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Sachs, Julius: Geschichte der Botanik. München, 1875.

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Die Morphologie unter dem Einfluß der
stimmten geometrischen Regeln angeordnet sind, wurde schon von
Caesalpin, um die Mitte des 18. Jahrhunderts von Bonnet
wahrgenommen; es blieb aber bei schwachen Versuchen einer
bloßen Beschreibung verschiedener Fälle. Was Schimper's
Blattstellungslehre auszeichnet, zugleich das höchste Verdienst und
den Grundfehler derselben enthält, ist die Zurückführung aller
Stellungsverhältnisse auf ein einziges Princip. Dieses Princip liegt
in der Annahme, daß das Wachsthum am Stengel in der Richtung
einer Schraubenlinie emporsteigt; die Bildung von Blättern sei
eine örtliche Steigerung dieses spiraligen Wachsthums. Die
Richtung dieser Schraubenlinie könne bei derselben Art sogar an
derselben Axe wechseln, selbst von Blatt zu Blatt umspringen.
Die wesentlichen Verschiedenheiten der Blattstellung geben sich
nicht in den longitudinalen Distancen der Blätter, sondern in
dem Maß ihrer seitlichen Abweichungen am Stengel zu erkennen.
Die Betrachtungsweise dieser seitlichen Abweichungen oder Diver-
genzen der auf einanderfolgenden Blätter einer Axe, ihre Zurück-
führung auf ein allgemeineres Stellungsgesetz ist das characteri-
stische dieser Lehre. Mit großem Geschick wurden zugleich die
Mittel an die Handgegeben, wie man auch in solchen Fällen, wo
die genetische Reihenfolge der Blätter und also auch ihre Diver-
genz nicht unmittelbar zu erkennen ist, aus Nebenumständen die
wahren Stellungsverhältnisse, die genetische Spirale auffinden
kann. Aus unzähligen Beobachtungen wurde zwar die außer-
ordentliche Mannigfaltigkeit der Blattstellungsmaße constatirt, aber
auch zugleich gezeigt, daß eine verhältnißmäßig geringe Zahl
derselben ganz gewöhnlich vorkommt und daß diese gewöhnlichen
Divergenzen 1/2, 2/3 , 3/8 , , u. s. w. in einem merk-
würdigen Verhältniß untereinander stehen, indem der Zähler
jedes folgenden Divergenzbruches ebenso wie der Nenner desselben
durch die Summirung der Zähler und Nenner der beiden vor-
hergehenden gewonnen wird, oder die einzelnen genannten Brüche
sind die Partialwerthe eines unendlichen Kettenbruchs.

[Formel 3]

Die Morphologie unter dem Einfluß der
ſtimmten geometriſchen Regeln angeordnet ſind, wurde ſchon von
Caeſalpin, um die Mitte des 18. Jahrhunderts von Bonnet
wahrgenommen; es blieb aber bei ſchwachen Verſuchen einer
bloßen Beſchreibung verſchiedener Fälle. Was Schimper's
Blattſtellungslehre auszeichnet, zugleich das höchſte Verdienſt und
den Grundfehler derſelben enthält, iſt die Zurückführung aller
Stellungsverhältniſſe auf ein einziges Princip. Dieſes Princip liegt
in der Annahme, daß das Wachsthum am Stengel in der Richtung
einer Schraubenlinie emporſteigt; die Bildung von Blättern ſei
eine örtliche Steigerung dieſes ſpiraligen Wachsthums. Die
Richtung dieſer Schraubenlinie könne bei derſelben Art ſogar an
derſelben Axe wechſeln, ſelbſt von Blatt zu Blatt umſpringen.
Die weſentlichen Verſchiedenheiten der Blattſtellung geben ſich
nicht in den longitudinalen Diſtancen der Blätter, ſondern in
dem Maß ihrer ſeitlichen Abweichungen am Stengel zu erkennen.
Die Betrachtungsweiſe dieſer ſeitlichen Abweichungen oder Diver-
genzen der auf einanderfolgenden Blätter einer Axe, ihre Zurück-
führung auf ein allgemeineres Stellungsgeſetz iſt das characteri-
ſtiſche dieſer Lehre. Mit großem Geſchick wurden zugleich die
Mittel an die Handgegeben, wie man auch in ſolchen Fällen, wo
die genetiſche Reihenfolge der Blätter und alſo auch ihre Diver-
genz nicht unmittelbar zu erkennen iſt, aus Nebenumſtänden die
wahren Stellungsverhältniſſe, die genetiſche Spirale auffinden
kann. Aus unzähligen Beobachtungen wurde zwar die außer-
ordentliche Mannigfaltigkeit der Blattſtellungsmaße conſtatirt, aber
auch zugleich gezeigt, daß eine verhältnißmäßig geringe Zahl
derſelben ganz gewöhnlich vorkommt und daß dieſe gewöhnlichen
Divergenzen ½, ⅔, ⅜, , u. ſ. w. in einem merk-
würdigen Verhältniß untereinander ſtehen, indem der Zähler
jedes folgenden Divergenzbruches ebenſo wie der Nenner desſelben
durch die Summirung der Zähler und Nenner der beiden vor-
hergehenden gewonnen wird, oder die einzelnen genannten Brüche
ſind die Partialwerthe eines unendlichen Kettenbruchs.

