Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Sachs, Julius: Geschichte der Botanik. München, 1875.

Bild:
<< vorherige Seite

Die Morphologie unter dem Einfluß der
Antheil an dieser Neugestaltung der morphologischen Botanik
nahm, hielt jedoch an der idealistischen Gesammtansicht fest und
indem er die Ergebnisse der neuen Forschungen sämmtlich in
diesem Sinne wiederholt und zusammenfassend bearbeitete, zeigte
sich, in wieweit die idealistisch platonisirende Naturbetrachtung
im Stande ist, ihrerseits den Ergebnissen genauer inductiver
Forschung Rechnung zu tragen. Der Gegensatz zwischen seinem
Standpunkt und dem der hervorragendsten Führer der induktiven
Richtung trat mit den Jahren immer schärfer hervor und muß
hier als eine geschichtliche Thatsache behandelt werden. Wenn
ich aber, in Ermangelung eines besseren Ausdrucks, die nament-
lich durch Mohl, Schleiden, Nägeli, Unger, Hof-
meister, angebahnte neue Richtung der Botanik als die
inductive der durch Braun und seine Schule vertretenen
idealistischen Richtung entgegenstelle, so ist damit nicht gesagt,
daß die letztere nicht ebenfalls auf inductivem Wege im Einzelnen
zur Bereicherung der Wissenschaft beigetragen habe; vielmehr
verdankt diese vor Allem A. Braun selbst eine Reihe bedeu-
tender Arbeiten in diesem Sinne. Indem ich die neuere Rich-
tung als die inductive bezeichne, nehme ich dies Wort in einem
höheren Sinne, als es gewöhnlich geschieht und eine Erklärung
darüber wird gerade hier nicht überflüssig sein. Die idealistischen
Naturanschauungen aller Zeiten, mögen sie als Platonismus,
aristotelische Logik, als Scholastik oder moderner Idealismus
auftreten, haben sämmtlich das gemein, daß sie die höchste dem
Menschen erreichbare Erkenntniß als eine bereits gewonnene,
feststehende betrachten; die obersten Sätze, die umfassendsten
Wahrheiten gelten als bereits bekannt, und die inductive Forsch-
ung hat wesentlich nur die Aufgabe, dieselben zu bestätigen; die
Ergebnisse der Beobachtung dienen mehr zur Erläuterung der
bereits feststehenden Ansichten, zur Illustration bereits bekannter
Wahrheiten; die inductive Forschung hat allein die Aufgabe, die
einzelnen Thatsachen festzustellen. In dem Sinne dagegen, wie
ich die inductive Forschung mit Bacon, Locke, Hume, Kant,
Lange verstehe, ist ihre Aufgabe eine wesentlich weitergehende;

Die Morphologie unter dem Einfluß der
Antheil an dieſer Neugeſtaltung der morphologiſchen Botanik
nahm, hielt jedoch an der idealiſtiſchen Geſammtanſicht feſt und
indem er die Ergebniſſe der neuen Forſchungen ſämmtlich in
dieſem Sinne wiederholt und zuſammenfaſſend bearbeitete, zeigte
ſich, in wieweit die idealiſtiſch platoniſirende Naturbetrachtung
im Stande iſt, ihrerſeits den Ergebniſſen genauer inductiver
Forſchung Rechnung zu tragen. Der Gegenſatz zwiſchen ſeinem
Standpunkt und dem der hervorragendſten Führer der induktiven
Richtung trat mit den Jahren immer ſchärfer hervor und muß
hier als eine geſchichtliche Thatſache behandelt werden. Wenn
ich aber, in Ermangelung eines beſſeren Ausdrucks, die nament-
lich durch Mohl, Schleiden, Nägeli, Unger, Hof-
meiſter, angebahnte neue Richtung der Botanik als die
inductive der durch Braun und ſeine Schule vertretenen
idealiſtiſchen Richtung entgegenſtelle, ſo iſt damit nicht geſagt,
daß die letztere nicht ebenfalls auf inductivem Wege im Einzelnen
zur Bereicherung der Wiſſenſchaft beigetragen habe; vielmehr
verdankt dieſe vor Allem A. Braun ſelbſt eine Reihe bedeu-
tender Arbeiten in dieſem Sinne. Indem ich die neuere Rich-
tung als die inductive bezeichne, nehme ich dies Wort in einem
höheren Sinne, als es gewöhnlich geſchieht und eine Erklärung
darüber wird gerade hier nicht überflüſſig ſein. Die idealiſtiſchen
Naturanſchauungen aller Zeiten, mögen ſie als Platonismus,
ariſtoteliſche Logik, als Scholaſtik oder moderner Idealismus
auftreten, haben ſämmtlich das gemein, daß ſie die höchſte dem
Menſchen erreichbare Erkenntniß als eine bereits gewonnene,
feſtſtehende betrachten; die oberſten Sätze, die umfaſſendſten
Wahrheiten gelten als bereits bekannt, und die inductive Forſch-
ung hat weſentlich nur die Aufgabe, dieſelben zu beſtätigen; die
Ergebniſſe der Beobachtung dienen mehr zur Erläuterung der
bereits feſtſtehenden Anſichten, zur Illuſtration bereits bekannter
Wahrheiten; die inductive Forſchung hat allein die Aufgabe, die
einzelnen Thatſachen feſtzuſtellen. In dem Sinne dagegen, wie
ich die inductive Forſchung mit Bacon, Locke, Hume, Kant,
Lange verſtehe, iſt ihre Aufgabe eine weſentlich weitergehende;

