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Saar, Ferdinand von: Novellen aus Österreich. Heidelberg, 1877.

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Anfang Mai.

Nun bin ich wieder so recht in meinem Elemente! Rings
um mich her blühen Flieder und Goldregen, und fast kein
Laut menschlicher Nähe dringt in den Garten, der frisch und
duftig gleich einer weltvergessenen Oase zwischen stauberfüllten
Gassen und Gäßchen mitten inne liegt. Einige Baumwipfel
sind während der letzten Jahre so mächtig geworden, daß sie
den Horizont an vielen Stellen ganz abschließen; nur die
allernächsten Dächer kommen hie und da zum Vorschein, und
wie meilenweit entfernt ragt die Thurmspitze des Stephans¬
domes in den blauen Himmel hinein. Zuweilen tönt das
dumpfe Rollen eines Wagens an mein Ohr, der helle Ruf
einer Kinderstimme -- dann wieder stundenlang nichts, als
das Summen wühlender Bienen und das Gezwitscher der
Sperlinge, auf welche die Hauskatze in ihrer versteckten Weise
Jagd macht. Wie wohl thut mir diese Ruhe, diese Ab¬
geschiedenheit!

Einem Traume gleich verdämmert in mir die Er¬
innerung an all' die ungewohnten Zerstreuungen und
Festlichkeiten, und schaffensfroh, in holder Gleichmäßig¬
keit fließen meine Tage dahin. Das unselige Werk, das
mir schon so viele fruchtlose Mühe, so viele herbe Qualen
und Zweifel bereitet, wächst allmälig seiner Vollendung ent¬

Anfang Mai.

Nun bin ich wieder ſo recht in meinem Elemente! Rings
um mich her blühen Flieder und Goldregen, und faſt kein
Laut menſchlicher Nähe dringt in den Garten, der friſch und
duftig gleich einer weltvergeſſenen Oaſe zwiſchen ſtauberfüllten
Gaſſen und Gäßchen mitten inne liegt. Einige Baumwipfel
ſind während der letzten Jahre ſo mächtig geworden, daß ſie
den Horizont an vielen Stellen ganz abſchließen; nur die
allernächſten Dächer kommen hie und da zum Vorſchein, und
wie meilenweit entfernt ragt die Thurmſpitze des Stephans¬
domes in den blauen Himmel hinein. Zuweilen tönt das
dumpfe Rollen eines Wagens an mein Ohr, der helle Ruf
einer Kinderſtimme — dann wieder ſtundenlang nichts, als
das Summen wühlender Bienen und das Gezwitſcher der
Sperlinge, auf welche die Hauskatze in ihrer verſteckten Weiſe
Jagd macht. Wie wohl thut mir dieſe Ruhe, dieſe Ab¬
geſchiedenheit!

Einem Traume gleich verdämmert in mir die Er¬
innerung an all' die ungewohnten Zerſtreuungen und
Feſtlichkeiten, und ſchaffensfroh, in holder Gleichmäßig¬
keit fließen meine Tage dahin. Das unſelige Werk, das
mir ſchon ſo viele fruchtloſe Mühe, ſo viele herbe Qualen
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[82/0098] Anfang Mai. Nun bin ich wieder ſo recht in meinem Elemente! Rings um mich her blühen Flieder und Goldregen, und faſt kein Laut menſchlicher Nähe dringt in den Garten, der friſch und duftig gleich einer weltvergeſſenen Oaſe zwiſchen ſtauberfüllten Gaſſen und Gäßchen mitten inne liegt. Einige Baumwipfel ſind während der letzten Jahre ſo mächtig geworden, daß ſie den Horizont an vielen Stellen ganz abſchließen; nur die allernächſten Dächer kommen hie und da zum Vorſchein, und wie meilenweit entfernt ragt die Thurmſpitze des Stephans¬ domes in den blauen Himmel hinein. Zuweilen tönt das dumpfe Rollen eines Wagens an mein Ohr, der helle Ruf einer Kinderſtimme — dann wieder ſtundenlang nichts, als das Summen wühlender Bienen und das Gezwitſcher der Sperlinge, auf welche die Hauskatze in ihrer verſteckten Weiſe Jagd macht. Wie wohl thut mir dieſe Ruhe, dieſe Ab¬ geſchiedenheit! Einem Traume gleich verdämmert in mir die Er¬ innerung an all' die ungewohnten Zerſtreuungen und Feſtlichkeiten, und ſchaffensfroh, in holder Gleichmäßig¬ keit fließen meine Tage dahin. Das unſelige Werk, das mir ſchon ſo viele fruchtloſe Mühe, ſo viele herbe Qualen und Zweifel bereitet, wächſt allmälig ſeiner Vollendung ent¬

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Zitationshilfe: Saar, Ferdinand von: Novellen aus Österreich. Heidelberg, 1877, S. 82. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/saar_novellen_1877/98>, abgerufen am 24.11.2024.