Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Saar, Ferdinand von: Novellen aus Österreich. Heidelberg, 1877.

Bild:
<< vorherige Seite

Frömmigkeit in Zweifel zu ziehen. Neid und Mißgunst waren,
wie überall in der Welt, so auch in unserem Kloster anzu¬
treffen, und hatten die Gelegenheit wahrgenommen, meine harm¬
losen Naturstudien zu verdächtigen und anzuschwärzen. Es
verlautete nämlich, daß ich die Zeit, während welcher die an¬
dern Patres im schattigen Garten beschaulicher Muße oblagen,
ein Spielchen machten oder Spaziergänge in der Stadt
unternahmen, mit verruchten, allen kirchlichen Dogmen
hohnsprechenden Experimenten hinbringe, zu welchem Zwecke
ich eine ganze Teufelsküche und die Werke aller alten
und modernen Atheisten in einem Wandschranke meines
Zimmers verborgen halte. Der damalige Abt, eine ängstliche,
etwas beschränkte Natur, fand sich durch dieses Gerede veran¬
laßt, mich eines Tages in Begleitung noch zweier Mitglieder
bei meinen einsamen Studien zu überraschen, alles dazu Ge¬
hörige in Beschlag zu nehmen und mir nach einem Verweise
anzurathen, meine Fähigkeiten künftighin einer besseren Sache
zuzuwenden. Es war ein tiefer Schmerz, den ich empfand,
als man mir meine Apparate und Bücher forttrug. Ein
bitteres, niederdrückendes Gefühl überkam mich; aber ich er¬
duldete Alles mit christlicher Ergebung, wie es meinem Stande
ziemte. Die Unthätigkeit, zu welcher ich mich jetzt verurtheilt
sah, lastete in den ersten Tagen schwer auf mir. Aber ich
bedachte, wie Vieles, das mit den Anschauungen meiner Vorge¬
setzten nicht im Widerspruche stand, ich noch zu lernen hatte;

Frömmigkeit in Zweifel zu ziehen. Neid und Mißgunſt waren,
wie überall in der Welt, ſo auch in unſerem Kloſter anzu¬
treffen, und hatten die Gelegenheit wahrgenommen, meine harm¬
loſen Naturſtudien zu verdächtigen und anzuſchwärzen. Es
verlautete nämlich, daß ich die Zeit, während welcher die an¬
dern Patres im ſchattigen Garten beſchaulicher Muße oblagen,
ein Spielchen machten oder Spaziergänge in der Stadt
unternahmen, mit verruchten, allen kirchlichen Dogmen
hohnſprechenden Experimenten hinbringe, zu welchem Zwecke
ich eine ganze Teufelsküche und die Werke aller alten
und modernen Atheiſten in einem Wandſchranke meines
Zimmers verborgen halte. Der damalige Abt, eine ängſtliche,
etwas beſchränkte Natur, fand ſich durch dieſes Gerede veran¬
laßt, mich eines Tages in Begleitung noch zweier Mitglieder
bei meinen einſamen Studien zu überraſchen, alles dazu Ge¬
hörige in Beſchlag zu nehmen und mir nach einem Verweiſe
anzurathen, meine Fähigkeiten künftighin einer beſſeren Sache
zuzuwenden. Es war ein tiefer Schmerz, den ich empfand,
als man mir meine Apparate und Bücher forttrug. Ein
bitteres, niederdrückendes Gefühl überkam mich; aber ich er¬
duldete Alles mit chriſtlicher Ergebung, wie es meinem Stande
ziemte. Die Unthätigkeit, zu welcher ich mich jetzt verurtheilt
ſah, laſtete in den erſten Tagen ſchwer auf mir. Aber ich
bedachte, wie Vieles, das mit den Anſchauungen meiner Vorge¬
ſetzten nicht im Widerſpruche ſtand, ich noch zu lernen hatte;

