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Sachs, Julius: Geschichte der Botanik. München, 1875.

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Metamorphosenlehre und der Spiraltheorie.
sie soll nicht bei der Feststellung der einzelnen Thatsachen stehen
bleiben, sondern sie zur kritischen Prüfung der uns überlieferten
allgemeinsten Anschauungen benutzen, womöglich neue umfassende
Theorieen aus ihnen ableiten, selbst für den Fall, daß
diese den hergebrachten Ansichten durchaus widersprechen. Im
Wesen dieser Forschungsmethode liegt es aber, daß ihre allge-
meinen Ergebnisse einer beständigen Schwankung und Verbesserung
unterworfen sind; jede allgemeinere Wahrheit hat für sie nur
eine zeitweilige Geltung, so lange die neuen Thatsachen keinen
Widerspruch erheben. Der Unterschied des Idealismus und der
inductiven Methode auf dem Gebiet der Naturwissenschaft läuft
also darauf hinaus, daß jener die neuen Thatsachen einem
Schema alter Begriffe einordnet, diese dagegen aus neuen That-
sachen neue Begriffe ableitet; jener ist seiner Natur nach dog-
matisch und intolerant, diese vorwiegend kritisch; jener conservativ,
diese vorwärts drängend; jener mehr zur philosophischen Con-
templation, diese mehr zu thatkräftiger, productiver Forschung
geneigt. Zu all dem kommt aber noch ein Moment von großer
Bedeutung; die idealistische Naturanschauung, indem sie die Cau-
salität verwirft, erklärt die Natur aus Zweckbegriffen, sie ist
teleologisch; damit werden in die Naturwissenschaft ethische, selbst
theologische Elemente eingeführt.

In dieser Art stellt sich nun der Unterschied der durch A.
Braun vertretenen idealistischen Richtung und der neueren in-
ductiven Morphologie wirklich dar. Wäre es Aufgabe dieser
Geschichte, nur die Entdeckungen neuer Thatsachen zu verzeichnen,
so wäre es überflüssig, auf diese Differenzen hier hinzuweisen,
dann aber wäre es auch unmöglich, gerade die eigenthümlichste
und historisch interessanteste Seite in A. Braun's langer wissen-
schaftlicher Thätigkeit richtig zu würdigen; diese aber dürfte, ab-
gesehen von seinen zahlreichen descriptiven und monographischen
Arbeiten, ganz vorwiegend in seinen philosophischen Bestrebungen
auf dem Gebiet der Morphologie liegen, die schon deßhalb unsere
Beachtung verdienen, weil in ihnen die ungeklärten Anschauungen
Goethe's zu ihren letzten Consequenzen durchdringen, der der

Metamorphoſenlehre und der Spiraltheorie.
ſie ſoll nicht bei der Feſtſtellung der einzelnen Thatſachen ſtehen
bleiben, ſondern ſie zur kritiſchen Prüfung der uns überlieferten
allgemeinſten Anſchauungen benutzen, womöglich neue umfaſſende
Theorieen aus ihnen ableiten, ſelbſt für den Fall, daß
dieſe den hergebrachten Anſichten durchaus widerſprechen. Im
Weſen dieſer Forſchungsmethode liegt es aber, daß ihre allge-
meinen Ergebniſſe einer beſtändigen Schwankung und Verbeſſerung
unterworfen ſind; jede allgemeinere Wahrheit hat für ſie nur
eine zeitweilige Geltung, ſo lange die neuen Thatſachen keinen
Widerſpruch erheben. Der Unterſchied des Idealismus und der
inductiven Methode auf dem Gebiet der Naturwiſſenſchaft läuft
alſo darauf hinaus, daß jener die neuen Thatſachen einem
Schema alter Begriffe einordnet, dieſe dagegen aus neuen That-
ſachen neue Begriffe ableitet; jener iſt ſeiner Natur nach dog-
matiſch und intolerant, dieſe vorwiegend kritiſch; jener conſervativ,
dieſe vorwärts drängend; jener mehr zur philoſophiſchen Con-
templation, dieſe mehr zu thatkräftiger, productiver Forſchung
geneigt. Zu all dem kommt aber noch ein Moment von großer
Bedeutung; die idealiſtiſche Naturanſchauung, indem ſie die Cau-
ſalität verwirft, erklärt die Natur aus Zweckbegriffen, ſie iſt
teleologiſch; damit werden in die Naturwiſſenſchaft ethiſche, ſelbſt
theologiſche Elemente eingeführt.

