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Saar, Ferdinand von: Novellen aus Österreich. Heidelberg, 1877.

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Als ich wieder in die Stube trat, hörte ich, wie eben der
Knabe sagte: "Wie wohl der Mutter die kalten Umschläge
thun! Der dumme Chirurg! Das hätte er auch wissen sollen".

"Siehst du, Ludmilla", sagte jetzt der Zeugwart, "wie
gut es war, daß ich darauf bestand, du solltest den geistlichen
Herrn rufen."

"Ach ja;" erwiederte sie indem sie mich mit ihren großen
nußbraunen Augen tief ansah, "aber es that mir so weh,
daran zu glauben, daß es mit der Mutter schon so schlimm
stehe."

Ich hatte kühlende Pflanzensäfte mitgebracht und goß
davon in ein Glas Wasser, das ich an den lechzenden Mund
der Kranken brachte. Kaum spürte diese das Naß an den
Lippen, als sie es, obgleich noch immer bewußtlos, instinkt¬
mäßig mit gierigen Zügen einschluckte.

Mittlerweile hatte der Zeugwart nach der Uhr gesehen,
zögernd seine Uniform zugeknöpft und den Säbel umgeschnallt.
"Der Dienst ruft mich," sagte er, als ich ihm einen Blick
zuwarf. Ich muß die Nachtrunde um das Fort und die
Pulvermagazine machen. Es ist mir noch nie so schwer ge¬
fallen wie heute."

"Gehen Sie unbesorgt", erwiederte ich, "ich will ihre
Zurückkunft hier abwarten. Bis dahin soll sich, wie ich hoffe,
Ihre Frau schon merklich besser befinden."

Der alte Soldat beugte sich über die Kranke und horchte

Als ich wieder in die Stube trat, hörte ich, wie eben der
Knabe ſagte: „Wie wohl der Mutter die kalten Umſchläge
thun! Der dumme Chirurg! Das hätte er auch wiſſen ſollen“.

„Siehſt du, Ludmilla“, ſagte jetzt der Zeugwart, „wie
gut es war, daß ich darauf beſtand, du ſollteſt den geiſtlichen
Herrn rufen.“

„Ach ja;“ erwiederte ſie indem ſie mich mit ihren großen
nußbraunen Augen tief anſah, „aber es that mir ſo weh,
daran zu glauben, daß es mit der Mutter ſchon ſo ſchlimm
ſtehe.“

Ich hatte kühlende Pflanzenſäfte mitgebracht und goß
davon in ein Glas Waſſer, das ich an den lechzenden Mund
der Kranken brachte. Kaum ſpürte dieſe das Naß an den
Lippen, als ſie es, obgleich noch immer bewußtlos, inſtinkt¬
mäßig mit gierigen Zügen einſchluckte.

Mittlerweile hatte der Zeugwart nach der Uhr geſehen,
zögernd ſeine Uniform zugeknöpft und den Säbel umgeſchnallt.
„Der Dienſt ruft mich,“ ſagte er, als ich ihm einen Blick
zuwarf. Ich muß die Nachtrunde um das Fort und die
Pulvermagazine machen. Es iſt mir noch nie ſo ſchwer ge¬
fallen wie heute.“

„Gehen Sie unbeſorgt“, erwiederte ich, „ich will ihre
Zurückkunft hier abwarten. Bis dahin ſoll ſich, wie ich hoffe,
Ihre Frau ſchon merklich beſſer befinden.“

Der alte Soldat beugte ſich über die Kranke und horchte

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[47/0063] Als ich wieder in die Stube trat, hörte ich, wie eben der Knabe ſagte: „Wie wohl der Mutter die kalten Umſchläge thun! Der dumme Chirurg! Das hätte er auch wiſſen ſollen“. „Siehſt du, Ludmilla“, ſagte jetzt der Zeugwart, „wie gut es war, daß ich darauf beſtand, du ſollteſt den geiſtlichen Herrn rufen.“ „Ach ja;“ erwiederte ſie indem ſie mich mit ihren großen nußbraunen Augen tief anſah, „aber es that mir ſo weh, daran zu glauben, daß es mit der Mutter ſchon ſo ſchlimm ſtehe.“ Ich hatte kühlende Pflanzenſäfte mitgebracht und goß davon in ein Glas Waſſer, das ich an den lechzenden Mund der Kranken brachte. Kaum ſpürte dieſe das Naß an den Lippen, als ſie es, obgleich noch immer bewußtlos, inſtinkt¬ mäßig mit gierigen Zügen einſchluckte. Mittlerweile hatte der Zeugwart nach der Uhr geſehen, zögernd ſeine Uniform zugeknöpft und den Säbel umgeſchnallt. „Der Dienſt ruft mich,“ ſagte er, als ich ihm einen Blick zuwarf. Ich muß die Nachtrunde um das Fort und die Pulvermagazine machen. Es iſt mir noch nie ſo ſchwer ge¬ fallen wie heute.“ „Gehen Sie unbeſorgt“, erwiederte ich, „ich will ihre Zurückkunft hier abwarten. Bis dahin ſoll ſich, wie ich hoffe, Ihre Frau ſchon merklich beſſer befinden.“ Der alte Soldat beugte ſich über die Kranke und horchte

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Zitationshilfe: Saar, Ferdinand von: Novellen aus Österreich. Heidelberg, 1877, S. 47. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/saar_novellen_1877/63>, abgerufen am 24.11.2024.