und Mohl kaum Einer in dem Grade sich der Phytotomie gewidmet hat.
Wie auch auf dem Gebiet der Medicin im 17. Jahrhun- dert die menschliche Anatomie auf das Innigste mit der Phy- siologie verknüpft war, die letztere noch gar nicht als besondere Disciplin behandelt wurde, so verband sich nothwendig auch bei den Begründern der Phytotomie die physiologische Betrachtung der Funktionen der Organe überall mit dem Studium ihrer Struktur. Bei jeder anatomischen Frage standen Erwägungen über die Saftbewegung und Ernährung im Vordergrund; Struktur- verhältnisse, welche sich dem bewaffneten Auge entzogen, wurden aus physiologischen Gründen hypothetisch angenommen; obgleich man damals von den Funktionen der Pflanzenorgane über- haupt nur wenig Positives wußte; man stützte sich daher auf Analogieen zwischen Vegetation und thierischem Leben, wo- durch die Pflanzenphysiologie zwar ihre ersten kräftigen Impulse erhielt, anfangs aber doch vielfach Irrthümer hervorgerufen wurden, welche auch die anatomische Behandlung oft verwirrten. Gegenwärtig, wo die Pflanzenanatomie sich mehr als wünschens- werth von der Physiologie, d. h. von der Untersuchung der Funktionen der Organe, abgetrennt hat, ist es nach dem Gesagten sehr schwer, ja unmöglich, dem Leser in Kürze den Inhalt der beiden epochemachenden Werke vorzuführen. Ich muß mich darauf beschränken, einige Hauptpuncte hervorzuheben, an welche die weitere Entwicklung der Phytotomie historisch angeknüpft hat; das sind aber zum Theil gerade solche Fragen, denen Malpighi und Grew nur nebenbei ihre Aufmerksamkeit schenkten, deren Betonung also eine gewisse Ungerechtigkeit gegen sie enthält. Auf den physiologischen Inhalt ihrer Werke komme ich im dritten Buch unserer Geschichte zurück, indem ich es hier versuche, nur das die Strukturverhältnisse der Pflanzen Betreffende auszusondern.
Das phytotomische Werk des Marcello Malpighi1) erschien
1) M. Malpighi geb. zu Crevalcuore bei Bologna 1628 wurde 1653 Doctor der Medicin, seit 1656 Professor in Bologna, Pisa, Messina und
Begründung der Phytotomie durch
und Mohl kaum Einer in dem Grade ſich der Phytotomie gewidmet hat.
Wie auch auf dem Gebiet der Medicin im 17. Jahrhun- dert die menſchliche Anatomie auf das Innigſte mit der Phy- ſiologie verknüpft war, die letztere noch gar nicht als beſondere Disciplin behandelt wurde, ſo verband ſich nothwendig auch bei den Begründern der Phytotomie die phyſiologiſche Betrachtung der Funktionen der Organe überall mit dem Studium ihrer Struktur. Bei jeder anatomiſchen Frage ſtanden Erwägungen über die Saftbewegung und Ernährung im Vordergrund; Struktur- verhältniſſe, welche ſich dem bewaffneten Auge entzogen, wurden aus phyſiologiſchen Gründen hypothetiſch angenommen; obgleich man damals von den Funktionen der Pflanzenorgane über- haupt nur wenig Poſitives wußte; man ſtützte ſich daher auf Analogieen zwiſchen Vegetation und thieriſchem Leben, wo- durch die Pflanzenphyſiologie zwar ihre erſten kräftigen Impulſe erhielt, anfangs aber doch vielfach Irrthümer hervorgerufen wurden, welche auch die anatomiſche Behandlung oft verwirrten. Gegenwärtig, wo die Pflanzenanatomie ſich mehr als wünſchens- werth von der Phyſiologie, d. h. von der Unterſuchung der Funktionen der Organe, abgetrennt hat, iſt es nach dem Geſagten ſehr ſchwer, ja unmöglich, dem Leſer in Kürze den Inhalt der beiden epochemachenden Werke vorzuführen. Ich muß mich darauf beſchränken, einige Hauptpuncte hervorzuheben, an welche die weitere Entwicklung der Phytotomie hiſtoriſch angeknüpft hat; das ſind aber zum Theil gerade ſolche Fragen, denen Malpighi und Grew nur nebenbei ihre Aufmerkſamkeit ſchenkten, deren Betonung alſo eine gewiſſe Ungerechtigkeit gegen ſie enthält. Auf den phyſiologiſchen Inhalt ihrer Werke komme ich im dritten Buch unſerer Geſchichte zurück, indem ich es hier verſuche, nur das die Strukturverhältniſſe der Pflanzen Betreffende auszuſondern.
Das phytotomiſche Werk des Marcello Malpighi1) erſchien
1) M. Malpighi geb. zu Crevalcuore bei Bologna 1628 wurde 1653 Doctor der Medicin, ſeit 1656 Profeſſor in Bologna, Piſa, Meſſina und
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Begründung der Phytotomie durch
und Mohl kaum Einer in dem Grade ſich der Phytotomie
gewidmet hat.
Wie auch auf dem Gebiet der Medicin im 17. Jahrhun-
dert die menſchliche Anatomie auf das Innigſte mit der Phy-
ſiologie verknüpft war, die letztere noch gar nicht als beſondere
Disciplin behandelt wurde, ſo verband ſich nothwendig auch bei
den Begründern der Phytotomie die phyſiologiſche Betrachtung
der Funktionen der Organe überall mit dem Studium ihrer
Struktur. Bei jeder anatomiſchen Frage ſtanden Erwägungen
über die Saftbewegung und Ernährung im Vordergrund; Struktur-
verhältniſſe, welche ſich dem bewaffneten Auge entzogen, wurden
aus phyſiologiſchen Gründen hypothetiſch angenommen; obgleich
man damals von den Funktionen der Pflanzenorgane über-
haupt nur wenig Poſitives wußte; man ſtützte ſich daher
auf Analogieen zwiſchen Vegetation und thieriſchem Leben, wo-
durch die Pflanzenphyſiologie zwar ihre erſten kräftigen Impulſe
erhielt, anfangs aber doch vielfach Irrthümer hervorgerufen
wurden, welche auch die anatomiſche Behandlung oft verwirrten.
Gegenwärtig, wo die Pflanzenanatomie ſich mehr als wünſchens-
werth von der Phyſiologie, d. h. von der Unterſuchung der
Funktionen der Organe, abgetrennt hat, iſt es nach dem Geſagten
ſehr ſchwer, ja unmöglich, dem Leſer in Kürze den Inhalt der
beiden epochemachenden Werke vorzuführen. Ich muß mich
darauf beſchränken, einige Hauptpuncte hervorzuheben, an welche
die weitere Entwicklung der Phytotomie hiſtoriſch angeknüpft
hat; das ſind aber zum Theil gerade ſolche Fragen, denen
Malpighi und Grew nur nebenbei ihre Aufmerkſamkeit
ſchenkten, deren Betonung alſo eine gewiſſe Ungerechtigkeit gegen
ſie enthält. Auf den phyſiologiſchen Inhalt ihrer Werke komme
ich im dritten Buch unſerer Geſchichte zurück, indem ich es hier
verſuche, nur das die Strukturverhältniſſe der Pflanzen Betreffende
auszuſondern.
Das phytotomiſche Werk des Marcello Malpighi 1) erſchien
1) M. Malpighi geb. zu Crevalcuore bei Bologna 1628 wurde 1653
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Sachs, Julius: Geschichte der Botanik. München, 1875, S. 252. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sachs_botanik_1875/264>, abgerufen am 24.11.2024.
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