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Sachs, Julius: Geschichte der Botanik. München, 1875.

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Einleitung.
wandten, die in ihrer Umgebung wild wachsenden Pflanzen be-
schrieben und sorgfältig in Holzschnitt abbilden ließen. Dadurch
wurde der erste Anfang zu wirklich naturwissenschaftlicher Unter-
suchung der Pflanzen gemacht. Zwar eigentlich wissenschaftliche
Ziele verfolgte man damit noch nicht; man stellte keine Fragen
über die Natur der Pflanzen, über ihre Organisation und gegen-
seitigen Beziehungen unter einander; was vielmehr zunächst allein
interessirte, war die Kenntniß der einzelnen Pflanzenformen und
ihrer Heilkräfte.

Die Beschreibungen waren anfangs höchst naiv und un-
methodisch; indem man sich aber bemühte, sie so gut es eben
ging, genau und kenntlich zu machen, stellten sich nach und nach
ganz von selbst und ungesucht Wahrnehmungen ein, welche von
dem ursprünglich verfolgten Ziel weit ablagen. Man bemerkte
nicht nur, daß viele von den Pflanzen, welche Dioscorides
in seiner Materia medica beschrieben hatte, in Deutschland,
Frankreich, Spanien, England überhaupt nicht wild wachsen und
daß umgekehrt in diesen Ländern sehr zahlreiche Pflanzen vor-
kommen, welche den antiken Schriftstellern offenbar unbekannt
waren; sondern es stellte sich auch heraus, daß viele Pflanzen
unter einander Aehnlichkeiten darbieten, welche mit ihrer medici-
nischen Wirkung, mit ihrer Bedeutung für den Landmann und
für die Technik durchaus nichts zu thun haben. Indem man
die praktische Verwerthung der Pflanzenkenntniß durch sorgfältige
Einzelbeschreibung zu fördern suchte, drängte sich so die Wahr-
nehmung auf, daß es verschiedene natürliche Gruppen von Pflanzen
gebe, welche durch die Aehnlichkeit ihrer Gestalt und sonstigen
Eigenschaften untereinander übereinstimmen. Es zeigte sich, daß
außer den von Aristoteles und Theophrast angenom-
menen drei großen Pflanzengattungen, den Bäumen, Sträuchern
und Kräutern noch andere natürliche Vergesellschaftungen sich vor-
finden: schon bei Bock bemerkt man die ersten Wahrnehmungen
natürlicher Gruppen und die spätern Kräuterbücher lassen deut-
lich erkennen, daß man die natürliche Zusammengehörigkeit solcher
Pflanzen, wie sie in den Gruppen der Pilze, Moose, Farne,

Einleitung.
wandten, die in ihrer Umgebung wild wachſenden Pflanzen be-
ſchrieben und ſorgfältig in Holzſchnitt abbilden ließen. Dadurch
wurde der erſte Anfang zu wirklich naturwiſſenſchaftlicher Unter-
ſuchung der Pflanzen gemacht. Zwar eigentlich wiſſenſchaftliche
Ziele verfolgte man damit noch nicht; man ſtellte keine Fragen
über die Natur der Pflanzen, über ihre Organiſation und gegen-
ſeitigen Beziehungen unter einander; was vielmehr zunächſt allein
intereſſirte, war die Kenntniß der einzelnen Pflanzenformen und
ihrer Heilkräfte.

