hier
ein Weib, ſanft und zärtlich, voll Hingebung und Treue; zu¬
frieden, mit Ihnen in ein und derſelben Luft athmen zu kön¬
nen; dort ein Geſchöpf, mehr ſtachelnd als anziehend; zwar
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