Und in dieser Welt der Enttäuschung und des Schmerzes, in dieser Welt, wo Nichts Bestand hat: will das Weib allein sein Glück dauernd und ungefährdet erhalten wissen?!" --
Und da sie nachdenklich vor sich hin sah, fuhr ich fort: "Und ist denn auch Ihr Loos ein so entsetzliches? Haben Sie nicht geliebt? Sind Sie nicht wieder geliebt worden? Können Sie nicht sagen: ich habe gelebt und genossen, wäh¬ rend andere Frauen niemals die Knospe ihres Herzens spren¬ gen durften und mit verhaltenen Gluthen zu Grabe gingen!"
Sie war in ein sanftes Weinen ausgebrochen. Ich erhob mich und trat vor sie hin. "Ludovica, lassen Sie mich Ihr Freund sein!" Und da sie mir rasch abwehrend beide Hände entgegen streckte, sagte ich eindringlich: "Mißverstehen Sie mich nicht! Ich bin nicht der Mann, Ihnen in diesem Augenblicke mit Liebesanträgen zu nahen. -- Noch einmal: lassen Sie mich Ihr Freund sein! Ich bin es gewohnt, den einsamen Pfad der Entsagung zu schreiten. Ich will Sie stützen, führen und lenken; ich will über Ihnen wachen, wie über einem kranken Kinde -- bis Sie endlich, mit Ihrem Geschicke und Ihrer Kunst wieder versöhnt, jene Höhe des Daseins erreicht haben, von welcher aus Sie lächelnd auf die Vergangenheit zurück -- und vielleicht einer schöneren Zukunft entgegenblicken können."
Sie schien die Macht meiner Worte in tiefster Seele zu empfinden und darüber nachzusinnen. Plötzlich aber schauderte
Und in dieſer Welt der Enttäuſchung und des Schmerzes, in dieſer Welt, wo Nichts Beſtand hat: will das Weib allein ſein Glück dauernd und ungefährdet erhalten wiſſen?!“ —
Und da ſie nachdenklich vor ſich hin ſah, fuhr ich fort: „Und iſt denn auch Ihr Loos ein ſo entſetzliches? Haben Sie nicht geliebt? Sind Sie nicht wieder geliebt worden? Können Sie nicht ſagen: ich habe gelebt und genoſſen, wäh¬ rend andere Frauen niemals die Knoſpe ihres Herzens ſpren¬ gen durften und mit verhaltenen Gluthen zu Grabe gingen!“
Sie war in ein ſanftes Weinen ausgebrochen. Ich erhob mich und trat vor ſie hin. „Ludovica, laſſen Sie mich Ihr Freund ſein!“ Und da ſie mir raſch abwehrend beide Hände entgegen ſtreckte, ſagte ich eindringlich: „Mißverſtehen Sie mich nicht! Ich bin nicht der Mann, Ihnen in dieſem Augenblicke mit Liebesanträgen zu nahen. — Noch einmal: laſſen Sie mich Ihr Freund ſein! Ich bin es gewohnt, den einſamen Pfad der Entſagung zu ſchreiten. Ich will Sie ſtützen, führen und lenken; ich will über Ihnen wachen, wie über einem kranken Kinde — bis Sie endlich, mit Ihrem Geſchicke und Ihrer Kunſt wieder verſöhnt, jene Höhe des Daſeins erreicht haben, von welcher aus Sie lächelnd auf die Vergangenheit zurück — und vielleicht einer ſchöneren Zukunft entgegenblicken können.“
Sie ſchien die Macht meiner Worte in tiefſter Seele zu empfinden und darüber nachzuſinnen. Plötzlich aber ſchauderte
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Und in dieſer Welt der Enttäuſchung und des Schmerzes, in
dieſer Welt, wo Nichts Beſtand hat: will das Weib allein
ſein Glück dauernd und ungefährdet erhalten wiſſen?!“ —
Und da ſie nachdenklich vor ſich hin ſah, fuhr ich fort:
„Und iſt denn auch Ihr Loos ein ſo entſetzliches? Haben
Sie nicht geliebt? Sind Sie nicht wieder geliebt worden?
Können Sie nicht ſagen: ich habe gelebt und genoſſen, wäh¬
rend andere Frauen niemals die Knoſpe ihres Herzens ſpren¬
gen durften und mit verhaltenen Gluthen zu Grabe gingen!“
Sie war in ein ſanftes Weinen ausgebrochen. Ich erhob
mich und trat vor ſie hin. „Ludovica, laſſen Sie mich Ihr
Freund ſein!“ Und da ſie mir raſch abwehrend beide Hände
entgegen ſtreckte, ſagte ich eindringlich: „Mißverſtehen Sie
mich nicht! Ich bin nicht der Mann, Ihnen in dieſem
Augenblicke mit Liebesanträgen zu nahen. — Noch einmal:
laſſen Sie mich Ihr Freund ſein! Ich bin es gewohnt,
den einſamen Pfad der Entſagung zu ſchreiten. Ich will Sie
ſtützen, führen und lenken; ich will über Ihnen wachen, wie
über einem kranken Kinde — bis Sie endlich, mit Ihrem
Geſchicke und Ihrer Kunſt wieder verſöhnt, jene Höhe des
Daſeins erreicht haben, von welcher aus Sie lächelnd auf die
Vergangenheit zurück — und vielleicht einer ſchöneren Zukunft
entgegenblicken können.“
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Saar, Ferdinand von: Novellen aus Österreich. Heidelberg, 1877, S. 237. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/saar_novellen_1877/253>, abgerufen am 16.07.2024.
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