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Saar, Ferdinand von: Novellen aus Österreich. Heidelberg, 1877.

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einander bekannt werden," setzte er hinzu, da er sah, daß ich
mich zum Fortgehen anschickte, "so will ich Ihnen einmal bei
Gelegenheit Etwas aus früheren Tagen erzählen, zum Beweise,
daß auch mein stilles, unbeachtetes Dasein nicht ganz ohne
Prüfungen, ohne Kampf und Qual gewesen." Er geleitete
mich zum Thore hinab. "Leben Sie wohl," sagte er, "auf
Wiedersehen!"


So entspann sich zwischen mir und dem Pater eine jener
Freundschaften, wie sie zuweilen unter Männern von ungleichem
Alter vorkommen, und welche dann mit zu den edelsten Ver¬
hältnissen gehören, in denen ein Mensch zum andern stehen
kann. In gewöhnlichen Lebensbeziehungen durch die Verschie¬
denheit des Standes auseinander gehalten, wurden wir desto
fester durch das geistige Interesse, das wir an einander fanden,
verbunden. Ich besuchte ihn nun wöchentlich in seiner einsamen
Stube, wo wir den Nachmittag unter anregenden wissenschaft¬
lichen Gesprächen, noch öfter aber über seinen Büchern und
Sammlungen oder am Experimentirtische zubrachten; denn er
hatte es unternommen, mich in die Naturwissenschaften, darin
er eben so tiefe als ausgebreitete Kenntnisse besah, einzuführen.
Gegen Abend gingen wir gewöhnlich auf eine Stunde in's
Freie, und nahmen dann ein bescheidenes Mahl ein, das uns

einander bekannt werden,“ ſetzte er hinzu, da er ſah, daß ich
mich zum Fortgehen anſchickte, „ſo will ich Ihnen einmal bei
Gelegenheit Etwas aus früheren Tagen erzählen, zum Beweiſe,
daß auch mein ſtilles, unbeachtetes Daſein nicht ganz ohne
Prüfungen, ohne Kampf und Qual geweſen.“ Er geleitete
mich zum Thore hinab. „Leben Sie wohl,“ ſagte er, „auf
Wiederſehen!“


So entſpann ſich zwiſchen mir und dem Pater eine jener
Freundſchaften, wie ſie zuweilen unter Männern von ungleichem
Alter vorkommen, und welche dann mit zu den edelſten Ver¬
hältniſſen gehören, in denen ein Menſch zum andern ſtehen
kann. In gewöhnlichen Lebensbeziehungen durch die Verſchie¬
denheit des Standes auseinander gehalten, wurden wir deſto
feſter durch das geiſtige Intereſſe, das wir an einander fanden,
verbunden. Ich beſuchte ihn nun wöchentlich in ſeiner einſamen
Stube, wo wir den Nachmittag unter anregenden wiſſenſchaft¬
lichen Geſprächen, noch öfter aber über ſeinen Büchern und
Sammlungen oder am Experimentirtiſche zubrachten; denn er
hatte es unternommen, mich in die Naturwiſſenſchaften, darin
er eben ſo tiefe als ausgebreitete Kenntniſſe beſah, einzuführen.
Gegen Abend gingen wir gewöhnlich auf eine Stunde in's
Freie, und nahmen dann ein beſcheidenes Mahl ein, das uns

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[30/0046] einander bekannt werden,“ ſetzte er hinzu, da er ſah, daß ich mich zum Fortgehen anſchickte, „ſo will ich Ihnen einmal bei Gelegenheit Etwas aus früheren Tagen erzählen, zum Beweiſe, daß auch mein ſtilles, unbeachtetes Daſein nicht ganz ohne Prüfungen, ohne Kampf und Qual geweſen.“ Er geleitete mich zum Thore hinab. „Leben Sie wohl,“ ſagte er, „auf Wiederſehen!“ So entſpann ſich zwiſchen mir und dem Pater eine jener Freundſchaften, wie ſie zuweilen unter Männern von ungleichem Alter vorkommen, und welche dann mit zu den edelſten Ver¬ hältniſſen gehören, in denen ein Menſch zum andern ſtehen kann. In gewöhnlichen Lebensbeziehungen durch die Verſchie¬ denheit des Standes auseinander gehalten, wurden wir deſto feſter durch das geiſtige Intereſſe, das wir an einander fanden, verbunden. Ich beſuchte ihn nun wöchentlich in ſeiner einſamen Stube, wo wir den Nachmittag unter anregenden wiſſenſchaft¬ lichen Geſprächen, noch öfter aber über ſeinen Büchern und Sammlungen oder am Experimentirtiſche zubrachten; denn er hatte es unternommen, mich in die Naturwiſſenſchaften, darin er eben ſo tiefe als ausgebreitete Kenntniſſe beſah, einzuführen. Gegen Abend gingen wir gewöhnlich auf eine Stunde in's Freie, und nahmen dann ein beſcheidenes Mahl ein, das uns

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Zitationshilfe: Saar, Ferdinand von: Novellen aus Österreich. Heidelberg, 1877, S. 30. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/saar_novellen_1877/46>, abgerufen am 29.04.2024.