Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Sachs, Julius: Geschichte der Botanik. München, 1875.

Bild:
<< vorherige Seite

Einleitung.
an, die sinnliche Wahrnehmung mit dem Verstand zu bearbeiten,
das Wichtige vom Unwichtigen zu unterscheiden, in die einzelnen
Wahrnehmungen logischen Zusammenhang zu bringen, bei der
Untersuchung ein Ziel zu verfolgen; dieses Ziel aber kann in
letzter Instanz für den Phytotomen kein anderes sein als das,
die ganze innere Struktur der Pflanze in ihrem gesammten Zu-
sammenhang so klar zu erfassen, daß dieselbe mit allen Einzel-
heiten von der Phantasie mit völliger sinnlicher Deutlichkeit
jederzeit reproducirt werden kann. Dieß zu erreichen, ist nicht
leicht, weil das Mikroskop, je stärker es vergrößert, nur
desto kleinere Theile des Ganzen zeigt; geschickte und überlegte
Präparation, sorgfältige Combination der verschiedenen Bilder
und lange Uebung sind nöthig, um jenes Ziel zu erreichen. Die
Geschichte der Phytotomie zeigt, wie schwer es den Beobachtern
gefallen ist, das zerstückelt Gesehene nach und nach zu klarer
zusammenhängender Vorstellung zu gestalten.

Die fortschreitende Verbesserung der Mikroskope also genügte
keineswegs allein, um die Phytotomie fortschreiten zu lassen; ja
man geht sogar nicht zu weit, wenn man behauptet, daß die
Fortschritte, welche die mikroskopische Anatomie mit Hülfe un-
vollkommener Mikroskope nach und nach machte, wiederholt den
Impuls zu energischen Anstrengungen für die Verbesserung der
Mikroskope gegeben haben; die praktischen Mikroskopiker allein
konnten beurtheilen, wo die wahren Mängel der vorhandenen
Mikroskope lagen, ihre Bestrebungen, sie handlicher zu machen,
ihre beständigen Klagen über die geringe Leistungsfähigkeit des
optischen Theils, Klagen, die zumal am Ende des vorigen und
am Anfang dieses Jahrhunderts laut wurden, waren es, welche
die Optiker drängten, dem Mikroskop ihre Aufmerksamkeit zuzu-
wenden und ihm eine immer größere Vollkommenheit zu geben.
Aber nicht nur das, die praktischen Mikroskopiker selbst waren es,
welche wiederholt wesentliche Verbesserungen an dem Instrument
ausführten; so gab zuerst Robert Hooke 1760 dem zusammen-
gesetzten Mikroskop eine für wissenschaftliche Beobachtung brauch-
bare Form, so war es Leeuwenhoek, der das einfache Mikroskop

Einleitung.
an, die ſinnliche Wahrnehmung mit dem Verſtand zu bearbeiten,
das Wichtige vom Unwichtigen zu unterſcheiden, in die einzelnen
Wahrnehmungen logiſchen Zuſammenhang zu bringen, bei der
Unterſuchung ein Ziel zu verfolgen; dieſes Ziel aber kann in
letzter Inſtanz für den Phytotomen kein anderes ſein als das,
die ganze innere Struktur der Pflanze in ihrem geſammten Zu-
ſammenhang ſo klar zu erfaſſen, daß dieſelbe mit allen Einzel-
heiten von der Phantaſie mit völliger ſinnlicher Deutlichkeit
jederzeit reproducirt werden kann. Dieß zu erreichen, iſt nicht
leicht, weil das Mikroſkop, je ſtärker es vergrößert, nur
deſto kleinere Theile des Ganzen zeigt; geſchickte und überlegte
Präparation, ſorgfältige Combination der verſchiedenen Bilder
und lange Uebung ſind nöthig, um jenes Ziel zu erreichen. Die
Geſchichte der Phytotomie zeigt, wie ſchwer es den Beobachtern
gefallen iſt, das zerſtückelt Geſehene nach und nach zu klarer
zuſammenhängender Vorſtellung zu geſtalten.

