Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Saar, Ferdinand von: Novellen aus Österreich. Heidelberg, 1877.

Bild:
<< vorherige Seite

"Es sind bloße Excerpte," sagte er hastig, indem er leicht
erröthete. "Aufzeichnungen, wichtig für mich, unbedeutend für
Andere. Ich fühle mich nicht berufen, die Wissenschaft durch
Entdeckungen zu bereichern, oder auch nur die Zahl der schwe¬
benden Hypothesen durch Aufstellung einer neuen zu vermehren.
Ich bin, wie gesagt, ein bloßer Dilettant. Ich nehme Pflanzen
in meine Herbarien auf, wegen deren sich ein Anderer schwerlich
mehr bücken möchte, und ergötze mich an Experimenten die
jeder Quartaner als längst abgethanen Schulkram verächtlich
belächeln würde. Die mikroscopische Untersuchung des Wassers,
das einer in's Glas gestellten harmlosen Blume einen Tag
lang das Leben gefristet, erfüllt mich mit derselben Forscher¬
freudigkeit und wissenschaftlichen Ueberraschung, mit welcher
irgend ein berühmter Mann die Infusorienwelt des stillen
Oceans ergründet; und wenn ich zuweilen, mit Hammer und
Botanisirkapsel ausgerüstet, einen Ausflug längs der Flußufer
oder nach den umliegenden Höhen unternehme, so ist mir dabei
zu Muthe, wie es Humboldt gewesen sein mußte, als er das
Gebiet des Orinoco durchstreifte und die Cordilleren bestieg.
Und so wird mir das Stückchen Natur um mich her zum
Teiche Bethesda, in dem ich die Seele bade und erfrische, um
sie vor den Einflüssen der Langweile zu schützen, die sonst
unfehlbar mein einfaches Leben beschleichen müßte."

"Was um so weniger der Fall sein wird, als Sie, wie
ich sehe, noch ein zweites Gegenmittel in Bereitschaft haben."

„Es ſind bloße Excerpte,“ ſagte er haſtig, indem er leicht
erröthete. „Aufzeichnungen, wichtig für mich, unbedeutend für
Andere. Ich fühle mich nicht berufen, die Wiſſenſchaft durch
Entdeckungen zu bereichern, oder auch nur die Zahl der ſchwe¬
benden Hypotheſen durch Aufſtellung einer neuen zu vermehren.
Ich bin, wie geſagt, ein bloßer Dilettant. Ich nehme Pflanzen
in meine Herbarien auf, wegen deren ſich ein Anderer ſchwerlich
mehr bücken möchte, und ergötze mich an Experimenten die
jeder Quartaner als längſt abgethanen Schulkram verächtlich
belächeln würde. Die mikroscopiſche Unterſuchung des Waſſers,
das einer in's Glas geſtellten harmloſen Blume einen Tag
lang das Leben gefriſtet, erfüllt mich mit derſelben Forſcher¬
freudigkeit und wiſſenſchaftlichen Ueberraſchung, mit welcher
irgend ein berühmter Mann die Infuſorienwelt des ſtillen
Oceans ergründet; und wenn ich zuweilen, mit Hammer und
Botaniſirkapſel ausgerüſtet, einen Ausflug längs der Flußufer
oder nach den umliegenden Höhen unternehme, ſo iſt mir dabei
zu Muthe, wie es Humboldt geweſen ſein mußte, als er das
Gebiet des Orinoco durchſtreifte und die Cordilleren beſtieg.
Und ſo wird mir das Stückchen Natur um mich her zum
Teiche Bethesda, in dem ich die Seele bade und erfriſche, um
ſie vor den Einflüſſen der Langweile zu ſchützen, die ſonſt
unfehlbar mein einfaches Leben beſchleichen müßte.“

„Was um ſo weniger der Fall ſein wird, als Sie, wie
ich ſehe, noch ein zweites Gegenmittel in Bereitſchaft haben.“

