Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Saar, Ferdinand von: Novellen aus Österreich. Heidelberg, 1877.

Bild:
<< vorherige Seite

welches alsbald, von Rödern kräftig gerudert, auf der Mitte
des Teiches trieb.

"Da sehen Sie unsere ländlichen Vergnügungen", sagte
der Freiherr, mit dem ich jetzt langsam am Rande hinging.
"Wir führen hier ein sehr zurückgezogenes, gleichförmiges Da¬
sein; Graf Rödern allein bringt etwas Leben und Bewegung
in unseren kleinen Kreis. Denn meine Tochter ist trotz ihrer
Jugend sehr ernst und still, und sitzt am liebsten bei ihren
Büchern oder am Clavier."

Ich bemerkte hierauf, daß ich, allem Anscheine nach, die
Baronesse kurz nach meinem Eintreffen singen gehört.

"Haben Sie?" erwiederte er mit väterlichem Stolz. "Nicht
wahr, eine prachtvolle Stimme, wenn auch noch nicht völlig
entwickelt. -- Sie ist überhaupt ein einziges Kind!" fuhr er
fort, indem er mit jenem Ausdruck tiefster Zärtlichkeit, der
mich früher so überrascht hatte, nach dem Kahne blickte. "Der
Himmel hat mir einen Sohn versagt, aber mit dieser Toch¬
ter reichen Ersatz gewährt. Sie war bis jetzt", wandte er
sich mit herablassender Vertraulichkeit an mich, "in dem Er¬
ziehungsinstitute für adelige Fräulein in L . . . . Eine ausge¬
zeichnete Anstalt, die sie als vorzüglichste Schülerin verlassen
hat. Es ist erstaunlich, welche ausgebreiteten Kenntnisse sie
besitzt; offen gestanden: ich fühle mich ihr gegenüber oft un¬
wissend. Freilich verdankt sie Vieles, ja das Meiste nur sich
selbst und ihrem unermüdlichen Fleiße. Und dabei -- welch'

welches alsbald, von Rödern kräftig gerudert, auf der Mitte
des Teiches trieb.

„Da ſehen Sie unſere ländlichen Vergnügungen“, ſagte
der Freiherr, mit dem ich jetzt langſam am Rande hinging.
„Wir führen hier ein ſehr zurückgezogenes, gleichförmiges Da¬
ſein; Graf Rödern allein bringt etwas Leben und Bewegung
in unſeren kleinen Kreis. Denn meine Tochter iſt trotz ihrer
Jugend ſehr ernſt und ſtill, und ſitzt am liebſten bei ihren
Büchern oder am Clavier.“

Ich bemerkte hierauf, daß ich, allem Anſcheine nach, die
Baroneſſe kurz nach meinem Eintreffen ſingen gehört.

„Haben Sie?“ erwiederte er mit väterlichem Stolz. „Nicht
wahr, eine prachtvolle Stimme, wenn auch noch nicht völlig
entwickelt. — Sie iſt überhaupt ein einziges Kind!“ fuhr er
fort, indem er mit jenem Ausdruck tiefſter Zärtlichkeit, der
mich früher ſo überraſcht hatte, nach dem Kahne blickte. „Der
Himmel hat mir einen Sohn verſagt, aber mit dieſer Toch¬
ter reichen Erſatz gewährt. Sie war bis jetzt“, wandte er
ſich mit herablaſſender Vertraulichkeit an mich, „in dem Er¬
ziehungsinſtitute für adelige Fräulein in L . . . . Eine ausge¬
zeichnete Anſtalt, die ſie als vorzüglichſte Schülerin verlaſſen
hat. Es iſt erſtaunlich, welche ausgebreiteten Kenntniſſe ſie
beſitzt; offen geſtanden: ich fühle mich ihr gegenüber oft un¬
wiſſend. Freilich verdankt ſie Vieles, ja das Meiſte nur ſich
ſelbſt und ihrem unermüdlichen Fleiße. Und dabei — welch'

