natürliche Verwandtschaft der Pflanzen ist also nicht von irgend einem Botaniker entdeckt worden, sie hat sich vielmehr aus der Ein- zelbeschreibung gewissermaßen als Nebenprodukt von selbst ergeben.
Aber noch bevor bei Lobelius und später bei Caspar Bauhin die Darstellung der natürlichen Verwandtschaft die ersten classificatorischen Versuche hervorrief, hatte in Italien Caesalpin 1583 bereits auf ganz anderem Wege eine systematische Be- handlung des Pflanzenreiches versucht. Bei ihm war es nicht wie bei den Deutschen und niederländischen Botanikern die un- willkürlich durch Ideenassociation sich aufdrängende Thatsache der natürlichen Verwandtschaft, sondern philosophische Erwägung, welche ihn dazu veranlaßte, das ganze Pflanzenreich in bestimmte Gruppen einzutheilen. Ausgestattet mit der philosophischen Bild- ung, welche im 16. Jahrhundert in Italien blühte, ganz ein- gelebt in die Ansichten des Aristoteles, geübt in allen Fein- heiten der Dialektikt, war Caesalpin nicht der Mann, sich ruhig dem Einfluß der Natur auf die unbewußten Kräfte des Gemüths hinzugeben; vielmehr suchte er sofort, was ihm die Literatur und eigene scharfsinnige Beobachtung von Pflanzenformen kennen lehrte mit dem Verstande zu beherrschen. So trat Caesalpin an die wissenschaftliche Aufgabe der Botanik in ganz anderer Weise heran als Lobelius und Caspar Bauhin. Philosophische Erwägungen über das Wesen der Pflanze, über den substantiellen und accidentellen Werth ihrer Theile nach aristotalischer Auffassung waren es, welche ihn veranlaßten, das Pflanzenreich nach bestimmten Merkmalen in Gruppen und Untergruppen einzutheilen.
Diese Verschiedenheit der Ursprungs der systematischen Be- strebungen bei Caesalpin einerseits bei Lobelius und Bau- hin andrerseits macht sich in auffallendster Weise geltend; bei den Deutschen waren es die Aehnlichkeiten, welche instinktiv zur Auffassung der natürlichen Gruppen hinführten; bei Caesalpin dagegen die scharfe Unterscheidung nach voraus bestimmten Merk- malen; alle Fehler des Bauhin'schen Systems beruhen auf unrichtig erkannten Aehnlichkeiten, alle Fehler bei Caesalpin auf unrichtiger Unterscheidung.
Einleitung.
natürliche Verwandtſchaft der Pflanzen iſt alſo nicht von irgend einem Botaniker entdeckt worden, ſie hat ſich vielmehr aus der Ein- zelbeſchreibung gewiſſermaßen als Nebenprodukt von ſelbſt ergeben.
Aber noch bevor bei Lobelius und ſpäter bei Caspar Bauhin die Darſtellung der natürlichen Verwandtſchaft die erſten claſſificatoriſchen Verſuche hervorrief, hatte in Italien Caeſalpin 1583 bereits auf ganz anderem Wege eine ſyſtematiſche Be- handlung des Pflanzenreiches verſucht. Bei ihm war es nicht wie bei den Deutſchen und niederländiſchen Botanikern die un- willkürlich durch Ideenaſſociation ſich aufdrängende Thatſache der natürlichen Verwandtſchaft, ſondern philoſophiſche Erwägung, welche ihn dazu veranlaßte, das ganze Pflanzenreich in beſtimmte Gruppen einzutheilen. Ausgeſtattet mit der philoſophiſchen Bild- ung, welche im 16. Jahrhundert in Italien blühte, ganz ein- gelebt in die Anſichten des Ariſtoteles, geübt in allen Fein- heiten der Dialektikt, war Caeſalpin nicht der Mann, ſich ruhig dem Einfluß der Natur auf die unbewußten Kräfte des Gemüths hinzugeben; vielmehr ſuchte er ſofort, was ihm die Literatur und eigene ſcharfſinnige Beobachtung von Pflanzenformen kennen lehrte mit dem Verſtande zu beherrſchen. So trat Caeſalpin an die wiſſenſchaftliche Aufgabe der Botanik in ganz anderer Weiſe heran als Lobelius und Caspar Bauhin. Philoſophiſche Erwägungen über das Weſen der Pflanze, über den ſubſtantiellen und accidentellen Werth ihrer Theile nach ariſtotaliſcher Auffaſſung waren es, welche ihn veranlaßten, das Pflanzenreich nach beſtimmten Merkmalen in Gruppen und Untergruppen einzutheilen.