[Formel 3]

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[176/0188] Die Morphologie unter dem Einfluß der ſtimmten geometriſchen Regeln angeordnet ſind, wurde ſchon von Caeſalpin, um die Mitte des 18. Jahrhunderts von Bonnet wahrgenommen; es blieb aber bei ſchwachen Verſuchen einer bloßen Beſchreibung verſchiedener Fälle. Was Schimper's Blattſtellungslehre auszeichnet, zugleich das höchſte Verdienſt und den Grundfehler derſelben enthält, iſt die Zurückführung aller Stellungsverhältniſſe auf ein einziges Princip. Dieſes Princip liegt in der Annahme, daß das Wachsthum am Stengel in der Richtung einer Schraubenlinie emporſteigt; die Bildung von Blättern ſei eine örtliche Steigerung dieſes ſpiraligen Wachsthums. Die Richtung dieſer Schraubenlinie könne bei derſelben Art ſogar an derſelben Axe wechſeln, ſelbſt von Blatt zu Blatt umſpringen. Die weſentlichen Verſchiedenheiten der Blattſtellung geben ſich nicht in den longitudinalen Diſtancen der Blätter, ſondern in dem Maß ihrer ſeitlichen Abweichungen am Stengel zu erkennen. Die Betrachtungsweiſe dieſer ſeitlichen Abweichungen oder Diver- genzen der auf einanderfolgenden Blätter einer Axe, ihre Zurück- führung auf ein allgemeineres Stellungsgeſetz iſt das characteri- ſtiſche dieſer Lehre. Mit großem Geſchick wurden zugleich die Mittel an die Handgegeben, wie man auch in ſolchen Fällen, wo die genetiſche Reihenfolge der Blätter und alſo auch ihre Diver- genz nicht unmittelbar zu erkennen iſt, aus Nebenumſtänden die wahren Stellungsverhältniſſe, die genetiſche Spirale auffinden kann. Aus unzähligen Beobachtungen wurde zwar die außer- ordentliche Mannigfaltigkeit der Blattſtellungsmaße conſtatirt, aber auch zugleich gezeigt, daß eine verhältnißmäßig geringe Zahl derſelben ganz gewöhnlich vorkommt und daß dieſe gewöhnlichen Divergenzen ½, ⅔, ⅜, [FORMEL], [FORMEL] u. ſ. w. in einem merk- würdigen Verhältniß untereinander ſtehen, indem der Zähler jedes folgenden Divergenzbruches ebenſo wie der Nenner desſelben durch die Summirung der Zähler und Nenner der beiden vor- hergehenden gewonnen wird, oder die einzelnen genannten Brüche ſind die Partialwerthe eines unendlichen Kettenbruchs. [FORMEL]

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Zitationshilfe: Sachs, Julius: Geschichte der Botanik. München, 1875, S. 176. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sachs_botanik_1875/188>, abgerufen am 21.11.2024.