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0196" n="184"/><fw place="top" type="header">Die Morphologie unter dem Einfluß der</fw><lb/>
Antheil an die&#x017F;er Neuge&#x017F;taltung der morphologi&#x017F;chen Botanik<lb/>
nahm, hielt jedoch an der ideali&#x017F;ti&#x017F;chen Ge&#x017F;ammtan&#x017F;icht fe&#x017F;t und<lb/>
indem er die Ergebni&#x017F;&#x017F;e der neuen For&#x017F;chungen &#x017F;ämmtlich in<lb/>
die&#x017F;em Sinne wiederholt und zu&#x017F;ammenfa&#x017F;&#x017F;end bearbeitete, zeigte<lb/>
&#x017F;ich, in wieweit die ideali&#x017F;ti&#x017F;ch platoni&#x017F;irende Naturbetrachtung<lb/>
im Stande i&#x017F;t, ihrer&#x017F;eits den Ergebni&#x017F;&#x017F;en genauer inductiver<lb/>
For&#x017F;chung Rechnung zu tragen. Der Gegen&#x017F;atz zwi&#x017F;chen &#x017F;einem<lb/>
Standpunkt und dem der hervorragend&#x017F;ten Führer der induktiven<lb/>
Richtung trat mit den Jahren immer &#x017F;chärfer hervor und muß<lb/>
hier als eine ge&#x017F;chichtliche That&#x017F;ache behandelt werden. Wenn<lb/>
ich aber, in Ermangelung eines be&#x017F;&#x017F;eren Ausdrucks, die nament-<lb/>
lich durch <hi rendition="#g">Mohl</hi>, <hi rendition="#g">Schleiden</hi>, <hi rendition="#g">Nägeli</hi>, <hi rendition="#g">Unger</hi>, <hi rendition="#g">Hof</hi>-<lb/><hi rendition="#g">mei&#x017F;ter</hi>, angebahnte neue Richtung der Botanik als die<lb/><hi rendition="#g">inductive</hi> der durch <hi rendition="#g">Braun</hi> und &#x017F;eine Schule vertretenen<lb/>
ideali&#x017F;ti&#x017F;chen Richtung entgegen&#x017F;telle, &#x017F;o i&#x017F;t damit nicht ge&#x017F;agt,<lb/>
daß die letztere nicht ebenfalls auf inductivem Wege im Einzelnen<lb/>
zur Bereicherung der Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft beigetragen habe; vielmehr<lb/>
verdankt die&#x017F;e vor Allem A. <hi rendition="#g">Braun</hi> &#x017F;elb&#x017F;t eine Reihe bedeu-<lb/>
tender Arbeiten in die&#x017F;em Sinne. Indem ich die neuere Rich-<lb/>
tung als die <hi rendition="#g">inductive</hi> bezeichne, nehme ich dies Wort in einem<lb/>
höheren Sinne, als es gewöhnlich ge&#x017F;chieht und eine Erklärung<lb/>
darüber wird gerade hier nicht überflü&#x017F;&#x017F;ig &#x017F;ein. Die ideali&#x017F;ti&#x017F;chen<lb/>
Naturan&#x017F;chauungen aller Zeiten, mögen &#x017F;ie als Platonismus,<lb/>
ari&#x017F;toteli&#x017F;che Logik, als Schola&#x017F;tik oder moderner Idealismus<lb/>
auftreten, haben &#x017F;ämmtlich das gemein, daß &#x017F;ie die höch&#x017F;te dem<lb/>
Men&#x017F;chen erreichbare Erkenntniß als eine bereits gewonnene,<lb/>
fe&#x017F;t&#x017F;tehende betrachten; die ober&#x017F;ten Sätze, die umfa&#x017F;&#x017F;end&#x017F;ten<lb/>
Wahrheiten gelten als bereits bekannt, und die inductive For&#x017F;ch-<lb/>
ung hat we&#x017F;entlich nur die Aufgabe, die&#x017F;elben zu be&#x017F;tätigen; die<lb/>
Ergebni&#x017F;&#x017F;e der Beobachtung dienen mehr zur Erläuterung der<lb/>
bereits fe&#x017F;t&#x017F;tehenden An&#x017F;ichten, zur Illu&#x017F;tration bereits bekannter<lb/>
