Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Saar, Ferdinand von: Novellen aus Österreich. Heidelberg, 1877.

Bild:
<< vorherige Seite

tragen, wenn ich Ihnen bekenne, daß mir damals Ihr Lied
sehr weh gethan. Während Sie dort unten an der Seite Ihrer
Geliebten und von froher Gesellschaft umringt, vorüberfuhren,
stand ich hier oben allein, einsam, die Brust voll namenloser
Sehnsucht nach den Freuden, davon Sie sangen, und die mir
verwehrt waren, ewig verwehrt bleiben müssen. Wenn Sie
der Schmerz über Ihren Verlust wieder mit seiner ganzen
Wucht befällt und Sie zu überwältigen droht, dann denken
Sie derer, die an den schönsten Verheißungen, an den holde¬
sten Genüssen dieser Welt bebenden Herzens und mit dem
Entsagungsworte auf den Lippen vorübergehen müssen." Ich
hatte bei diesen Worten die Hand des Jünglings ergriffen, der
sich willig und fügsam von mir fortführen ließ. Als wir an
dem Friedhofe vorbei kamen, wollte er nochmals hineingehen.
"Nicht doch," bat der alte Herr, der schon froh war, seinen
Sohn gefaßter zu sehen, und stellte sich ihm in den Weg.
"Nur noch den letzten Abschied, Vater," sagte Arthur, indem
er ihn sanft bei Seite schob und durch das Gitter trat. Wir
Andern folgten. Er blickte eine Zeit lang mit gesenktem
Haupte schweigend auf den Hügel nieder, dann nahm er den
Arm seines Vaters und ging. Ich begleitete sie noch bis an
ihren Wagen, der in der Nähe hielt. Beim Abschiede sagte
der Jüngling: "Leben Sie wohl, ich werde Sie und Ihre
Worte niemals vergessen." Die beiden Andern drückten mir
mit stummem Danke die Hand.

