Die Hauptsache aber war, daß bei Lobelius und Bauhin die systematische Gruppirung ohne irgend welche Angabe von Gründen auftrat, ihre Darstellung war so, daß in dem Leser sich von selbst noch einmal die Ideenassociation vollziehen mußte, wie sie sich in den Autoren selbst vollzogen hatte. Lobelius und Bauhin verhielten sich wie Künstler, die nicht durch Worte und Auseinandersetzungen, sondern durch bildliche Darstellung das, was sie empfinden, Andern zur Anschauung bringen; Caesalpin dagegen wendet sich sofort an den Verstand des Lesers, er zeigt ihm, daß aus philosophischen Gründen eine Classifikation statt- finden müsse und nennt die Eintheilungsgründe selbst; philoso- phische Erwägungen waren es ebenfalls, welche Caesalpin veranlaßten, die Eigenschaften des Samens und der Frucht seiner Eintheilung zu Grunde zu legen; wogegen die deutschen Botaniker, welche die Fruchtificationsorgane kaum beachteten, sich von dem Gesammteindruck der Pflanze dem sogenannten Habitus leiten ließen.
Die Geschichtsschreiber der Botanik haben den hier darge- legten Sachverhalt übersehen oder nicht genug betont; es wurde nicht hinreichend beachtet, daß die Systematik, als sie im 17. Jahr- hundert sich weiter auszubilden begann, von vornherein zwei ein- ander wiederstrebende Elemente in sich aufnahm: einerseits die blos dunkel gefühlte Thatsache einer natürlichen Verwandtschaft, welche durch die deutschen und niederländischen Botaniker zu Tage gefördert war; anderseits das Streben, dem Caesalpin den ersten Ausdruck gab, auf dem Wege klarer Erkenntniß zu einer Eintheilung des Pflanzenreichs zu gelangen, welche den Verstand befriedigen sollte. Zunächst waren diese beiden Elemente der systematischen Forschung gegenseitig durchaus incommensurabel, es fehlte ganz und gar an einem Mittel, wie man durch a priori aufgestellte Eintheilungsgründe, welche dem Verstand genügten, auch gleichzeitig dem instinctiven Gefühl für die natürliche Ver- wandtschaft, welche sich nun einmal nicht wegdisputiren ließ, Rechnung tragen könne. In den das ganze Pflanzenreich um- faßenden Systemen, welche bis 1736 aufgestellt wurden und
Einleitung.
Die Hauptſache aber war, daß bei Lobelius und Bauhin die ſyſtematiſche Gruppirung ohne irgend welche Angabe von Gründen auftrat, ihre Darſtellung war ſo, daß in dem Leſer ſich von ſelbſt noch einmal die Ideenaſſociation vollziehen mußte, wie ſie ſich in den Autoren ſelbſt vollzogen hatte. Lobelius und Bauhin verhielten ſich wie Künſtler, die nicht durch Worte und Auseinanderſetzungen, ſondern durch bildliche Darſtellung das, was ſie empfinden, Andern zur Anſchauung bringen; Caeſalpin dagegen wendet ſich ſofort an den Verſtand des Leſers, er zeigt ihm, daß aus philoſophiſchen Gründen eine Claſſifikation ſtatt- finden müſſe und nennt die Eintheilungsgründe ſelbſt; philoſo- phiſche Erwägungen waren es ebenfalls, welche Caeſalpin veranlaßten, die Eigenſchaften des Samens und der Frucht ſeiner Eintheilung zu Grunde zu legen; wogegen die deutſchen Botaniker, welche die Fruchtificationsorgane kaum beachteten, ſich von dem Geſammteindruck der Pflanze dem ſogenannten Habitus leiten ließen.
