Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Saar, Ferdinand von: Novellen aus Österreich. Heidelberg, 1877.

Bild:
<< vorherige Seite

ein Gemüth! Die Hingebung und Zärtlichkeit, die Güte und
Frömmigkeit selbst! Wie gesagt: ein einziges Kind! Möge
sie glücklich werden!" fügte er, vor sich hinblickend, mit einem
leisen Seufzer bei. Doch so, als hätte er mich zu tief in sein
Herz blicken lassen, rückte er sich plötzlich in seiner stolzen
Haltung zurecht und der gewöhnliche harte, finstere Zug trat
allmälig wieder in sein Antlitz.

Inzwischen aber hatte es Rödern nicht über sich gebracht,
"vernünftig" zu bleiben. Nachdem er eine Zeit lang den
Kahn zu Aller Zufriedenheit gelenkt, dann eine Wasserlilie
gepflückt und den schimmernden Kelch in das dunkle Haar der
Freifrau gesteckt hatte, begann er allerlei gewagte Ruderkünste
zu versuchen, wobei das Schifflein mehr als einmal in ein
höchst bedenkliches Schwanken gerieth. Und als er endlich sei¬
ner Ausgelassenheit völlig die Zügel schießen ließ und, trotz
der Bitten und Abmahnungen Raphaela's, trotz der Angstrufe
ihrer Mutter, in raschen, immer engeren Kreisen einen Schwan
verfolgte, der mit zornigen Flügelschlägen pfauchend vor dem
Kiele herschoß: da war es in der That Zeit, daß sich der
Freiherr in's Mittel legte und mit herrischem Tone befahl,
an's Land zu stoßen. So erreichte man zuletzt doch wohlbe¬
halten das Ufer und trat nun vereint, jedoch ziemlich einsylbig
beim röthlichen Scheine des Abends den Rückweg an.

Vor dem Schlosse kehrte sich der Freiherr zu mir und
sagte gemessen: "Sie dürften sich ermüdet fühlen und es

ein Gemüth! Die Hingebung und Zärtlichkeit, die Güte und
Frömmigkeit ſelbſt! Wie geſagt: ein einziges Kind! Möge
ſie glücklich werden!“ fügte er, vor ſich hinblickend, mit einem
leiſen Seufzer bei. Doch ſo, als hätte er mich zu tief in ſein
Herz blicken laſſen, rückte er ſich plötzlich in ſeiner ſtolzen
Haltung zurecht und der gewöhnliche harte, finſtere Zug trat
allmälig wieder in ſein Antlitz.

Inzwiſchen aber hatte es Rödern nicht über ſich gebracht,
„vernünftig“ zu bleiben. Nachdem er eine Zeit lang den
Kahn zu Aller Zufriedenheit gelenkt, dann eine Waſſerlilie
gepflückt und den ſchimmernden Kelch in das dunkle Haar der
Freifrau geſteckt hatte, begann er allerlei gewagte Ruderkünſte
zu verſuchen, wobei das Schifflein mehr als einmal in ein
höchſt bedenkliches Schwanken gerieth. Und als er endlich ſei¬
ner Ausgelaſſenheit völlig die Zügel ſchießen ließ und, trotz
der Bitten und Abmahnungen Raphaela's, trotz der Angſtrufe
ihrer Mutter, in raſchen, immer engeren Kreiſen einen Schwan
verfolgte, der mit zornigen Flügelſchlägen pfauchend vor dem
Kiele herſchoß: da war es in der That Zeit, daß ſich der
Freiherr in's Mittel legte und mit herriſchem Tone befahl,
an's Land zu ſtoßen. So erreichte man zuletzt doch wohlbe¬
halten das Ufer und trat nun vereint, jedoch ziemlich einſylbig
beim röthlichen Scheine des Abends den Rückweg an.

Vor dem Schloſſe kehrte ſich der Freiherr zu mir und
ſagte gemeſſen: „Sie dürften ſich ermüdet fühlen und es

