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Saar, Ferdinand von: Novellen aus Österreich. Heidelberg, 1877.

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Ich sah eine Weile dem fortrollenden Wagen nach; dann
kehrte ich langsam zurück. Eine geheimnißvolle Macht trieb
mich noch einmal in den Friedhof. Da stand ich nun allein
inmitten der Gräber. Wie still war es um mich her! Nur
manchmal rauschte ein kühler, feuchter Windstoß in den Trauer¬
weiden und Cypressen und strich mit leisem Klingen durch die
metallenen Kreuze. Die Schauer der Vergänglichkeit quollen
und rieselten durch die Luft und aus allen Hügeln schwieg
mich das große Räthsel des Todes an. Ein tiefes, wohl¬
thuendes Gefühl von der Nichtigkeit des Daseins überkam mich
und eine hehre Freude zitterte in meiner Brust auf. "Ja,"
rief ich und breitete die Arme aus: "Zweifach wird die Welt
überwunden: entweder grausam durch den Tod, der alles
Irdische des gleißenden Schimmers entkleidet und Moder und
Verwesung bloßlegt, oder schön und herrlich durch den Muth
der Entsagung, den Christus gepredigt und auf Golgatha be¬
siegelt." Und immer freier, immer leichter wurde mir; wie
stückweis fiel es von mir ab, und gleich Flügeln fühlt' ich es
an den Schultern. Als ich mich später, einem innern Drange
folgend, an die Orgel setzte, da stimmten die rauschenden,
langgezogenen Töne wieder ganz zu dem feierlichen Ernste,
zu der tiefen Ruhe meiner Seele. --

"Und so," fuhr er fort, während sich noch der Nach¬
glanz jener erhabenen Stunde in seinen Augen spiegelte, "so
lebte ich wieder, mit dem stärkenden Bewußtsein meiner Pflicht

Ich ſah eine Weile dem fortrollenden Wagen nach; dann
kehrte ich langſam zurück. Eine geheimnißvolle Macht trieb
mich noch einmal in den Friedhof. Da ſtand ich nun allein
inmitten der Gräber. Wie ſtill war es um mich her! Nur
manchmal rauſchte ein kühler, feuchter Windſtoß in den Trauer¬
weiden und Cypreſſen und ſtrich mit leiſem Klingen durch die
metallenen Kreuze. Die Schauer der Vergänglichkeit quollen
und rieſelten durch die Luft und aus allen Hügeln ſchwieg
mich das große Räthſel des Todes an. Ein tiefes, wohl¬
thuendes Gefühl von der Nichtigkeit des Daſeins überkam mich
und eine hehre Freude zitterte in meiner Bruſt auf. „Ja,“
rief ich und breitete die Arme aus: „Zweifach wird die Welt
überwunden: entweder grauſam durch den Tod, der alles
Irdiſche des gleißenden Schimmers entkleidet und Moder und
Verweſung bloßlegt, oder ſchön und herrlich durch den Muth
der Entſagung, den Chriſtus gepredigt und auf Golgatha be¬
ſiegelt.“ Und immer freier, immer leichter wurde mir; wie
ſtückweis fiel es von mir ab, und gleich Flügeln fühlt' ich es
an den Schultern. Als ich mich ſpäter, einem innern Drange
folgend, an die Orgel ſetzte, da ſtimmten die rauſchenden,
langgezogenen Töne wieder ganz zu dem feierlichen Ernſte,
zu der tiefen Ruhe meiner Seele. —

„Und ſo,“ fuhr er fort, während ſich noch der Nach¬
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[72/0088] Ich ſah eine Weile dem fortrollenden Wagen nach; dann kehrte ich langſam zurück. Eine geheimnißvolle Macht trieb mich noch einmal in den Friedhof. Da ſtand ich nun allein inmitten der Gräber. Wie ſtill war es um mich her! Nur manchmal rauſchte ein kühler, feuchter Windſtoß in den Trauer¬ weiden und Cypreſſen und ſtrich mit leiſem Klingen durch die metallenen Kreuze. Die Schauer der Vergänglichkeit quollen und rieſelten durch die Luft und aus allen Hügeln ſchwieg mich das große Räthſel des Todes an. Ein tiefes, wohl¬ thuendes Gefühl von der Nichtigkeit des Daſeins überkam mich und eine hehre Freude zitterte in meiner Bruſt auf. „Ja,“ rief ich und breitete die Arme aus: „Zweifach wird die Welt überwunden: entweder grauſam durch den Tod, der alles Irdiſche des gleißenden Schimmers entkleidet und Moder und Verweſung bloßlegt, oder ſchön und herrlich durch den Muth der Entſagung, den Chriſtus gepredigt und auf Golgatha be¬ ſiegelt.“ Und immer freier, immer leichter wurde mir; wie ſtückweis fiel es von mir ab, und gleich Flügeln fühlt' ich es an den Schultern. Als ich mich ſpäter, einem innern Drange folgend, an die Orgel ſetzte, da ſtimmten die rauſchenden, langgezogenen Töne wieder ganz zu dem feierlichen Ernſte, zu der tiefen Ruhe meiner Seele. — „Und ſo,“ fuhr er fort, während ſich noch der Nach¬ glanz jener erhabenen Stunde in ſeinen Augen ſpiegelte, „ſo lebte ich wieder, mit dem ſtärkenden Bewußtſein meiner Pflicht

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Zitationshilfe: Saar, Ferdinand von: Novellen aus Österreich. Heidelberg, 1877, S. 72. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/saar_novellen_1877/88>, abgerufen am 24.11.2024.