Die fortſchreitende Verbeſſerung der Mikroſkope alſo genügte
keineswegs allein, um die Phytotomie fortſchreiten zu laſſen; ja
man geht ſogar nicht zu weit, wenn man behauptet, daß die
Fortſchritte, welche die mikroſkopiſche Anatomie mit Hülfe un-
vollkommener Mikroſkope nach und nach machte, wiederholt den
Impuls zu energiſchen Anſtrengungen für die Verbeſſerung der
Mikroſkope gegeben haben; die praktiſchen Mikroſkopiker allein
konnten beurtheilen, wo die wahren Mängel der vorhandenen
Mikroſkope lagen, ihre Beſtrebungen, ſie handlicher zu machen,
ihre beſtändigen Klagen über die geringe Leiſtungsfähigkeit des
optiſchen Theils, Klagen, die zumal am Ende des vorigen und
am Anfang dieſes Jahrhunderts laut wurden, waren es, welche
die Optiker drängten, dem Mikroſkop ihre Aufmerkſamkeit zuzu-
wenden und ihm eine immer größere Vollkommenheit zu geben.
Aber nicht nur das, die praktiſchen Mikroſkopiker ſelbſt waren es,
welche wiederholt weſentliche Verbeſſerungen an dem Inſtrument
ausführten; ſo gab zuerſt Robert Hooke 1760 dem zuſammen-
geſetzten Mikroſkop eine für wiſſenſchaftliche Beobachtung brauch-
bare Form, ſo war es Leeuwenhoek, der das einfache Mikroſkop