In dieſer Art ſtellt ſich nun der Unterſchied der durch A.
Braun vertretenen idealiſtiſchen Richtung und der neueren in-
ductiven Morphologie wirklich dar. Wäre es Aufgabe dieſer
Geſchichte, nur die Entdeckungen neuer Thatſachen zu verzeichnen,
ſo wäre es überflüſſig, auf dieſe Differenzen hier hinzuweiſen,
dann aber wäre es auch unmöglich, gerade die eigenthümlichſte
und hiſtoriſch intereſſanteſte Seite in A. Braun's langer wiſſen-
ſchaftlicher Thätigkeit richtig zu würdigen; dieſe aber dürfte, ab-
geſehen von ſeinen zahlreichen descriptiven und monographiſchen
Arbeiten, ganz vorwiegend in ſeinen philoſophiſchen Beſtrebungen
auf dem Gebiet der Morphologie liegen, die ſchon deßhalb unſere
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Goethe's zu ihren letzten Conſequenzen durchdringen, der der

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[185/0197] Metamorphoſenlehre und der Spiraltheorie. ſie ſoll nicht bei der Feſtſtellung der einzelnen Thatſachen ſtehen bleiben, ſondern ſie zur kritiſchen Prüfung der uns überlieferten allgemeinſten Anſchauungen benutzen, womöglich neue umfaſſende Theorieen aus ihnen ableiten, ſelbſt für den Fall, daß dieſe den hergebrachten Anſichten durchaus widerſprechen. Im Weſen dieſer Forſchungsmethode liegt es aber, daß ihre allge- meinen Ergebniſſe einer beſtändigen Schwankung und Verbeſſerung unterworfen ſind; jede allgemeinere Wahrheit hat für ſie nur eine zeitweilige Geltung, ſo lange die neuen Thatſachen keinen Widerſpruch erheben. Der Unterſchied des Idealismus und der inductiven Methode auf dem Gebiet der Naturwiſſenſchaft läuft alſo darauf hinaus, daß jener die neuen Thatſachen einem Schema alter Begriffe einordnet, dieſe dagegen aus neuen That- ſachen neue Begriffe ableitet; jener iſt ſeiner Natur nach dog- matiſch und intolerant, dieſe vorwiegend kritiſch; jener conſervativ, dieſe vorwärts drängend; jener mehr zur philoſophiſchen Con- templation, dieſe mehr zu thatkräftiger, productiver Forſchung geneigt. Zu all dem kommt aber noch ein Moment von großer Bedeutung; die idealiſtiſche Naturanſchauung, indem ſie die Cau- ſalität verwirft, erklärt die Natur aus Zweckbegriffen, ſie iſt teleologiſch; damit werden in die Naturwiſſenſchaft ethiſche, ſelbſt theologiſche Elemente eingeführt. In dieſer Art ſtellt ſich nun der Unterſchied der durch A. Braun vertretenen idealiſtiſchen Richtung und der neueren in- ductiven Morphologie wirklich dar. Wäre es Aufgabe dieſer Geſchichte, nur die Entdeckungen neuer Thatſachen zu verzeichnen, ſo wäre es überflüſſig, auf dieſe Differenzen hier hinzuweiſen, dann aber wäre es auch unmöglich, gerade die eigenthümlichſte und hiſtoriſch intereſſanteſte Seite in A. Braun's langer wiſſen- ſchaftlicher Thätigkeit richtig zu würdigen; dieſe aber dürfte, ab- geſehen von ſeinen zahlreichen descriptiven und monographiſchen Arbeiten, ganz vorwiegend in ſeinen philoſophiſchen Beſtrebungen auf dem Gebiet der Morphologie liegen, die ſchon deßhalb unſere Beachtung verdienen, weil in ihnen die ungeklärten Anſchauungen Goethe's zu ihren letzten Conſequenzen durchdringen, der der

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Zitationshilfe: Sachs, Julius: Geschichte der Botanik. München, 1875, S. 185. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sachs_botanik_1875/197>, abgerufen am 24.11.2024.