tragen, wenn ich Ihnen bekenne, daß mir damals Ihr Lied
ſehr weh gethan. Während Sie dort unten an der Seite Ihrer
Geliebten und von froher Geſellſchaft umringt, vorüberfuhren,
ſtand ich hier oben allein, einſam, die Bruſt voll namenloſer
Sehnſucht nach den Freuden, davon Sie ſangen, und die mir
verwehrt waren, ewig verwehrt bleiben müſſen. Wenn Sie
der Schmerz über Ihren Verluſt wieder mit ſeiner ganzen
Wucht befällt und Sie zu überwältigen droht, dann denken
Sie derer, die an den ſchönſten Verheißungen, an den holde¬
ſten Genüſſen dieſer Welt bebenden Herzens und mit dem
Entſagungsworte auf den Lippen vorübergehen müſſen.“ Ich
hatte bei dieſen Worten die Hand des Jünglings ergriffen, der
ſich willig und fügſam von mir fortführen ließ. Als wir an
dem Friedhofe vorbei kamen, wollte er nochmals hineingehen.
„Nicht doch,“ bat der alte Herr, der ſchon froh war, ſeinen
Sohn gefaßter zu ſehen, und ſtellte ſich ihm in den Weg.
„Nur noch den letzten Abſchied, Vater,“ ſagte Arthur, indem
er ihn ſanft bei Seite ſchob und durch das Gitter trat. Wir
Andern folgten. Er blickte eine Zeit lang mit geſenktem
Haupte ſchweigend auf den Hügel nieder, dann nahm er den
Arm ſeines Vaters und ging. Ich begleitete ſie noch bis an
ihren Wagen, der in der Nähe hielt. Beim Abſchiede ſagte
der Jüngling: „Leben Sie wohl, ich werde Sie und Ihre
Worte niemals vergeſſen.“ Die beiden Andern drückten mir
mit ſtummem Danke die Hand.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <p><pb facs="#f0087" n="71"/>
tragen, wenn ich Ihnen bekenne, daß mir damals Ihr Lied<lb/>
&#x017F;ehr weh gethan. Während Sie dort unten an der Seite Ihrer<lb/>
Geliebten und von froher Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft umringt, vorüberfuhren,<lb/>
&#x017F;tand ich hier oben allein, ein&#x017F;am, die Bru&#x017F;t voll namenlo&#x017F;er<lb/>
Sehn&#x017F;ucht nach den Freuden, davon Sie &#x017F;angen, und die mir<lb/>
verwehrt waren, ewig verwehrt bleiben mü&#x017F;&#x017F;en. Wenn Sie<lb/>
der Schmerz über Ihren Verlu&#x017F;t wieder mit &#x017F;einer ganzen<lb/>
Wucht befällt und Sie zu überwältigen droht, dann denken<lb/>
Sie derer, die an den &#x017F;chön&#x017F;ten Verheißungen, an den holde¬<lb/>
&#x017F;ten Genü&#x017F;&#x017F;en die&#x017F;er Welt bebenden Herzens und mit dem<lb/>
Ent&#x017F;agungsworte auf den Lippen vorübergehen mü&#x017F;&#x017F;en.&#x201C; Ich<lb/>
hatte bei die&#x017F;en Worten die Hand des Jünglings ergriffen, der<lb/>
&#x017F;ich willig und füg&#x017F;am von mir fortführen ließ. Als wir an<lb/>
dem Friedhofe vorbei kamen, wollte er nochmals hineingehen.<lb/>
&#x201E;Nicht doch,&#x201C; bat der alte Herr, der &#x017F;chon froh war, &#x017F;einen<lb/>
Sohn gefaßter zu &#x017F;ehen, und &#x017F;tellte &#x017F;ich ihm in den Weg.<lb/>
&#x201E;Nur noch den letzten Ab&#x017F;chied, Vater,&#x201C; &#x017F;agte Arthur, indem<lb/>
er ihn &#x017F;anft bei Seite &#x017F;chob und durch das Gitter trat. Wir<lb/>
Andern folgten. Er blickte eine Zeit lang mit ge&#x017F;enktem<lb/>
Haupte &#x017F;chweigend auf den Hügel nieder, dann nahm er den<lb/>
Arm &#x017F;eines Vaters und ging. Ich begleitete &#x017F;ie noch bis an<lb/>
ihren Wagen, der in der Nähe hielt. Beim Ab&#x017F;chiede &#x017F;agte<lb/>
der Jüngling: &#x201E;Leben Sie wohl, ich werde Sie und Ihre<lb/>
Worte niemals verge&#x017F;&#x017F;en.&#x201C; Die beiden Andern drückten mir<lb/>
mit &#x017F;tummem Danke die Hand.</p><lb/>
    </body>
  </text>
</TEI>
[71/0087] tragen, wenn ich Ihnen bekenne, daß mir damals Ihr Lied ſehr weh gethan. Während Sie dort unten an der Seite Ihrer Geliebten und von froher Geſellſchaft umringt, vorüberfuhren, ſtand ich hier oben allein, einſam, die Bruſt voll namenloſer Sehnſucht nach den Freuden, davon Sie ſangen, und die mir verwehrt waren, ewig verwehrt bleiben müſſen. Wenn Sie der Schmerz über Ihren Verluſt wieder mit ſeiner ganzen Wucht befällt und Sie zu überwältigen droht, dann denken Sie derer, die an den ſchönſten Verheißungen, an den holde¬ ſten Genüſſen dieſer Welt bebenden Herzens und mit dem Entſagungsworte auf den Lippen vorübergehen müſſen.“ Ich hatte bei dieſen Worten die Hand des Jünglings ergriffen, der ſich willig und fügſam von mir fortführen ließ. Als wir an dem Friedhofe vorbei kamen, wollte er nochmals hineingehen. „Nicht doch,“ bat der alte Herr, der ſchon froh war, ſeinen Sohn gefaßter zu ſehen, und ſtellte ſich ihm in den Weg. „Nur noch den letzten Abſchied, Vater,“ ſagte Arthur, indem er ihn ſanft bei Seite ſchob und durch das Gitter trat. Wir Andern folgten. Er blickte eine Zeit lang mit geſenktem Haupte ſchweigend auf den Hügel nieder, dann nahm er den Arm ſeines Vaters und ging. Ich begleitete ſie noch bis an ihren Wagen, der in der Nähe hielt. Beim Abſchiede ſagte der Jüngling: „Leben Sie wohl, ich werde Sie und Ihre Worte niemals vergeſſen.“ Die beiden Andern drückten mir mit ſtummem Danke die Hand.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/saar_novellen_1877
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/saar_novellen_1877/87
Zitationshilfe: Saar, Ferdinand von: Novellen aus Österreich. Heidelberg, 1877, S. 71. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/saar_novellen_1877/87>, abgerufen am 14.05.2024.