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0251" n="239"/><fw place="top" type="header">Einleitung.</fw><lb/>
an, die &#x017F;innliche Wahrnehmung mit dem Ver&#x017F;tand zu bearbeiten,<lb/>
das Wichtige vom Unwichtigen zu unter&#x017F;cheiden, in die einzelnen<lb/>
Wahrnehmungen logi&#x017F;chen Zu&#x017F;ammenhang zu bringen, bei der<lb/>
Unter&#x017F;uchung ein Ziel zu verfolgen; die&#x017F;es Ziel aber kann in<lb/>
letzter In&#x017F;tanz für den Phytotomen kein anderes &#x017F;ein als das,<lb/>
die ganze innere Struktur der Pflanze in ihrem ge&#x017F;ammten Zu-<lb/>
&#x017F;ammenhang &#x017F;o klar zu erfa&#x017F;&#x017F;en, daß die&#x017F;elbe mit allen Einzel-<lb/>
heiten von der Phanta&#x017F;ie mit völliger &#x017F;innlicher Deutlichkeit<lb/>
jederzeit reproducirt werden kann. Dieß zu erreichen, i&#x017F;t nicht<lb/>
leicht, weil das Mikro&#x017F;kop, je &#x017F;tärker es vergrößert, nur<lb/>
de&#x017F;to kleinere Theile des Ganzen zeigt; ge&#x017F;chickte und überlegte<lb/>
Präparation, &#x017F;orgfältige Combination der ver&#x017F;chiedenen Bilder<lb/>
und lange Uebung &#x017F;ind nöthig, um jenes Ziel zu erreichen. Die<lb/>
Ge&#x017F;chichte der Phytotomie zeigt, wie &#x017F;chwer es den Beobachtern<lb/>
gefallen i&#x017F;t, das zer&#x017F;tückelt Ge&#x017F;ehene nach und nach zu klarer<lb/>
zu&#x017F;ammenhängender Vor&#x017F;tellung zu ge&#x017F;talten.</p><lb/>
          <p>Die fort&#x017F;chreitende Verbe&#x017F;&#x017F;erung der Mikro&#x017F;kope al&#x017F;o genügte<lb/>
keineswegs allein, um die Phytotomie fort&#x017F;chreiten zu la&#x017F;&#x017F;en; ja<lb/>
man geht &#x017F;ogar nicht zu weit, wenn man behauptet, daß die<lb/>
Fort&#x017F;chritte, welche die mikro&#x017F;kopi&#x017F;che Anatomie mit Hülfe un-<lb/>
vollkommener Mikro&#x017F;kope nach und nach machte, wiederholt den<lb/>
Impuls zu energi&#x017F;chen An&#x017F;trengungen für die Verbe&#x017F;&#x017F;erung der<lb/>
Mikro&#x017F;kope gegeben haben; die prakti&#x017F;chen Mikro&#x017F;kopiker allein<lb/>
konnten beurtheilen, wo die wahren Mängel der vorhandenen<lb/>
Mikro&#x017F;kope lagen, ihre Be&#x017F;trebungen, &#x017F;ie handlicher zu machen,<lb/>
ihre be&#x017F;tändigen Klagen über die geringe Lei&#x017F;tungsfähigkeit des<lb/>
opti&#x017F;chen Theils, Klagen, die zumal am Ende des vorigen und<lb/>
am Anfang die&#x017F;es Jahrhunderts laut wurden, waren es, welche<lb/>
die Optiker drängten, dem Mikro&#x017F;kop ihre Aufmerk&#x017F;amkeit zuzu-<lb/>
wenden und ihm eine immer größere Vollkommenheit zu geben.<lb/>
Aber nicht nur das, die prakti&#x017F;chen Mikro&#x017F;kopiker &#x017F;elb&#x017F;t waren es,<lb/>
welche wiederholt we&#x017F;entliche Verbe&#x017F;&#x017F;erungen an dem In&#x017F;trument<lb/>
ausführten; &#x017F;o gab zuer&#x017F;t <hi rendition="#g">Robert Hooke</hi> 1760 dem zu&#x017F;ammen-<lb/>
ge&#x017F;etzten Mikro&#x017F;kop eine für wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaftliche Beobachtung brauch-<lb/>
bare Form, &#x017F;o war es <hi rendition="#g">Leeuwenhoek</hi>, der das einfache Mikro&#x017F;kop<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[239/0251] Einleitung. an, die ſinnliche Wahrnehmung mit dem Verſtand zu bearbeiten, das Wichtige vom Unwichtigen zu unterſcheiden, in die einzelnen Wahrnehmungen logiſchen Zuſammenhang zu bringen, bei der Unterſuchung ein Ziel zu verfolgen; dieſes Ziel aber kann in letzter Inſtanz für den Phytotomen kein anderes ſein als das, die ganze innere Struktur der Pflanze in ihrem geſammten Zu- ſammenhang ſo klar zu erfaſſen, daß dieſelbe mit allen Einzel- heiten von der Phantaſie mit völliger ſinnlicher Deutlichkeit jederzeit reproducirt werden kann. Dieß zu erreichen, iſt nicht leicht, weil das Mikroſkop, je ſtärker es vergrößert, nur deſto kleinere Theile des Ganzen zeigt; geſchickte und überlegte Präparation, ſorgfältige Combination der verſchiedenen Bilder und lange Uebung ſind nöthig, um jenes Ziel zu erreichen. Die Geſchichte der Phytotomie zeigt, wie ſchwer es den Beobachtern gefallen iſt, das zerſtückelt Geſehene nach und nach zu klarer zuſammenhängender Vorſtellung zu geſtalten. Die fortſchreitende Verbeſſerung der Mikroſkope alſo genügte keineswegs allein, um die Phytotomie fortſchreiten zu laſſen; ja man geht ſogar nicht zu weit, wenn man behauptet, daß die Fortſchritte, welche die mikroſkopiſche Anatomie mit Hülfe un- vollkommener Mikroſkope nach und nach machte, wiederholt den Impuls zu energiſchen Anſtrengungen für die Verbeſſerung der Mikroſkope gegeben haben; die praktiſchen Mikroſkopiker allein konnten beurtheilen, wo die wahren Mängel der vorhandenen Mikroſkope lagen, ihre Beſtrebungen, ſie handlicher zu machen, ihre beſtändigen Klagen über die geringe Leiſtungsfähigkeit des optiſchen Theils, Klagen, die zumal am Ende des vorigen und am Anfang dieſes Jahrhunderts laut wurden, waren es, welche die Optiker drängten, dem Mikroſkop ihre Aufmerkſamkeit zuzu- wenden und ihm eine immer größere Vollkommenheit zu geben. Aber nicht nur das, die praktiſchen Mikroſkopiker ſelbſt waren es, welche wiederholt weſentliche Verbeſſerungen an dem Inſtrument ausführten; ſo gab zuerſt Robert Hooke 1760 dem zuſammen- geſetzten Mikroſkop eine für wiſſenſchaftliche Beobachtung brauch- bare Form, ſo war es Leeuwenhoek, der das einfache Mikroſkop

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/sachs_botanik_1875
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/sachs_botanik_1875/251
Zitationshilfe: Sachs, Julius: Geschichte der Botanik. München, 1875, S. 239. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sachs_botanik_1875/251>, abgerufen am 24.11.2024.