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Sachs, Julius: Geschichte der Botanik. München, 1875.

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Dogma von der Constanz der Arten.
aus den zahlreichen Ableitungsformen aufzufinden suche. Es ist
nicht zu verkennen, daß in all' dem ein großer Fortschritt auf dem
richtigen Wege gemacht war, daß De Candolle hier ein
wichtiges Prinzip der Morphologie und Systematik zum ersten
Mal ausgesprochen hatte; trotzdem aber gelang es ihm keines-
wegs, sein eigenes Prinzip überall consequent durchzuführen; nur
bei der Bestimmung der kleinen Verwandtschaftskreise blieb er
sich selber treu; bei der Aufstellung der größten Abtheilungen
des Pflanzenreichs aber vergaß er vollständig auf den von ihm
selbst erwiesenen Satz, daß die morphologische Natur der Organe
und ihre systematische Verwerthbarkeit von ihrer physiologischen
durchaus unabhängig und daß gerade die physiologisch wich-
tigsten Eigenschaften für die Bestimmung der Verwandtschaften
von ganz untergeordneter Bedeutung sind. Trotz dieser kaum
begreiflichen Inconsequenz De Candolle's gebührt doch ihm
das Verdienst, zuerst auf den Unterschied der morphologischen
und physiologischen Merkmale mit Nachdruck hingewiesen, die
Discordanz zwischen morphologischer Verwandtschaft und
physiologischem Habitus deutlich hervorgehoben zu haben; in
dieser Discordanz aber liegt ein Problem verborgen, welches
erst durch Darwin's Selectionstheorie 40 Jahre später gelöst
werden konnte. Nur ein ächt inductives Verfahren konnte diese
merkwürdigen Beziehungen zwischen morphologischen und physio-
logischen Eigenschaften der Organe aufdecken. Aber andererseits
war De Candolle's Leistung nur deßhalb möglich, weil durch
seine Vorgänger bereits eine große Zahl verwandtschaftlicher Be-
ziehungen festgestellt worden war. Indem er die als unzweifel-
haft verwandt bereits erkannten Formen genau verglich, offenbarte
sich ihm das, was er den Symmetrieplan, was man später den
Typus nannte; und indem er diesen selbst genauer betrachtete,
mit den habituellen Eigenschaften verschiedener Pflanzen von
gleichem Symmetrieplan verglich, fand er gewisse Ursachen, aus
denen die Abänderungen zu begreifen sind: den Abortus, die
Degeneration und die Verwachsungen; durch deren Beachtung
es nunmehr gelang, bisher zweifelhafte oder unbekannte Ver-

Sachs, Geschichte der Botanik. 10

Dogma von der Conſtanz der Arten.
aus den zahlreichen Ableitungsformen aufzufinden ſuche. Es iſt
nicht zu verkennen, daß in all' dem ein großer Fortſchritt auf dem
richtigen Wege gemacht war, daß De Candolle hier ein
wichtiges Prinzip der Morphologie und Syſtematik zum erſten
Mal ausgeſprochen hatte; trotzdem aber gelang es ihm keines-
wegs, ſein eigenes Prinzip überall conſequent durchzuführen; nur
bei der Beſtimmung der kleinen Verwandtſchaftskreiſe blieb er
ſich ſelber treu; bei der Aufſtellung der größten Abtheilungen
des Pflanzenreichs aber vergaß er vollſtändig auf den von ihm
ſelbſt erwieſenen Satz, daß die morphologiſche Natur der Organe
und ihre ſyſtematiſche Verwerthbarkeit von ihrer phyſiologiſchen
durchaus unabhängig und daß gerade die phyſiologiſch wich-
tigſten Eigenſchaften für die Beſtimmung der Verwandtſchaften
von ganz untergeordneter Bedeutung ſind. Trotz dieſer kaum
begreiflichen Inconſequenz De Candolle's gebührt doch ihm
das Verdienſt, zuerſt auf den Unterſchied der morphologiſchen
und phyſiologiſchen Merkmale mit Nachdruck hingewieſen, die
Discordanz zwiſchen morphologiſcher Verwandtſchaft und
phyſiologiſchem Habitus deutlich hervorgehoben zu haben; in
dieſer Discordanz aber liegt ein Problem verborgen, welches
erſt durch Darwin's Selectionstheorie 40 Jahre ſpäter gelöſt
werden konnte. Nur ein ächt inductives Verfahren konnte dieſe
merkwürdigen Beziehungen zwiſchen morphologiſchen und phyſio-
logiſchen Eigenſchaften der Organe aufdecken. Aber andererſeits
war De Candolle's Leiſtung nur deßhalb möglich, weil durch
ſeine Vorgänger bereits eine große Zahl verwandtſchaftlicher Be-
ziehungen feſtgeſtellt worden war. Indem er die als unzweifel-
haft verwandt bereits erkannten Formen genau verglich, offenbarte
ſich ihm das, was er den Symmetrieplan, was man ſpäter den
Typus nannte; und indem er dieſen ſelbſt genauer betrachtete,
mit den habituellen Eigenſchaften verſchiedener Pflanzen von
gleichem Symmetrieplan verglich, fand er gewiſſe Urſachen, aus
denen die Abänderungen zu begreifen ſind: den Abortus, die
Degeneration und die Verwachſungen; durch deren Beachtung
es nunmehr gelang, bisher zweifelhafte oder unbekannte Ver-