<TEI>
  <text>
    <body>
      <p><pb facs="#f0055" n="39"/>
Frömmigkeit in Zweifel zu ziehen. Neid und Mißgun&#x017F;t waren,<lb/>
wie überall in der Welt, &#x017F;o auch in un&#x017F;erem Klo&#x017F;ter anzu¬<lb/>
treffen, und hatten die Gelegenheit wahrgenommen, meine harm¬<lb/>
lo&#x017F;en Natur&#x017F;tudien zu verdächtigen und anzu&#x017F;chwärzen. Es<lb/>
verlautete nämlich, daß ich die Zeit, während welcher die an¬<lb/>
dern Patres im &#x017F;chattigen Garten be&#x017F;chaulicher Muße oblagen,<lb/>
ein Spielchen machten oder Spaziergänge in der Stadt<lb/>
unternahmen, mit verruchten, allen kirchlichen Dogmen<lb/>
hohn&#x017F;prechenden Experimenten hinbringe, zu welchem Zwecke<lb/>
ich eine ganze Teufelsküche und die Werke aller alten<lb/>
und modernen Athei&#x017F;ten in einem Wand&#x017F;chranke meines<lb/>
Zimmers verborgen halte. Der damalige Abt, eine äng&#x017F;tliche,<lb/>
etwas be&#x017F;chränkte Natur, fand &#x017F;ich durch die&#x017F;es Gerede veran¬<lb/>
laßt, mich eines Tages in Begleitung noch zweier Mitglieder<lb/>
bei meinen ein&#x017F;amen Studien zu überra&#x017F;chen, alles dazu Ge¬<lb/>
hörige in Be&#x017F;chlag zu nehmen und mir nach einem Verwei&#x017F;e<lb/>
anzurathen, meine Fähigkeiten künftighin einer be&#x017F;&#x017F;eren Sache<lb/>
zuzuwenden. Es war ein tiefer Schmerz, den ich empfand,<lb/>
als man mir meine Apparate und Bücher forttrug. Ein<lb/>
bitteres, niederdrückendes Gefühl überkam mich; aber ich er¬<lb/>
duldete Alles mit chri&#x017F;tlicher Ergebung, wie es meinem Stande<lb/>
ziemte. Die Unthätigkeit, zu welcher ich mich jetzt verurtheilt<lb/>
&#x017F;ah, la&#x017F;tete in den er&#x017F;ten Tagen &#x017F;chwer auf mir. Aber ich<lb/>
bedachte, wie Vieles, das mit den An&#x017F;chauungen meiner Vorge¬<lb/>
&#x017F;etzten nicht im Wider&#x017F;pruche &#x017F;tand, ich noch zu lernen hatte;<lb/></p>
    </body>
  </text>
</TEI>
[39/0055] Frömmigkeit in Zweifel zu ziehen. Neid und Mißgunſt waren, wie überall in der Welt, ſo auch in unſerem Kloſter anzu¬ treffen, und hatten die Gelegenheit wahrgenommen, meine harm¬ loſen Naturſtudien zu verdächtigen und anzuſchwärzen. Es verlautete nämlich, daß ich die Zeit, während welcher die an¬ dern Patres im ſchattigen Garten beſchaulicher Muße oblagen, ein Spielchen machten oder Spaziergänge in der Stadt unternahmen, mit verruchten, allen kirchlichen Dogmen hohnſprechenden Experimenten hinbringe, zu welchem Zwecke ich eine ganze Teufelsküche und die Werke aller alten und modernen Atheiſten in einem Wandſchranke meines Zimmers verborgen halte. Der damalige Abt, eine ängſtliche, etwas beſchränkte Natur, fand ſich durch dieſes Gerede veran¬ laßt, mich eines Tages in Begleitung noch zweier Mitglieder bei meinen einſamen Studien zu überraſchen, alles dazu Ge¬ hörige in Beſchlag zu nehmen und mir nach einem Verweiſe anzurathen, meine Fähigkeiten künftighin einer beſſeren Sache zuzuwenden. Es war ein tiefer Schmerz, den ich empfand, als man mir meine Apparate und Bücher forttrug. Ein bitteres, niederdrückendes Gefühl überkam mich; aber ich er¬ duldete Alles mit chriſtlicher Ergebung, wie es meinem Stande ziemte. Die Unthätigkeit, zu welcher ich mich jetzt verurtheilt ſah, laſtete in den erſten Tagen ſchwer auf mir. Aber ich bedachte, wie Vieles, das mit den Anſchauungen meiner Vorge¬ ſetzten nicht im Widerſpruche ſtand, ich noch zu lernen hatte;

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/saar_novellen_1877
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/saar_novellen_1877/55
Zitationshilfe: Saar, Ferdinand von: Novellen aus Österreich. Heidelberg, 1877, S. 39. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/saar_novellen_1877/55>, abgerufen am 14.05.2024.