auf die Riva zu folgen, wo sie eine Gondel heran winkten. Sie stiegen ein und ließen sich hinaus rudern in die blaue, schimmernde Wasserfläche, wie von einem dunklen Sarge um¬ schlossen. Es waren zwei Todte. -- --
Langsam kehrte ich über die Piazzetta wieder zurück. Düster und schweigend lagen die alten Paläste da und wehten mich in ihrer verfallenden Pracht mit den Schauern der Ver¬ gänglichkeit an. -- Wie lange war es her, da umflatterte noch das schwarzgelbe Banner Oesterreichs den weit aus¬ blickenden Thurm, und unter den mächtigen Säulenhallen wogte das bewegte, glänzende Leben verhaßter Fremdherrschaft auf und nieder. Nun war Venedig frei -- aber auch stiller, einsamer, öder geworden. Und wie hatte sich dieser Wandel vollzogen! Langsam, schrittweise; doch unaufhaltsam, trotz aller Gegenbestrebungen. Erschien es nicht wie tragische Ironie des Schicksals, als man zuletzt rathlos die Erfüllung in die Hand des Mannes legte, der damals an der Seine über das Loos der Völker entschied!? Unwillkürlich mußte ich des todten Freiherrn und seiner stolzen Ueberzeugungen gedenken; es war mir, als ginge sein Schatten neben mir her, scheu und finster. -- Und seine Tochter? Wo weilte sie? Hatte sie sich, wie Rödern damals vorausgesetzt, zurechtgefunden, oder war sie ein einsamer Fremdling geblieben in dieser Welt voll Irr¬ thum und Schuld; in dieser Welt, wo nichts Bestand hat, als
auf die Riva zu folgen, wo ſie eine Gondel heran winkten. Sie ſtiegen ein und ließen ſich hinaus rudern in die blaue, ſchimmernde Waſſerfläche, wie von einem dunklen Sarge um¬ ſchloſſen. Es waren zwei Todte. — —
Langſam kehrte ich über die Piazzetta wieder zurück. Düſter und ſchweigend lagen die alten Paläſte da und wehten mich in ihrer verfallenden Pracht mit den Schauern der Ver¬ gänglichkeit an. — Wie lange war es her, da umflatterte noch das ſchwarzgelbe Banner Oeſterreichs den weit aus¬ blickenden Thurm, und unter den mächtigen Säulenhallen wogte das bewegte, glänzende Leben verhaßter Fremdherrſchaft auf und nieder. Nun war Venedig frei — aber auch ſtiller, einſamer, öder geworden. Und wie hatte ſich dieſer Wandel vollzogen! Langſam, ſchrittweiſe; doch unaufhaltſam, trotz aller Gegenbeſtrebungen. Erſchien es nicht wie tragiſche Ironie des Schickſals, als man zuletzt rathlos die Erfüllung in die Hand des Mannes legte, der damals an der Seine über das Loos der Völker entſchied!? Unwillkürlich mußte ich des todten Freiherrn und ſeiner ſtolzen Ueberzeugungen gedenken; es war mir, als ginge ſein Schatten neben mir her, ſcheu und finſter. — Und ſeine Tochter? Wo weilte ſie? Hatte ſie ſich, wie Rödern damals vorausgeſetzt, zurechtgefunden, oder war ſie ein einſamer Fremdling geblieben in dieſer Welt voll Irr¬ thum und Schuld; in dieſer Welt, wo nichts Beſtand hat, als
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auf die Riva zu folgen, wo ſie eine Gondel heran winkten.
Sie ſtiegen ein und ließen ſich hinaus rudern in die blaue,
ſchimmernde Waſſerfläche, wie von einem dunklen Sarge um¬
ſchloſſen. Es waren zwei Todte. — —
Langſam kehrte ich über die Piazzetta wieder zurück.
Düſter und ſchweigend lagen die alten Paläſte da und wehten
mich in ihrer verfallenden Pracht mit den Schauern der Ver¬
gänglichkeit an. — Wie lange war es her, da umflatterte
noch das ſchwarzgelbe Banner Oeſterreichs den weit aus¬
blickenden Thurm, und unter den mächtigen Säulenhallen
wogte das bewegte, glänzende Leben verhaßter Fremdherrſchaft
auf und nieder. Nun war Venedig frei — aber auch ſtiller,
einſamer, öder geworden. Und wie hatte ſich dieſer Wandel
vollzogen! Langſam, ſchrittweiſe; doch unaufhaltſam, trotz aller
Gegenbeſtrebungen. Erſchien es nicht wie tragiſche Ironie des
Schickſals, als man zuletzt rathlos die Erfüllung in die Hand
des Mannes legte, der damals an der Seine über das Loos
der Völker entſchied!? Unwillkürlich mußte ich des todten
Freiherrn und ſeiner ſtolzen Ueberzeugungen gedenken; es war
mir, als ginge ſein Schatten neben mir her, ſcheu und finſter.
— Und ſeine Tochter? Wo weilte ſie? Hatte ſie ſich, wie
Rödern damals vorausgeſetzt, zurechtgefunden, oder war
ſie ein einſamer Fremdling geblieben in dieſer Welt voll Irr¬
thum und Schuld; in dieſer Welt, wo nichts Beſtand hat, als
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Saar, Ferdinand von: Novellen aus Österreich. Heidelberg, 1877, S. 272. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/saar_novellen_1877/288>, abgerufen am 19.07.2024.
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