Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Saar, Ferdinand von: Novellen aus Österreich. Heidelberg, 1877.

Bild:
<< vorherige Seite

bigottem Charakter. Sein Latein reichte nicht weit, auch hatte
er nur wenig in den Kirchenvätern gelesen: aber er hielt oft
über einem Glase Wein den Bauern in der Schenke eindring¬
lichere Reden, als vielleicht jemals auf einer Kanzel gesprochen
wurden. Rechtshändel und Streitsachen ließ er selten vor
die Gerichte kommen, sondern schlichtete das Meiste selbst auf
eine verständige und gütige Art. Sein Stück Feld bebaute er
mit eigenen Händen und war immer der Erste bei der Arbeit;
denn er wußte, daß die Menschen eine Ermahnung dazu nicht
gerne von Einem annehmen, der selbst müßig geht. Oft er¬
schien er unvermuthet in der Schule, unterbrach den Vortrag
des Lehrers und stellte einige Fragen an die Kinder. War
er mit dem Examen zufrieden, so holte er Aepfel und Nüsse
aus der Tasche seiner groben abgenützten Soutane hervor, be¬
schenkte die Kleinen damit und ließ sie vor der Zeit auf den
Spielplatz hinaus. Dort sah er ihnen eine Weile zu und
erhöhte den Jubel noch manchmal dadurch, daß er sich selbst
anordnend und belebend in's Spiel mischte. So war er bei
Alt und Jung beliebt, ein wahrer Vater seiner Gemeinde,
die ihn nicht als einen Heiligen über ihr, sondern als den
besten und weisesten Menschen in ihrer Mitte verehrte. --
Wie ganz anders, wie vereinsamt nimmt sich dagegen der
Priester in größeren Städten aus. Von den wahrhaft Gebil¬
deten ob seiner falschen Stellung bemitleidet, von den soge¬
nannten Aufgeklärten als Heuchler verschrieen und an seinen