Dieſe Verſchiedenheit der Urſprungs der ſyſtematiſchen Be- ſtrebungen bei Caeſalpin einerſeits bei Lobelius und Bau- hin andrerſeits macht ſich in auffallendſter Weiſe geltend; bei den Deutſchen waren es die Aehnlichkeiten, welche inſtinktiv zur Auffaſſung der natürlichen Gruppen hinführten; bei Caeſalpin dagegen die ſcharfe Unterſcheidung nach voraus beſtimmten Merk- malen; alle Fehler des Bauhin'ſchen Syſtems beruhen auf unrichtig erkannten Aehnlichkeiten, alle Fehler bei Caeſalpin auf unrichtiger Unterſcheidung.
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Einleitung.
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zelbeſchreibung gewiſſermaßen als Nebenprodukt von ſelbſt ergeben.
Aber noch bevor bei Lobelius und ſpäter bei Caspar
Bauhin die Darſtellung der natürlichen Verwandtſchaft die erſten
claſſificatoriſchen Verſuche hervorrief, hatte in Italien Caeſalpin
1583 bereits auf ganz anderem Wege eine ſyſtematiſche Be-
handlung des Pflanzenreiches verſucht. Bei ihm war es nicht
wie bei den Deutſchen und niederländiſchen Botanikern die un-
willkürlich durch Ideenaſſociation ſich aufdrängende Thatſache der
natürlichen Verwandtſchaft, ſondern philoſophiſche Erwägung,
welche ihn dazu veranlaßte, das ganze Pflanzenreich in beſtimmte
Gruppen einzutheilen. Ausgeſtattet mit der philoſophiſchen Bild-
ung, welche im 16. Jahrhundert in Italien blühte, ganz ein-
gelebt in die Anſichten des Ariſtoteles, geübt in allen Fein-
heiten der Dialektikt, war Caeſalpin nicht der Mann, ſich ruhig
dem Einfluß der Natur auf die unbewußten Kräfte des Gemüths
hinzugeben; vielmehr ſuchte er ſofort, was ihm die Literatur und
eigene ſcharfſinnige Beobachtung von Pflanzenformen kennen lehrte
mit dem Verſtande zu beherrſchen. So trat Caeſalpin an die
wiſſenſchaftliche Aufgabe der Botanik in ganz anderer Weiſe
heran als Lobelius und Caspar Bauhin. Philoſophiſche
Erwägungen über das Weſen der Pflanze, über den ſubſtantiellen
und accidentellen Werth ihrer Theile nach ariſtotaliſcher Auffaſſung
waren es, welche ihn veranlaßten, das Pflanzenreich nach beſtimmten
Merkmalen in Gruppen und Untergruppen einzutheilen.
Dieſe Verſchiedenheit der Urſprungs der ſyſtematiſchen Be-
ſtrebungen bei Caeſalpin einerſeits bei Lobelius und Bau-
hin andrerſeits macht ſich in auffallendſter Weiſe geltend; bei
den Deutſchen waren es die Aehnlichkeiten, welche inſtinktiv zur
Auffaſſung der natürlichen Gruppen hinführten; bei Caeſalpin
dagegen die ſcharfe Unterſcheidung nach voraus beſtimmten Merk-
malen; alle Fehler des Bauhin'ſchen Syſtems beruhen auf
unrichtig erkannten Aehnlichkeiten, alle Fehler bei Caeſalpin
auf unrichtiger Unterſcheidung.
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Sachs, Julius: Geschichte der Botanik. München, 1875, S. 6. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sachs_botanik_1875/18>, abgerufen am 21.11.2024.
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