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Saar, Ferdinand von: Novellen aus Österreich. Heidelberg, 1877.

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Mann, der eben noch im Gärtchen mußte gearbeitet haben;
denn er hatte eine Haue in der Hand, auf welche er sich,
wie es schien mehr aus Bedürfniß als aus Bequemlichkeit,
im Gehen stützte. Drei weiße Tuchsternchen auf den rothen
Kragenvorstößen einer leinenen, über der Brust offenen Mi¬
litärjacke ließen in ihm den Zeugwart erkennen, mit welcher
Eigenschaft seine noch jugendlich kräftige Gestalt einigermaßen
im Widerspruche stand. Als ich näher kam, gewahrte ich in
seinem Antlitz eine tiefe Narbe, die von einem Säbelhiebe
herrühren mochte und sich von der Schläfe bis zum Kinn er¬
streckte.

Der Pater sprach freundlich mit den Leuten und reichte
dem Jüngsten auf dem Arme der Mutter, da es mit den
kleinen Händchen begehrlich darnach langte, die duftige Flieder¬
blüthe. Er wandte sich nicht um, als ich vorüberging und
der Zeugwart, militärisch grüßend, die Hand an die Mütze
brachte.

Es kostete mir einige Ueberwindung, wieder in das un¬
erquickliche Wachtzimmer zurückzukehren. Dort ließ ich mich
auf das alte, harte Ledersopha nieder und nahm ein Buch zur
Hand. Aber meine Gedanken wollten nicht an den Zeilen
haften; denn die Eindrücke, die ich auf meiner kleinen Wande¬
rung empfangen, wirkten zu mächtig in mir nach. Vor allem
war es das Wesen des Paters, was mich mit tiefer, geheim¬
nißvoller Macht anzog. Wie glücklich erschien mir sein stilles

Mann, der eben noch im Gärtchen mußte gearbeitet haben;
denn er hatte eine Haue in der Hand, auf welche er ſich,
wie es ſchien mehr aus Bedürfniß als aus Bequemlichkeit,
im Gehen ſtützte. Drei weiße Tuchſternchen auf den rothen
Kragenvorſtößen einer leinenen, über der Bruſt offenen Mi¬
litärjacke ließen in ihm den Zeugwart erkennen, mit welcher
Eigenſchaft ſeine noch jugendlich kräftige Geſtalt einigermaßen
im Widerſpruche ſtand. Als ich näher kam, gewahrte ich in
ſeinem Antlitz eine tiefe Narbe, die von einem Säbelhiebe
herrühren mochte und ſich von der Schläfe bis zum Kinn er¬
ſtreckte.

Der Pater ſprach freundlich mit den Leuten und reichte
dem Jüngſten auf dem Arme der Mutter, da es mit den
kleinen Händchen begehrlich darnach langte, die duftige Flieder¬
blüthe. Er wandte ſich nicht um, als ich vorüberging und
der Zeugwart, militäriſch grüßend, die Hand an die Mütze
brachte.

Es koſtete mir einige Ueberwindung, wieder in das un¬
erquickliche Wachtzimmer zurückzukehren. Dort ließ ich mich
auf das alte, harte Lederſopha nieder und nahm ein Buch zur
Hand. Aber meine Gedanken wollten nicht an den Zeilen
haften; denn die Eindrücke, die ich auf meiner kleinen Wande¬
rung empfangen, wirkten zu mächtig in mir nach. Vor allem
war es das Weſen des Paters, was mich mit tiefer, geheim¬
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[11/0027] Mann, der eben noch im Gärtchen mußte gearbeitet haben; denn er hatte eine Haue in der Hand, auf welche er ſich, wie es ſchien mehr aus Bedürfniß als aus Bequemlichkeit, im Gehen ſtützte. Drei weiße Tuchſternchen auf den rothen Kragenvorſtößen einer leinenen, über der Bruſt offenen Mi¬ litärjacke ließen in ihm den Zeugwart erkennen, mit welcher Eigenſchaft ſeine noch jugendlich kräftige Geſtalt einigermaßen im Widerſpruche ſtand. Als ich näher kam, gewahrte ich in ſeinem Antlitz eine tiefe Narbe, die von einem Säbelhiebe herrühren mochte und ſich von der Schläfe bis zum Kinn er¬ ſtreckte. Der Pater ſprach freundlich mit den Leuten und reichte dem Jüngſten auf dem Arme der Mutter, da es mit den kleinen Händchen begehrlich darnach langte, die duftige Flieder¬ blüthe. Er wandte ſich nicht um, als ich vorüberging und der Zeugwart, militäriſch grüßend, die Hand an die Mütze brachte. Es koſtete mir einige Ueberwindung, wieder in das un¬ erquickliche Wachtzimmer zurückzukehren. Dort ließ ich mich auf das alte, harte Lederſopha nieder und nahm ein Buch zur Hand. Aber meine Gedanken wollten nicht an den Zeilen haften; denn die Eindrücke, die ich auf meiner kleinen Wande¬ rung empfangen, wirkten zu mächtig in mir nach. Vor allem war es das Weſen des Paters, was mich mit tiefer, geheim¬ nißvoller Macht anzog. Wie glücklich erſchien mir ſein ſtilles

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Zitationshilfe: Saar, Ferdinand von: Novellen aus Österreich. Heidelberg, 1877, S. 11. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/saar_novellen_1877/27>, abgerufen am 28.04.2024.