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Saar, Ferdinand von: Novellen aus Österreich. Heidelberg, 1877.

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Er schwieg einen Augenblick, wie um eine innere Erre¬
gung auszittern zu lassen und fuhr dann in etwas gedämpftem
Tone fort: "Am Horizont stand schon ein blaßgelber Streif,
als ich nach Hause zurückkehrte. Ich warf mich angekleidet
auf's Bett und versank in einen kurzen, von wüsten Traum¬
bildern geängstigten Schlummer. Beim Erwachen lag das
Dasein fremdartig vor mir, ein einziger großer Schmerz. Der
Arzt erschien und ich ging zögernd mit ihm hinüber. Er er¬
klärte den Zustand der Kranken für keinen sehr gefährlichen
und verordnete einiges, während ich mit bebender Seele abseits
stand und den Blicken Ludmilla's auswich, die sie, um die
Mutter beschäftigt, voll innigen Dankes gegen mich aufschlug.
Ich war froh, als ich mich mit dem Arzte wieder entfernen
konnte. Es litt mich aber nicht zu Hause, sondern ich irrte
zeitvergessen in der Citadelle umher, warf mich hier und da
erschöpft auf eine Schanze nieder und brütete vor mich hin.
In dieser dumpfen, ruhelosen Unthätigkeit vergingen die näch¬
sten Tage. Ein schleichendes, markverzehrendes Feuer war in
meinem Innern entglommen und lohte oft in so wilden, niege¬
kannten Wünschen auf, daß ich vor mir selbst erschrack. In
meiner Seelenangst schloß ich mich dann oft stundenlang in
der kühlen, dunklen Kirche ein, um durch reumüthiges Gebet
mein Inneres zu läutern und der schwülen Traumhaftigkeit
meiner Sinne Herr zu werden. Aber umsonst: auf der Lippe
die das peccavi sprach, zitterte die wonnige Berührung mit

Er ſchwieg einen Augenblick, wie um eine innere Erre¬
gung auszittern zu laſſen und fuhr dann in etwas gedämpftem
Tone fort: „Am Horizont ſtand ſchon ein blaßgelber Streif,
als ich nach Hauſe zurückkehrte. Ich warf mich angekleidet
auf's Bett und verſank in einen kurzen, von wüſten Traum¬
bildern geängſtigten Schlummer. Beim Erwachen lag das
Daſein fremdartig vor mir, ein einziger großer Schmerz. Der
Arzt erſchien und ich ging zögernd mit ihm hinüber. Er er¬
klärte den Zuſtand der Kranken für keinen ſehr gefährlichen
und verordnete einiges, während ich mit bebender Seele abſeits
ſtand und den Blicken Ludmilla's auswich, die ſie, um die
Mutter beſchäftigt, voll innigen Dankes gegen mich aufſchlug.
Ich war froh, als ich mich mit dem Arzte wieder entfernen
konnte. Es litt mich aber nicht zu Hauſe, ſondern ich irrte
zeitvergeſſen in der Citadelle umher, warf mich hier und da
erſchöpft auf eine Schanze nieder und brütete vor mich hin.
In dieſer dumpfen, ruheloſen Unthätigkeit vergingen die näch¬
ſten Tage. Ein ſchleichendes, markverzehrendes Feuer war in
meinem Innern entglommen und lohte oft in ſo wilden, niege¬
kannten Wünſchen auf, daß ich vor mir ſelbſt erſchrack. In
meiner Seelenangſt ſchloß ich mich dann oft ſtundenlang in
der kühlen, dunklen Kirche ein, um durch reumüthiges Gebet
mein Inneres zu läutern und der ſchwülen Traumhaftigkeit
meiner Sinne Herr zu werden. Aber umſonſt: auf der Lippe
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[53/0069] Er ſchwieg einen Augenblick, wie um eine innere Erre¬ gung auszittern zu laſſen und fuhr dann in etwas gedämpftem Tone fort: „Am Horizont ſtand ſchon ein blaßgelber Streif, als ich nach Hauſe zurückkehrte. Ich warf mich angekleidet auf's Bett und verſank in einen kurzen, von wüſten Traum¬ bildern geängſtigten Schlummer. Beim Erwachen lag das Daſein fremdartig vor mir, ein einziger großer Schmerz. Der Arzt erſchien und ich ging zögernd mit ihm hinüber. Er er¬ klärte den Zuſtand der Kranken für keinen ſehr gefährlichen und verordnete einiges, während ich mit bebender Seele abſeits ſtand und den Blicken Ludmilla's auswich, die ſie, um die Mutter beſchäftigt, voll innigen Dankes gegen mich aufſchlug. Ich war froh, als ich mich mit dem Arzte wieder entfernen konnte. Es litt mich aber nicht zu Hauſe, ſondern ich irrte zeitvergeſſen in der Citadelle umher, warf mich hier und da erſchöpft auf eine Schanze nieder und brütete vor mich hin. In dieſer dumpfen, ruheloſen Unthätigkeit vergingen die näch¬ ſten Tage. Ein ſchleichendes, markverzehrendes Feuer war in meinem Innern entglommen und lohte oft in ſo wilden, niege¬ kannten Wünſchen auf, daß ich vor mir ſelbſt erſchrack. In meiner Seelenangſt ſchloß ich mich dann oft ſtundenlang in der kühlen, dunklen Kirche ein, um durch reumüthiges Gebet mein Inneres zu läutern und der ſchwülen Traumhaftigkeit meiner Sinne Herr zu werden. Aber umſonſt: auf der Lippe die das peccavi ſprach, zitterte die wonnige Berührung mit

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Zitationshilfe: Saar, Ferdinand von: Novellen aus Österreich. Heidelberg, 1877, S. 53. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/saar_novellen_1877/69>, abgerufen am 24.11.2024.