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0279" n="263"/>
ein Gemüth! Die Hingebung und Zärtlichkeit, die Güte und<lb/>
Frömmigkeit &#x017F;elb&#x017F;t! Wie ge&#x017F;agt: ein einziges Kind! Möge<lb/>
&#x017F;ie glücklich werden!&#x201C; fügte er, vor &#x017F;ich hinblickend, mit einem<lb/>
lei&#x017F;en Seufzer bei. Doch &#x017F;o, als hätte er mich zu tief in &#x017F;ein<lb/>
Herz blicken la&#x017F;&#x017F;en, rückte er &#x017F;ich plötzlich in &#x017F;einer &#x017F;tolzen<lb/>
Haltung zurecht und der gewöhnliche harte, fin&#x017F;tere Zug trat<lb/>
allmälig wieder in &#x017F;ein Antlitz.</p><lb/>
          <p>Inzwi&#x017F;chen aber hatte es Rödern nicht über &#x017F;ich gebracht,<lb/>
&#x201E;vernünftig&#x201C; zu bleiben. Nachdem er eine Zeit lang den<lb/>
Kahn zu Aller Zufriedenheit gelenkt, dann eine Wa&#x017F;&#x017F;erlilie<lb/>
gepflückt und den &#x017F;chimmernden Kelch in das dunkle Haar der<lb/>
Freifrau ge&#x017F;teckt hatte, begann er allerlei gewagte Ruderkün&#x017F;te<lb/>
zu ver&#x017F;uchen, wobei das Schifflein mehr als einmal in ein<lb/>
höch&#x017F;t bedenkliches Schwanken gerieth. Und als er endlich &#x017F;ei¬<lb/>
ner Ausgela&#x017F;&#x017F;enheit völlig die Zügel &#x017F;chießen ließ und, trotz<lb/>
der Bitten und Abmahnungen Raphaela's, trotz der Ang&#x017F;trufe<lb/>
ihrer Mutter, in ra&#x017F;chen, immer engeren Krei&#x017F;en einen Schwan<lb/>
verfolgte, der mit zornigen Flügel&#x017F;chlägen pfauchend vor dem<lb/>
Kiele her&#x017F;choß: da war es in der That Zeit, daß &#x017F;ich der<lb/>
Freiherr in's Mittel legte und mit herri&#x017F;chem Tone befahl,<lb/>
an's Land zu &#x017F;toßen. So erreichte man zuletzt doch wohlbe¬<lb/>
halten das Ufer und trat nun vereint, jedoch ziemlich ein&#x017F;ylbig<lb/>
beim röthlichen Scheine des Abends den Rückweg an.</p><lb/>
          <p>Vor dem Schlo&#x017F;&#x017F;e kehrte &#x017F;ich der Freiherr zu mir und<lb/>
&#x017F;agte geme&#x017F;&#x017F;en: &#x201E;Sie dürften &#x017F;ich ermüdet fühlen und es<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[263/0279] ein Gemüth! Die Hingebung und Zärtlichkeit, die Güte und Frömmigkeit ſelbſt! Wie geſagt: ein einziges Kind! Möge ſie glücklich werden!“ fügte er, vor ſich hinblickend, mit einem leiſen Seufzer bei. Doch ſo, als hätte er mich zu tief in ſein Herz blicken laſſen, rückte er ſich plötzlich in ſeiner ſtolzen Haltung zurecht und der gewöhnliche harte, finſtere Zug trat allmälig wieder in ſein Antlitz. Inzwiſchen aber hatte es Rödern nicht über ſich gebracht, „vernünftig“ zu bleiben. Nachdem er eine Zeit lang den Kahn zu Aller Zufriedenheit gelenkt, dann eine Waſſerlilie gepflückt und den ſchimmernden Kelch in das dunkle Haar der Freifrau geſteckt hatte, begann er allerlei gewagte Ruderkünſte zu verſuchen, wobei das Schifflein mehr als einmal in ein höchſt bedenkliches Schwanken gerieth. Und als er endlich ſei¬ ner Ausgelaſſenheit völlig die Zügel ſchießen ließ und, trotz der Bitten und Abmahnungen Raphaela's, trotz der Angſtrufe ihrer Mutter, in raſchen, immer engeren Kreiſen einen Schwan verfolgte, der mit zornigen Flügelſchlägen pfauchend vor dem Kiele herſchoß: da war es in der That Zeit, daß ſich der Freiherr in's Mittel legte und mit herriſchem Tone befahl, an's Land zu ſtoßen. So erreichte man zuletzt doch wohlbe¬ halten das Ufer und trat nun vereint, jedoch ziemlich einſylbig beim röthlichen Scheine des Abends den Rückweg an. Vor dem Schloſſe kehrte ſich der Freiherr zu mir und ſagte gemeſſen: „Sie dürften ſich ermüdet fühlen und es

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/saar_novellen_1877
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/saar_novellen_1877/279
Zitationshilfe: Saar, Ferdinand von: Novellen aus Österreich. Heidelberg, 1877, S. 263. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/saar_novellen_1877/279>, abgerufen am 23.11.2024.