Sachs, Geſchichte der Botanik. 10
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[145/0157] Dogma von der Conſtanz der Arten. aus den zahlreichen Ableitungsformen aufzufinden ſuche. Es iſt nicht zu verkennen, daß in all' dem ein großer Fortſchritt auf dem richtigen Wege gemacht war, daß De Candolle hier ein wichtiges Prinzip der Morphologie und Syſtematik zum erſten Mal ausgeſprochen hatte; trotzdem aber gelang es ihm keines- wegs, ſein eigenes Prinzip überall conſequent durchzuführen; nur bei der Beſtimmung der kleinen Verwandtſchaftskreiſe blieb er ſich ſelber treu; bei der Aufſtellung der größten Abtheilungen des Pflanzenreichs aber vergaß er vollſtändig auf den von ihm ſelbſt erwieſenen Satz, daß die morphologiſche Natur der Organe und ihre ſyſtematiſche Verwerthbarkeit von ihrer phyſiologiſchen durchaus unabhängig und daß gerade die phyſiologiſch wich- tigſten Eigenſchaften für die Beſtimmung der Verwandtſchaften von ganz untergeordneter Bedeutung ſind. Trotz dieſer kaum begreiflichen Inconſequenz De Candolle's gebührt doch ihm das Verdienſt, zuerſt auf den Unterſchied der morphologiſchen und phyſiologiſchen Merkmale mit Nachdruck hingewieſen, die Discordanz zwiſchen morphologiſcher Verwandtſchaft und phyſiologiſchem Habitus deutlich hervorgehoben zu haben; in dieſer Discordanz aber liegt ein Problem verborgen, welches erſt durch Darwin's Selectionstheorie 40 Jahre ſpäter gelöſt werden konnte. Nur ein ächt inductives Verfahren konnte dieſe merkwürdigen Beziehungen zwiſchen morphologiſchen und phyſio- logiſchen Eigenſchaften der Organe aufdecken. Aber andererſeits war De Candolle's Leiſtung nur deßhalb möglich, weil durch ſeine Vorgänger bereits eine große Zahl verwandtſchaftlicher Be- ziehungen feſtgeſtellt worden war. Indem er die als unzweifel- haft verwandt bereits erkannten Formen genau verglich, offenbarte ſich ihm das, was er den Symmetrieplan, was man ſpäter den Typus nannte; und indem er dieſen ſelbſt genauer betrachtete, mit den habituellen Eigenſchaften verſchiedener Pflanzen von gleichem Symmetrieplan verglich, fand er gewiſſe Urſachen, aus denen die Abänderungen zu begreifen ſind: den Abortus, die Degeneration und die Verwachſungen; durch deren Beachtung es nunmehr gelang, bisher zweifelhafte oder unbekannte Ver- Sachs, Geſchichte der Botanik. 10

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Zitationshilfe: Sachs, Julius: Geschichte der Botanik. München, 1875, S. 145. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sachs_botanik_1875/157>, abgerufen am 24.11.2024.