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Saar, Ferdinand von: Novellen aus Österreich. Heidelberg, 1877.

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Arbeiten saß. So hell und freundlich wie damals ist es nun
allerdings bei mir nicht mehr. Denn man hat meinen Fen¬
stern gegenüber, an der Stelle des Holzplatzes mit den präch¬
tigen Nußbäumen, ein hohes palastähnliches Gebäude aufge¬
führt, das mir Luft und Sonne nimmt; wie denn überhaupt
die weitläufige Gasse, in der es, wie Du weißt, vor einigen
Jahren noch ganz ländlich aussah, mehr und mehr durch gro߬
städtische Wohnkasernen verengt und verdüstert wird. Doch
dafür entschädigt mich ja unser Hausgarten, welcher bis jetzt
-- dem Himmel sei Dank! -- der allgemeinen Bauwuth ent¬
gangen ist. Ich habe dort stets meine glücklichsten Schaffens¬
stunden gehabt, und schon beginnt der Lenz in dem kleinen
Stückchen Natur seine ersten Reize zu entfalten. In hellem
Grün schimmert der Rasen; das Aprikosenspalier ist mit
weißen Blüthen bedeckt -- selbst der alte Apfelbaum, auf
dessen Stamm ich heute einen goldbraunen Schmetterling sitzen
sah, treibt breite Knospen. Den Dir wohlbekannten verwit¬
terten Pavillon mit dem schmalen Rohrsopha und den gebrech¬
lichen Stühlen will ich auch diesmal wieder in Beschlag nehmen,
und so hoff' ich bald alles Versäumte nachholen und so man¬
chem mißgünstigen Zweifler und Kopfschüttler erweisen zu
können, daß ich mein Tiefstes und Bestes noch lange nicht
gebracht!


Saar, Novellen aus Oesterreich. 6

Arbeiten ſaß. So hell und freundlich wie damals iſt es nun
allerdings bei mir nicht mehr. Denn man hat meinen Fen¬
ſtern gegenüber, an der Stelle des Holzplatzes mit den präch¬
tigen Nußbäumen, ein hohes palaſtähnliches Gebäude aufge¬
führt, das mir Luft und Sonne nimmt; wie denn überhaupt
die weitläufige Gaſſe, in der es, wie Du weißt, vor einigen
Jahren noch ganz ländlich ausſah, mehr und mehr durch gro߬
ſtädtiſche Wohnkaſernen verengt und verdüſtert wird. Doch
dafür entſchädigt mich ja unſer Hausgarten, welcher bis jetzt
— dem Himmel ſei Dank! — der allgemeinen Bauwuth ent¬
gangen iſt. Ich habe dort ſtets meine glücklichſten Schaffens¬
ſtunden gehabt, und ſchon beginnt der Lenz in dem kleinen
Stückchen Natur ſeine erſten Reize zu entfalten. In hellem
Grün ſchimmert der Raſen; das Aprikoſenſpalier iſt mit
weißen Blüthen bedeckt — ſelbſt der alte Apfelbaum, auf
deſſen Stamm ich heute einen goldbraunen Schmetterling ſitzen
ſah, treibt breite Knoſpen. Den Dir wohlbekannten verwit¬
terten Pavillon mit dem ſchmalen Rohrſopha und den gebrech¬
lichen Stühlen will ich auch diesmal wieder in Beſchlag nehmen,
und ſo hoff' ich bald alles Verſäumte nachholen und ſo man¬
chem mißgünſtigen Zweifler und Kopfſchüttler erweiſen zu
können, daß ich mein Tiefſtes und Beſtes noch lange nicht
gebracht!


Saar, Novellen aus Oeſterreich. 6
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[81/0097] Arbeiten ſaß. So hell und freundlich wie damals iſt es nun allerdings bei mir nicht mehr. Denn man hat meinen Fen¬ ſtern gegenüber, an der Stelle des Holzplatzes mit den präch¬ tigen Nußbäumen, ein hohes palaſtähnliches Gebäude aufge¬ führt, das mir Luft und Sonne nimmt; wie denn überhaupt die weitläufige Gaſſe, in der es, wie Du weißt, vor einigen Jahren noch ganz ländlich ausſah, mehr und mehr durch gro߬ ſtädtiſche Wohnkaſernen verengt und verdüſtert wird. Doch dafür entſchädigt mich ja unſer Hausgarten, welcher bis jetzt — dem Himmel ſei Dank! — der allgemeinen Bauwuth ent¬ gangen iſt. Ich habe dort ſtets meine glücklichſten Schaffens¬ ſtunden gehabt, und ſchon beginnt der Lenz in dem kleinen Stückchen Natur ſeine erſten Reize zu entfalten. In hellem Grün ſchimmert der Raſen; das Aprikoſenſpalier iſt mit weißen Blüthen bedeckt — ſelbſt der alte Apfelbaum, auf deſſen Stamm ich heute einen goldbraunen Schmetterling ſitzen ſah, treibt breite Knoſpen. Den Dir wohlbekannten verwit¬ terten Pavillon mit dem ſchmalen Rohrſopha und den gebrech¬ lichen Stühlen will ich auch diesmal wieder in Beſchlag nehmen, und ſo hoff' ich bald alles Verſäumte nachholen und ſo man¬ chem mißgünſtigen Zweifler und Kopfſchüttler erweiſen zu können, daß ich mein Tiefſtes und Beſtes noch lange nicht gebracht! Saar, Novellen aus Oeſterreich. 6

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Zitationshilfe: Saar, Ferdinand von: Novellen aus Österreich. Heidelberg, 1877, S. 81. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/saar_novellen_1877/97>, abgerufen am 14.05.2024.