<TEI>
  <text>
    <body>
      <pb facs="#f0042" n="26"/>
      <p>&#x201E;Es &#x017F;ind bloße Excerpte,&#x201C; &#x017F;agte er ha&#x017F;tig, indem er leicht<lb/>
erröthete. &#x201E;Aufzeichnungen, wichtig für mich, unbedeutend für<lb/>
Andere. Ich fühle mich nicht berufen, die Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft durch<lb/>
Entdeckungen zu bereichern, oder auch nur die Zahl der &#x017F;chwe¬<lb/>
benden Hypothe&#x017F;en durch Auf&#x017F;tellung einer neuen zu vermehren.<lb/>
Ich bin, wie ge&#x017F;agt, ein bloßer Dilettant. Ich nehme Pflanzen<lb/>
in meine Herbarien auf, wegen deren &#x017F;ich ein Anderer &#x017F;chwerlich<lb/>
mehr bücken möchte, und ergötze mich an Experimenten die<lb/>
jeder Quartaner als läng&#x017F;t abgethanen Schulkram verächtlich<lb/>
belächeln würde. Die mikroscopi&#x017F;che Unter&#x017F;uchung des Wa&#x017F;&#x017F;ers,<lb/>
das einer in's Glas ge&#x017F;tellten harmlo&#x017F;en Blume einen Tag<lb/>
lang das Leben gefri&#x017F;tet, erfüllt mich mit der&#x017F;elben For&#x017F;cher¬<lb/>
freudigkeit und wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaftlichen Ueberra&#x017F;chung, mit welcher<lb/>
irgend ein berühmter Mann die Infu&#x017F;orienwelt des &#x017F;tillen<lb/>
Oceans ergründet; und wenn ich zuweilen, mit Hammer und<lb/>
Botani&#x017F;irkap&#x017F;el ausgerü&#x017F;tet, einen Ausflug längs der Flußufer<lb/>
oder nach den umliegenden Höhen unternehme, &#x017F;o i&#x017F;t mir dabei<lb/>
zu Muthe, wie es Humboldt gewe&#x017F;en &#x017F;ein mußte, als er das<lb/>
Gebiet des Orinoco durch&#x017F;treifte und die Cordilleren be&#x017F;tieg.<lb/>
Und &#x017F;o wird mir das Stückchen Natur um mich her zum<lb/>
Teiche Bethesda, in dem ich die Seele bade und erfri&#x017F;che, um<lb/>
&#x017F;ie vor den Einflü&#x017F;&#x017F;en der Langweile zu &#x017F;chützen, die &#x017F;on&#x017F;t<lb/>
unfehlbar mein einfaches Leben be&#x017F;chleichen müßte.&#x201C;</p><lb/>
      <p>&#x201E;Was um &#x017F;o weniger der Fall &#x017F;ein wird, als Sie, wie<lb/>
ich &#x017F;ehe, noch ein zweites Gegenmittel in Bereit&#x017F;chaft haben.&#x201C;<lb/></p>
    </body>
  </text>
</TEI>
[26/0042] „Es ſind bloße Excerpte,“ ſagte er haſtig, indem er leicht erröthete. „Aufzeichnungen, wichtig für mich, unbedeutend für Andere. Ich fühle mich nicht berufen, die Wiſſenſchaft durch Entdeckungen zu bereichern, oder auch nur die Zahl der ſchwe¬ benden Hypotheſen durch Aufſtellung einer neuen zu vermehren. Ich bin, wie geſagt, ein bloßer Dilettant. Ich nehme Pflanzen in meine Herbarien auf, wegen deren ſich ein Anderer ſchwerlich mehr bücken möchte, und ergötze mich an Experimenten die jeder Quartaner als längſt abgethanen Schulkram verächtlich belächeln würde. Die mikroscopiſche Unterſuchung des Waſſers, das einer in's Glas geſtellten harmloſen Blume einen Tag lang das Leben gefriſtet, erfüllt mich mit derſelben Forſcher¬ freudigkeit und wiſſenſchaftlichen Ueberraſchung, mit welcher irgend ein berühmter Mann die Infuſorienwelt des ſtillen Oceans ergründet; und wenn ich zuweilen, mit Hammer und Botaniſirkapſel ausgerüſtet, einen Ausflug längs der Flußufer oder nach den umliegenden Höhen unternehme, ſo iſt mir dabei zu Muthe, wie es Humboldt geweſen ſein mußte, als er das Gebiet des Orinoco durchſtreifte und die Cordilleren beſtieg. Und ſo wird mir das Stückchen Natur um mich her zum Teiche Bethesda, in dem ich die Seele bade und erfriſche, um ſie vor den Einflüſſen der Langweile zu ſchützen, die ſonſt unfehlbar mein einfaches Leben beſchleichen müßte.“ „Was um ſo weniger der Fall ſein wird, als Sie, wie ich ſehe, noch ein zweites Gegenmittel in Bereitſchaft haben.“

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/saar_novellen_1877
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/saar_novellen_1877/42
Zitationshilfe: Saar, Ferdinand von: Novellen aus Österreich. Heidelberg, 1877, S. 26. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/saar_novellen_1877/42>, abgerufen am 29.04.2024.