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Saar, Ferdinand von: Novellen aus Österreich. Heidelberg, 1877.

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lebt ja noch! O pfui, über den Egoismus, über die Theil¬
nahmslosigkeit der Welt!" Und er warf sich wieder auf's
Antlitz.

Betroffen über das Mißlingen seiner List, schlug Richard
die Augen zu Boden.

"Ich bitte Sie, hochwürdiger Herr", wandte sich der Vater
an mich, "helfen Sie uns doch den Unseligen trösten, auf daß
er diesen Ort verlasse, der seiner verzweiflungsvollen Stim¬
mung nur immer neue Nahrung gibt."

Arthur erhob abwehrend die Hand. "Ich brauche keine
leeren Worte. Der geistliche Herr soll sich keine Mühe geben.
Seine Vertröstungen auf ein Wiedersehen im Jenseits erinnern
mich nur daran, daß ich hier auf Erden Alles verloren und
daß mir nichts anderes übrig bleibt, als auf diesem Grabe zu
sterben!"

"Arthur, du versündigst dich!" rief der alte Herr und
warf mir einen Blick zu, der für die Worte des Sohnes um
Entschuldigung bat.

"Lassen Sie ihn", sagte ich. "Ich fühle es ja nur zu
gut, daß ihm jeder Trost leer und ungenügend erscheinen
muß."

Diese Worte, die mir aus der tiefsten Seele kamen, schien
der Jüngling nicht erwartet zu haben. Er hob das Haupt
empor und sah mich lange und schweigend an. "Das sagen
Sie", sprach er endlich, "Sie, der Sie nie geliebt?"

lebt ja noch! O pfui, über den Egoismus, über die Theil¬
nahmsloſigkeit der Welt!“ Und er warf ſich wieder auf's
Antlitz.

Betroffen über das Mißlingen ſeiner Liſt, ſchlug Richard
die Augen zu Boden.

„Ich bitte Sie, hochwürdiger Herr“, wandte ſich der Vater
an mich, „helfen Sie uns doch den Unſeligen tröſten, auf daß
er dieſen Ort verlaſſe, der ſeiner verzweiflungsvollen Stim¬
mung nur immer neue Nahrung gibt.“

Arthur erhob abwehrend die Hand. „Ich brauche keine
leeren Worte. Der geiſtliche Herr ſoll ſich keine Mühe geben.
Seine Vertröſtungen auf ein Wiederſehen im Jenſeits erinnern
mich nur daran, daß ich hier auf Erden Alles verloren und
daß mir nichts anderes übrig bleibt, als auf dieſem Grabe zu
ſterben!“

„Arthur, du verſündigſt dich!“ rief der alte Herr und
warf mir einen Blick zu, der für die Worte des Sohnes um
Entſchuldigung bat.

„Laſſen Sie ihn“, ſagte ich. „Ich fühle es ja nur zu
gut, daß ihm jeder Troſt leer und ungenügend erſcheinen
muß.“

Dieſe Worte, die mir aus der tiefſten Seele kamen, ſchien
der Jüngling nicht erwartet zu haben. Er hob das Haupt
empor und ſah mich lange und ſchweigend an. „Das ſagen
Sie“, ſprach er endlich, „Sie, der Sie nie geliebt?“

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[66/0082] lebt ja noch! O pfui, über den Egoismus, über die Theil¬ nahmsloſigkeit der Welt!“ Und er warf ſich wieder auf's Antlitz. Betroffen über das Mißlingen ſeiner Liſt, ſchlug Richard die Augen zu Boden. „Ich bitte Sie, hochwürdiger Herr“, wandte ſich der Vater an mich, „helfen Sie uns doch den Unſeligen tröſten, auf daß er dieſen Ort verlaſſe, der ſeiner verzweiflungsvollen Stim¬ mung nur immer neue Nahrung gibt.“ Arthur erhob abwehrend die Hand. „Ich brauche keine leeren Worte. Der geiſtliche Herr ſoll ſich keine Mühe geben. Seine Vertröſtungen auf ein Wiederſehen im Jenſeits erinnern mich nur daran, daß ich hier auf Erden Alles verloren und daß mir nichts anderes übrig bleibt, als auf dieſem Grabe zu ſterben!“ „Arthur, du verſündigſt dich!“ rief der alte Herr und warf mir einen Blick zu, der für die Worte des Sohnes um Entſchuldigung bat. „Laſſen Sie ihn“, ſagte ich. „Ich fühle es ja nur zu gut, daß ihm jeder Troſt leer und ungenügend erſcheinen muß.“ Dieſe Worte, die mir aus der tiefſten Seele kamen, ſchien der Jüngling nicht erwartet zu haben. Er hob das Haupt empor und ſah mich lange und ſchweigend an. „Das ſagen Sie“, ſprach er endlich, „Sie, der Sie nie geliebt?“

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Zitationshilfe: Saar, Ferdinand von: Novellen aus Österreich. Heidelberg, 1877, S. 66. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/saar_novellen_1877/82>, abgerufen am 14.05.2024.