Die Geſchichtsſchreiber der Botanik haben den hier darge- legten Sachverhalt überſehen oder nicht genug betont; es wurde nicht hinreichend beachtet, daß die Syſtematik, als ſie im 17. Jahr- hundert ſich weiter auszubilden begann, von vornherein zwei ein- ander wiederſtrebende Elemente in ſich aufnahm: einerſeits die blos dunkel gefühlte Thatſache einer natürlichen Verwandtſchaft, welche durch die deutſchen und niederländiſchen Botaniker zu Tage gefördert war; anderſeits das Streben, dem Caeſalpin den erſten Ausdruck gab, auf dem Wege klarer Erkenntniß zu einer Eintheilung des Pflanzenreichs zu gelangen, welche den Verſtand befriedigen ſollte. Zunächſt waren dieſe beiden Elemente der ſyſtematiſchen Forſchung gegenſeitig durchaus incommenſurabel, es fehlte ganz und gar an einem Mittel, wie man durch a priori aufgeſtellte Eintheilungsgründe, welche dem Verſtand genügten, auch gleichzeitig dem inſtinctiven Gefühl für die natürliche Ver- wandtſchaft, welche ſich nun einmal nicht wegdisputiren ließ, Rechnung tragen könne. In den das ganze Pflanzenreich um- faßenden Syſtemen, welche bis 1736 aufgeſtellt wurden und
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[7/0019]
Einleitung.
Die Hauptſache aber war, daß bei Lobelius und Bauhin
die ſyſtematiſche Gruppirung ohne irgend welche Angabe von
Gründen auftrat, ihre Darſtellung war ſo, daß in dem Leſer
ſich von ſelbſt noch einmal die Ideenaſſociation vollziehen mußte,
wie ſie ſich in den Autoren ſelbſt vollzogen hatte. Lobelius und
Bauhin verhielten ſich wie Künſtler, die nicht durch Worte und
Auseinanderſetzungen, ſondern durch bildliche Darſtellung das,
was ſie empfinden, Andern zur Anſchauung bringen; Caeſalpin
dagegen wendet ſich ſofort an den Verſtand des Leſers, er zeigt
ihm, daß aus philoſophiſchen Gründen eine Claſſifikation ſtatt-
finden müſſe und nennt die Eintheilungsgründe ſelbſt; philoſo-
phiſche Erwägungen waren es ebenfalls, welche Caeſalpin
veranlaßten, die Eigenſchaften des Samens und der Frucht ſeiner
Eintheilung zu Grunde zu legen; wogegen die deutſchen Botaniker,
welche die Fruchtificationsorgane kaum beachteten, ſich von dem
Geſammteindruck der Pflanze dem ſogenannten Habitus leiten
ließen.
Die Geſchichtsſchreiber der Botanik haben den hier darge-
legten Sachverhalt überſehen oder nicht genug betont; es wurde
nicht hinreichend beachtet, daß die Syſtematik, als ſie im 17. Jahr-
hundert ſich weiter auszubilden begann, von vornherein zwei ein-
ander wiederſtrebende Elemente in ſich aufnahm: einerſeits die
blos dunkel gefühlte Thatſache einer natürlichen Verwandtſchaft,
welche durch die deutſchen und niederländiſchen Botaniker zu
Tage gefördert war; anderſeits das Streben, dem Caeſalpin
den erſten Ausdruck gab, auf dem Wege klarer Erkenntniß zu
einer Eintheilung des Pflanzenreichs zu gelangen, welche den
Verſtand befriedigen ſollte. Zunächſt waren dieſe beiden Elemente
der ſyſtematiſchen Forſchung gegenſeitig durchaus incommenſurabel,
es fehlte ganz und gar an einem Mittel, wie man durch a priori
aufgeſtellte Eintheilungsgründe, welche dem Verſtand genügten,
auch gleichzeitig dem inſtinctiven Gefühl für die natürliche Ver-
wandtſchaft, welche ſich nun einmal nicht wegdisputiren ließ,
Rechnung tragen könne. In den das ganze Pflanzenreich um-
faßenden Syſtemen, welche bis 1736 aufgeſtellt wurden und
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Sachs, Julius: Geschichte der Botanik. München, 1875, S. 7. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sachs_botanik_1875/19>, abgerufen am 21.11.2024.
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