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Saar, Ferdinand von: Novellen aus Österreich. Heidelberg, 1877.

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gleichmäßigen Thätigkeit gelangen konnte. Und dabei noch
das hohle ästhetische Gewäsch, die anspruchsvolle Aufgeblasen¬
heit der Mitstrebenden und das drückende Gefühl, daß man
all' den Leuten, die Einem ihre schimmernden Prunkgemächer
öffnen, doch eigentlich nichts ist -- und auch nichts sein kann!
Wenn ich so in später Nacht mißmuthig und abgespannt aus
irgend einer glänzenden Gesellschaft in meine entlegene Vorstadt
zurückkehrte, da fiel mir dieser leidige Müßiggang stets schwer
auf's Herz, und mehr als einmal nahm ich mir vor, alle Be¬
ziehungen abzubrechen, in welche ich durch meine ersten
Erfolge so plötzlich hineingerathen war. Aber um diesen Ent¬
schluß auszuführen, hätt' ich geradezu rücksichtslos sein müssen,
und da dies nicht in meinem Wesen liegt, so blieb mir nichts
übrig, als wohl oder übel bis an's Ende auszuharren. --
Doch nun will ich mit doppeltem Behagen wieder ganz mir
selbst angehören und mich gleich einer Raupe in dem kleinen
Hause der guten Frau Heidrich einspinnen, deren Sohn noch
immer als Ingenieur an der fernen Bahnstrecke weilt, wohin
er sich im vorigen Sommer mit seiner Gattin, der Tochter eines
hiesigen Kaufmannes, gleich nach der Hochzeit begeben hatte.
Alles um mich her sieht mich wieder so bekannt und vertraut
an: die Bilder an den Wänden, die vergilbten Schiller- und
Göthe-Büsten, das alle treue Tintenfaß auf dem Schreibtische
-- und es weht durch meine Stube wie ein Hauch aus jenen
Tagen, wo ich noch in seliger Verborgenheit über meinen

gleichmäßigen Thätigkeit gelangen konnte. Und dabei noch
das hohle äſthetiſche Gewäſch, die anſpruchsvolle Aufgeblaſen¬
heit der Mitſtrebenden und das drückende Gefühl, daß man
all' den Leuten, die Einem ihre ſchimmernden Prunkgemächer
öffnen, doch eigentlich nichts iſt — und auch nichts ſein kann!
Wenn ich ſo in ſpäter Nacht mißmuthig und abgeſpannt aus
irgend einer glänzenden Geſellſchaft in meine entlegene Vorſtadt
zurückkehrte, da fiel mir dieſer leidige Müßiggang ſtets ſchwer
auf's Herz, und mehr als einmal nahm ich mir vor, alle Be¬
ziehungen abzubrechen, in welche ich durch meine erſten
Erfolge ſo plötzlich hineingerathen war. Aber um dieſen Ent¬
ſchluß auszuführen, hätt' ich geradezu rückſichtslos ſein müſſen,
und da dies nicht in meinem Weſen liegt, ſo blieb mir nichts
übrig, als wohl oder übel bis an's Ende auszuharren. —
Doch nun will ich mit doppeltem Behagen wieder ganz mir
ſelbſt angehören und mich gleich einer Raupe in dem kleinen
Hauſe der guten Frau Heidrich einſpinnen, deren Sohn noch
immer als Ingenieur an der fernen Bahnſtrecke weilt, wohin
er ſich im vorigen Sommer mit ſeiner Gattin, der Tochter eines
hieſigen Kaufmannes, gleich nach der Hochzeit begeben hatte.
Alles um mich her ſieht mich wieder ſo bekannt und vertraut
an: die Bilder an den Wänden, die vergilbten Schiller- und
Göthe-Büſten, das alle treue Tintenfaß auf dem Schreibtiſche
— und es weht durch meine Stube wie ein Hauch aus jenen
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[80/0096] gleichmäßigen Thätigkeit gelangen konnte. Und dabei noch das hohle äſthetiſche Gewäſch, die anſpruchsvolle Aufgeblaſen¬ heit der Mitſtrebenden und das drückende Gefühl, daß man all' den Leuten, die Einem ihre ſchimmernden Prunkgemächer öffnen, doch eigentlich nichts iſt — und auch nichts ſein kann! Wenn ich ſo in ſpäter Nacht mißmuthig und abgeſpannt aus irgend einer glänzenden Geſellſchaft in meine entlegene Vorſtadt zurückkehrte, da fiel mir dieſer leidige Müßiggang ſtets ſchwer auf's Herz, und mehr als einmal nahm ich mir vor, alle Be¬ ziehungen abzubrechen, in welche ich durch meine erſten Erfolge ſo plötzlich hineingerathen war. Aber um dieſen Ent¬ ſchluß auszuführen, hätt' ich geradezu rückſichtslos ſein müſſen, und da dies nicht in meinem Weſen liegt, ſo blieb mir nichts übrig, als wohl oder übel bis an's Ende auszuharren. — Doch nun will ich mit doppeltem Behagen wieder ganz mir ſelbſt angehören und mich gleich einer Raupe in dem kleinen Hauſe der guten Frau Heidrich einſpinnen, deren Sohn noch immer als Ingenieur an der fernen Bahnſtrecke weilt, wohin er ſich im vorigen Sommer mit ſeiner Gattin, der Tochter eines hieſigen Kaufmannes, gleich nach der Hochzeit begeben hatte. Alles um mich her ſieht mich wieder ſo bekannt und vertraut an: die Bilder an den Wänden, die vergilbten Schiller- und Göthe-Büſten, das alle treue Tintenfaß auf dem Schreibtiſche — und es weht durch meine Stube wie ein Hauch aus jenen Tagen, wo ich noch in ſeliger Verborgenheit über meinen

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Zitationshilfe: Saar, Ferdinand von: Novellen aus Österreich. Heidelberg, 1877, S. 80. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/saar_novellen_1877/96>, abgerufen am 14.05.2024.