Die Beſchreibungen waren anfangs höchſt naiv und un-
methodiſch; indem man ſich aber bemühte, ſie ſo gut es eben
ging, genau und kenntlich zu machen, ſtellten ſich nach und nach
ganz von ſelbſt und ungeſucht Wahrnehmungen ein, welche von
dem urſprünglich verfolgten Ziel weit ablagen. Man bemerkte
nicht nur, daß viele von den Pflanzen, welche Dioscorides
in ſeiner Materia medica beſchrieben hatte, in Deutſchland,
Frankreich, Spanien, England überhaupt nicht wild wachſen und
daß umgekehrt in dieſen Ländern ſehr zahlreiche Pflanzen vor-
kommen, welche den antiken Schriftſtellern offenbar unbekannt
waren; ſondern es ſtellte ſich auch heraus, daß viele Pflanzen
unter einander Aehnlichkeiten darbieten, welche mit ihrer medici-
niſchen Wirkung, mit ihrer Bedeutung für den Landmann und
für die Technik durchaus nichts zu thun haben. Indem man
die praktiſche Verwerthung der Pflanzenkenntniß durch ſorgfältige
Einzelbeſchreibung zu fördern ſuchte, drängte ſich ſo die Wahr-
nehmung auf, daß es verſchiedene natürliche Gruppen von Pflanzen
gebe, welche durch die Aehnlichkeit ihrer Geſtalt und ſonſtigen
Eigenſchaften untereinander übereinſtimmen. Es zeigte ſich, daß
außer den von Ariſtoteles und Theophraſt angenom-
menen drei großen Pflanzengattungen, den Bäumen, Sträuchern
und Kräutern noch andere natürliche Vergeſellſchaftungen ſich vor-
finden: ſchon bei Bock bemerkt man die erſten Wahrnehmungen
natürlicher Gruppen und die ſpätern Kräuterbücher laſſen deut-
lich erkennen, daß man die natürliche Zuſammengehörigkeit ſolcher
Pflanzen, wie ſie in den Gruppen der Pilze, Mooſe, Farne,

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[4/0016] Einleitung. wandten, die in ihrer Umgebung wild wachſenden Pflanzen be- ſchrieben und ſorgfältig in Holzſchnitt abbilden ließen. Dadurch wurde der erſte Anfang zu wirklich naturwiſſenſchaftlicher Unter- ſuchung der Pflanzen gemacht. Zwar eigentlich wiſſenſchaftliche Ziele verfolgte man damit noch nicht; man ſtellte keine Fragen über die Natur der Pflanzen, über ihre Organiſation und gegen- ſeitigen Beziehungen unter einander; was vielmehr zunächſt allein intereſſirte, war die Kenntniß der einzelnen Pflanzenformen und ihrer Heilkräfte. Die Beſchreibungen waren anfangs höchſt naiv und un- methodiſch; indem man ſich aber bemühte, ſie ſo gut es eben ging, genau und kenntlich zu machen, ſtellten ſich nach und nach ganz von ſelbſt und ungeſucht Wahrnehmungen ein, welche von dem urſprünglich verfolgten Ziel weit ablagen. Man bemerkte nicht nur, daß viele von den Pflanzen, welche Dioscorides in ſeiner Materia medica beſchrieben hatte, in Deutſchland, Frankreich, Spanien, England überhaupt nicht wild wachſen und daß umgekehrt in dieſen Ländern ſehr zahlreiche Pflanzen vor- kommen, welche den antiken Schriftſtellern offenbar unbekannt waren; ſondern es ſtellte ſich auch heraus, daß viele Pflanzen unter einander Aehnlichkeiten darbieten, welche mit ihrer medici- niſchen Wirkung, mit ihrer Bedeutung für den Landmann und für die Technik durchaus nichts zu thun haben. Indem man die praktiſche Verwerthung der Pflanzenkenntniß durch ſorgfältige Einzelbeſchreibung zu fördern ſuchte, drängte ſich ſo die Wahr- nehmung auf, daß es verſchiedene natürliche Gruppen von Pflanzen gebe, welche durch die Aehnlichkeit ihrer Geſtalt und ſonſtigen Eigenſchaften untereinander übereinſtimmen. Es zeigte ſich, daß außer den von Ariſtoteles und Theophraſt angenom- menen drei großen Pflanzengattungen, den Bäumen, Sträuchern und Kräutern noch andere natürliche Vergeſellſchaftungen ſich vor- finden: ſchon bei Bock bemerkt man die erſten Wahrnehmungen natürlicher Gruppen und die ſpätern Kräuterbücher laſſen deut- lich erkennen, daß man die natürliche Zuſammengehörigkeit ſolcher Pflanzen, wie ſie in den Gruppen der Pilze, Mooſe, Farne,

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Zitationshilfe: Sachs, Julius: Geschichte der Botanik. München, 1875, S. 4. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sachs_botanik_1875/16>, abgerufen am 23.11.2024.