Wahrheiten; die inductive For&#x017F;chung hat allein die Aufgabe, die<lb/>
einzelnen That&#x017F;achen fe&#x017F;tzu&#x017F;tellen. In dem Sinne dagegen, wie<lb/>
ich die inductive For&#x017F;chung mit <hi rendition="#g">Bacon</hi>, <hi rendition="#g">Locke</hi>, <hi rendition="#g">Hume</hi>, <hi rendition="#g">Kant</hi>,<lb/><hi rendition="#g">Lange</hi> ver&#x017F;tehe, i&#x017F;t ihre Aufgabe eine we&#x017F;entlich weitergehende;<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[184/0196] Die Morphologie unter dem Einfluß der Antheil an dieſer Neugeſtaltung der morphologiſchen Botanik nahm, hielt jedoch an der idealiſtiſchen Geſammtanſicht feſt und indem er die Ergebniſſe der neuen Forſchungen ſämmtlich in dieſem Sinne wiederholt und zuſammenfaſſend bearbeitete, zeigte ſich, in wieweit die idealiſtiſch platoniſirende Naturbetrachtung im Stande iſt, ihrerſeits den Ergebniſſen genauer inductiver Forſchung Rechnung zu tragen. Der Gegenſatz zwiſchen ſeinem Standpunkt und dem der hervorragendſten Führer der induktiven Richtung trat mit den Jahren immer ſchärfer hervor und muß hier als eine geſchichtliche Thatſache behandelt werden. Wenn ich aber, in Ermangelung eines beſſeren Ausdrucks, die nament- lich durch Mohl, Schleiden, Nägeli, Unger, Hof- meiſter, angebahnte neue Richtung der Botanik als die inductive der durch Braun und ſeine Schule vertretenen idealiſtiſchen Richtung entgegenſtelle, ſo iſt damit nicht geſagt, daß die letztere nicht ebenfalls auf inductivem Wege im Einzelnen zur Bereicherung der Wiſſenſchaft beigetragen habe; vielmehr verdankt dieſe vor Allem A. Braun ſelbſt eine Reihe bedeu- tender Arbeiten in dieſem Sinne. Indem ich die neuere Rich- tung als die inductive bezeichne, nehme ich dies Wort in einem höheren Sinne, als es gewöhnlich geſchieht und eine Erklärung darüber wird gerade hier nicht überflüſſig ſein. Die idealiſtiſchen Naturanſchauungen aller Zeiten, mögen ſie als Platonismus, ariſtoteliſche Logik, als Scholaſtik oder moderner Idealismus auftreten, haben ſämmtlich das gemein, daß ſie die höchſte dem Menſchen erreichbare Erkenntniß als eine bereits gewonnene, feſtſtehende betrachten; die oberſten Sätze, die umfaſſendſten Wahrheiten gelten als bereits bekannt, und die inductive Forſch- ung hat weſentlich nur die Aufgabe, dieſelben zu beſtätigen; die Ergebniſſe der Beobachtung dienen mehr zur Erläuterung der bereits feſtſtehenden Anſichten, zur Illuſtration bereits bekannter Wahrheiten; die inductive Forſchung hat allein die Aufgabe, die einzelnen Thatſachen feſtzuſtellen. In dem Sinne dagegen, wie ich die inductive Forſchung mit Bacon, Locke, Hume, Kant, Lange verſtehe, iſt ihre Aufgabe eine weſentlich weitergehende;

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/sachs_botanik_1875
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/sachs_botanik_1875/196
Zitationshilfe: Sachs, Julius: Geschichte der Botanik. München, 1875, S. 184. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sachs_botanik_1875/196>, abgerufen am 21.11.2024.