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0278" n="262"/>
welches alsbald, von Rödern kräftig gerudert, auf der Mitte<lb/>
des Teiches trieb.</p><lb/>
          <p>&#x201E;Da &#x017F;ehen Sie un&#x017F;ere ländlichen Vergnügungen&#x201C;, &#x017F;agte<lb/>
der Freiherr, mit dem ich jetzt lang&#x017F;am am Rande hinging.<lb/>
&#x201E;Wir führen hier ein &#x017F;ehr zurückgezogenes, gleichförmiges Da¬<lb/>
&#x017F;ein; Graf Rödern allein bringt etwas Leben und Bewegung<lb/>
in un&#x017F;eren kleinen Kreis. Denn meine Tochter i&#x017F;t trotz ihrer<lb/>
Jugend &#x017F;ehr ern&#x017F;t und &#x017F;till, und &#x017F;itzt am lieb&#x017F;ten bei ihren<lb/>
Büchern oder am Clavier.&#x201C;</p><lb/>
          <p>Ich bemerkte hierauf, daß ich, allem An&#x017F;cheine nach, die<lb/>
Barone&#x017F;&#x017F;e kurz nach meinem Eintreffen &#x017F;ingen gehört.</p><lb/>
          <p>&#x201E;Haben Sie?&#x201C; erwiederte er mit väterlichem Stolz. &#x201E;Nicht<lb/>
wahr, eine prachtvolle Stimme, wenn auch noch nicht völlig<lb/>
entwickelt. &#x2014; Sie i&#x017F;t überhaupt ein einziges Kind!&#x201C; fuhr er<lb/>
fort, indem er mit jenem Ausdruck tief&#x017F;ter Zärtlichkeit, der<lb/>
mich früher &#x017F;o überra&#x017F;cht hatte, nach dem Kahne blickte. &#x201E;Der<lb/>
Himmel hat mir einen Sohn ver&#x017F;agt, aber mit <hi rendition="#g">die&#x017F;er</hi> Toch¬<lb/>
ter reichen Er&#x017F;atz gewährt. Sie war bis jetzt&#x201C;, wandte er<lb/>
&#x017F;ich mit herabla&#x017F;&#x017F;ender Vertraulichkeit an mich, &#x201E;in dem Er¬<lb/>
ziehungsin&#x017F;titute für adelige Fräulein in L . . . . Eine ausge¬<lb/>
zeichnete An&#x017F;talt, die &#x017F;ie als vorzüglich&#x017F;te Schülerin verla&#x017F;&#x017F;en<lb/>
hat. Es i&#x017F;t er&#x017F;taunlich, welche ausgebreiteten Kenntni&#x017F;&#x017F;e &#x017F;ie<lb/>
be&#x017F;itzt; offen ge&#x017F;tanden: ich fühle mich ihr gegenüber oft un¬<lb/>
wi&#x017F;&#x017F;end. Freilich verdankt &#x017F;ie Vieles, ja das Mei&#x017F;te nur &#x017F;ich<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t und ihrem unermüdlichen Fleiße. Und dabei &#x2014; welch'<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[262/0278] welches alsbald, von Rödern kräftig gerudert, auf der Mitte des Teiches trieb. „Da ſehen Sie unſere ländlichen Vergnügungen“, ſagte der Freiherr, mit dem ich jetzt langſam am Rande hinging. „Wir führen hier ein ſehr zurückgezogenes, gleichförmiges Da¬ ſein; Graf Rödern allein bringt etwas Leben und Bewegung in unſeren kleinen Kreis. Denn meine Tochter iſt trotz ihrer Jugend ſehr ernſt und ſtill, und ſitzt am liebſten bei ihren Büchern oder am Clavier.“ Ich bemerkte hierauf, daß ich, allem Anſcheine nach, die Baroneſſe kurz nach meinem Eintreffen ſingen gehört. „Haben Sie?“ erwiederte er mit väterlichem Stolz. „Nicht wahr, eine prachtvolle Stimme, wenn auch noch nicht völlig entwickelt. — Sie iſt überhaupt ein einziges Kind!“ fuhr er fort, indem er mit jenem Ausdruck tiefſter Zärtlichkeit, der mich früher ſo überraſcht hatte, nach dem Kahne blickte. „Der Himmel hat mir einen Sohn verſagt, aber mit dieſer Toch¬ ter reichen Erſatz gewährt. Sie war bis jetzt“, wandte er ſich mit herablaſſender Vertraulichkeit an mich, „in dem Er¬ ziehungsinſtitute für adelige Fräulein in L . . . . Eine ausge¬ zeichnete Anſtalt, die ſie als vorzüglichſte Schülerin verlaſſen hat. Es iſt erſtaunlich, welche ausgebreiteten Kenntniſſe ſie beſitzt; offen geſtanden: ich fühle mich ihr gegenüber oft un¬ wiſſend. Freilich verdankt ſie Vieles, ja das Meiſte nur ſich ſelbſt und ihrem unermüdlichen Fleiße. Und dabei — welch'

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/saar_novellen_1877
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/saar_novellen_1877/278
Zitationshilfe: Saar, Ferdinand von: Novellen aus Österreich. Heidelberg, 1877, S. 262. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/saar_novellen_1877/278>, abgerufen am 29.05.2024.