bigottem Charakter. Sein Latein reichte nicht weit, auch hatte
er nur wenig in den Kirchenvätern geleſen: aber er hielt oft
über einem Glaſe Wein den Bauern in der Schenke eindring¬
lichere Reden, als vielleicht jemals auf einer Kanzel geſprochen
wurden. Rechtshändel und Streitſachen ließ er ſelten vor
die Gerichte kommen, ſondern ſchlichtete das Meiſte ſelbſt auf
eine verſtändige und gütige Art. Sein Stück Feld bebaute er
mit eigenen Händen und war immer der Erſte bei der Arbeit;
denn er wußte, daß die Menſchen eine Ermahnung dazu nicht
gerne von Einem annehmen, der ſelbſt müßig geht. Oft er¬
ſchien er unvermuthet in der Schule, unterbrach den Vortrag
des Lehrers und ſtellte einige Fragen an die Kinder. War
er mit dem Examen zufrieden, ſo holte er Aepfel und Nüſſe
aus der Taſche ſeiner groben abgenützten Soutane hervor, be¬
ſchenkte die Kleinen damit und ließ ſie vor der Zeit auf den
Spielplatz hinaus. Dort ſah er ihnen eine Weile zu und
erhöhte den Jubel noch manchmal dadurch, daß er ſich ſelbſt
anordnend und belebend in's Spiel miſchte. So war er bei
Alt und Jung beliebt, ein wahrer Vater ſeiner Gemeinde,
die ihn nicht als einen Heiligen über ihr, ſondern als den
beſten und weiſeſten Menſchen in ihrer Mitte verehrte. —
Wie ganz anders, wie vereinſamt nimmt ſich dagegen der
Prieſter in größeren Städten aus. Von den wahrhaft Gebil¬
deten ob ſeiner falſchen Stellung bemitleidet, von den ſoge¬
nannten Aufgeklärten als Heuchler verſchrieen und an ſeinen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <p><pb facs="#f0038" n="22"/>
bigottem Charakter. Sein Latein reichte nicht weit, auch hatte<lb/>
er nur wenig in den Kirchenvätern gele&#x017F;en: aber er hielt oft<lb/>
über einem Gla&#x017F;e Wein den Bauern in der Schenke eindring¬<lb/>
lichere Reden, als vielleicht jemals auf einer Kanzel ge&#x017F;prochen<lb/>
wurden. Rechtshändel und Streit&#x017F;achen ließ er &#x017F;elten vor<lb/>
die Gerichte kommen, &#x017F;ondern &#x017F;chlichtete das Mei&#x017F;te &#x017F;elb&#x017F;t auf<lb/>
eine ver&#x017F;tändige und gütige Art. Sein Stück Feld bebaute er<lb/>
mit eigenen Händen und war immer der Er&#x017F;te bei der Arbeit;<lb/>
denn er wußte, daß die Men&#x017F;chen eine Ermahnung dazu nicht<lb/>
gerne von Einem annehmen, der &#x017F;elb&#x017F;t müßig geht. Oft er¬<lb/>
&#x017F;chien er unvermuthet in der Schule, unterbrach den Vortrag<lb/>
des Lehrers und &#x017F;tellte einige Fragen an die Kinder. War<lb/>
er mit dem Examen zufrieden, &#x017F;o holte er Aepfel und Nü&#x017F;&#x017F;e<lb/>
aus der Ta&#x017F;che &#x017F;einer groben abgenützten Soutane hervor, be¬<lb/>
&#x017F;chenkte die Kleinen damit und ließ &#x017F;ie vor der Zeit auf den<lb/>
Spielplatz hinaus. Dort &#x017F;ah er ihnen eine Weile zu und<lb/>
erhöhte den Jubel noch manchmal dadurch, daß er &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
anordnend und belebend in's Spiel mi&#x017F;chte. So war er bei<lb/>
Alt und Jung beliebt, ein wahrer Vater &#x017F;einer Gemeinde,<lb/>
die ihn nicht als einen Heiligen über ihr, &#x017F;ondern als den<lb/>
be&#x017F;ten und wei&#x017F;e&#x017F;ten Men&#x017F;chen in ihrer Mitte verehrte. &#x2014;<lb/>
Wie ganz anders, wie verein&#x017F;amt nimmt &#x017F;ich dagegen der<lb/>
Prie&#x017F;ter in größeren Städten aus. Von den wahrhaft Gebil¬<lb/>
deten ob &#x017F;einer fal&#x017F;chen Stellung bemitleidet, von den &#x017F;oge¬<lb/>
nannten Aufgeklärten als Heuchler ver&#x017F;chrieen und an &#x017F;einen<lb/></p>
    </body>
  </text>
</TEI>
[22/0038] bigottem Charakter. Sein Latein reichte nicht weit, auch hatte er nur wenig in den Kirchenvätern geleſen: aber er hielt oft über einem Glaſe Wein den Bauern in der Schenke eindring¬ lichere Reden, als vielleicht jemals auf einer Kanzel geſprochen wurden. Rechtshändel und Streitſachen ließ er ſelten vor die Gerichte kommen, ſondern ſchlichtete das Meiſte ſelbſt auf eine verſtändige und gütige Art. Sein Stück Feld bebaute er mit eigenen Händen und war immer der Erſte bei der Arbeit; denn er wußte, daß die Menſchen eine Ermahnung dazu nicht gerne von Einem annehmen, der ſelbſt müßig geht. Oft er¬ ſchien er unvermuthet in der Schule, unterbrach den Vortrag des Lehrers und ſtellte einige Fragen an die Kinder. War er mit dem Examen zufrieden, ſo holte er Aepfel und Nüſſe aus der Taſche ſeiner groben abgenützten Soutane hervor, be¬ ſchenkte die Kleinen damit und ließ ſie vor der Zeit auf den Spielplatz hinaus. Dort ſah er ihnen eine Weile zu und erhöhte den Jubel noch manchmal dadurch, daß er ſich ſelbſt anordnend und belebend in's Spiel miſchte. So war er bei Alt und Jung beliebt, ein wahrer Vater ſeiner Gemeinde, die ihn nicht als einen Heiligen über ihr, ſondern als den beſten und weiſeſten Menſchen in ihrer Mitte verehrte. — Wie ganz anders, wie vereinſamt nimmt ſich dagegen der Prieſter in größeren Städten aus. Von den wahrhaft Gebil¬ deten ob ſeiner falſchen Stellung bemitleidet, von den ſoge¬ nannten Aufgeklärten als Heuchler verſchrieen und an ſeinen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/saar_novellen_1877
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/saar_novellen_1877/38
Zitationshilfe: Saar, Ferdinand von: Novellen aus Österreich. Heidelberg, 1877, S. 22. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/saar_novellen_1877/38>, abgerufen am 21.11.2024.