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Sachs, Julius: Geschichte der Botanik. München, 1875.

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Die Phytotomie im 18. Jahrhundert.
bilden das Zellengewebe, welches wir durch alle Theile der
Pflanze verbreitet wahrnehmen. Dieses ist es, was Malpighi
u. a. Schläuche nennen, insofern es in verschiedenen Theilen in
Form von Bläschenreihen, die mit einander verbunden sind, er-
scheint! Noch schlimmer sieht es in Boehmer's dissertatio de
celluloso contextu
1785 aus: "Weiße, elastische, bald dickere
bald dünnere Fibern und Fäden unter sich verwebt, von ver-
schiedener Figur und Größe bilden Höhlungen oder Zellen oder
Cavernen und pflegen mit dem Namen Zellgewebe bezeichnet zu
werden." Man sieht, welches Unglück Grew mit seiner Theorie
vom faserigen Bau der Zellwände angerichtet hatte und wie der
Ausdruck "Zellgewebe" wörtlich genommen, die hier genannten Bo-
taniker u. a. zu ganz unrichtigen Vorstellungen verführte. Daß
es aber nicht nur in Deutschland bis zu solchen Mißverständnissen
kam, zeigen Du Hamel's, Comparetti's. Senebier's
Werke und sogar Hill, ein Landsmann Grew's, dachte sich
die Zellen, wie Mohl berichtet, unter der Gestalt von über ein-
ander stehenden, unter geschlossenen, oben offenen Bechern.

Freiherr v. Gleichen-Rutzworm (markgräfl. anspachscher
geheimer Rath geb. 1717, gest. 1783) beschäftigte sich viel mit
der Vervollkommnung der äußeren mechanischen Einrichtung der
Mikroskope, von deren außerordentlichen Unzweckmäßigkeit schon
seine Kupfertafeln die überraschendste Einsicht gewähren. Er
machte mit diesen Instrumenten sehr zahlreiche Beobachtungen,
die er in zwei umfangreichen Werken ("das Neueste aus dem
Reich der Pflanzen" 1764 und "Auserlesene mikroskopische Ent-
deckungen" 1777-81) niederlegte. In beiden ist aber von der
mikroskopischen Anatomie, vom Zellenbau der Pflanze wenig oder
gar nicht die Rede. Seine mikroskopischen Beobachtungen sind
vorwiegend den Befruchtungsvorgängen gewidmet und dem Be-
weis, daß im Pollen Spermatozoen enthalten sind. 1) Dabei
findet er aber Veranlassung, sehr zahlreiche kleinere Blüthen ver-
größert und zum Theil recht schön abzubilden, in welcher Be-

1) Wir kommen in der Geschichte der Sexualtheorie darauf zurück.

Die Phytotomie im 18. Jahrhundert.
bilden das Zellengewebe, welches wir durch alle Theile der
Pflanze verbreitet wahrnehmen. Dieſes iſt es, was Malpighi
u. a. Schläuche nennen, inſofern es in verſchiedenen Theilen in
Form von Bläschenreihen, die mit einander verbunden ſind, er-
ſcheint! Noch ſchlimmer ſieht es in Boehmer's dissertatio de
celluloso contextu
1785 aus: „Weiße, elaſtiſche, bald dickere
bald dünnere Fibern und Fäden unter ſich verwebt, von ver-
ſchiedener Figur und Größe bilden Höhlungen oder Zellen oder
Cavernen und pflegen mit dem Namen Zellgewebe bezeichnet zu
werden.“ Man ſieht, welches Unglück Grew mit ſeiner Theorie
vom faſerigen Bau der Zellwände angerichtet hatte und wie der
Ausdruck „Zellgewebe“ wörtlich genommen, die hier genannten Bo-
taniker u. a. zu ganz unrichtigen Vorſtellungen verführte. Daß
es aber nicht nur in Deutſchland bis zu ſolchen Mißverſtändniſſen
kam, zeigen Du Hamel's, Comparetti's. Senebier's
Werke und ſogar Hill, ein Landsmann Grew's, dachte ſich
die Zellen, wie Mohl berichtet, unter der Geſtalt von über ein-
ander ſtehenden, unter geſchloſſenen, oben offenen Bechern.

Freiherr v. Gleichen-Rutzworm (markgräfl. anſpachſcher
geheimer Rath geb. 1717, geſt. 1783) beſchäftigte ſich viel mit
der Vervollkommnung der äußeren mechaniſchen Einrichtung der
Mikroſkope, von deren außerordentlichen Unzweckmäßigkeit ſchon
ſeine Kupfertafeln die überraſchendſte Einſicht gewähren. Er
machte mit dieſen Inſtrumenten ſehr zahlreiche Beobachtungen,
die er in zwei umfangreichen Werken („das Neueſte aus dem
Reich der Pflanzen“ 1764 und „Auserleſene mikroſkopiſche Ent-
deckungen“ 1777-81) niederlegte. In beiden iſt aber von der
mikroſkopiſchen Anatomie, vom Zellenbau der Pflanze wenig oder
gar nicht die Rede. Seine mikroſkopiſchen Beobachtungen ſind
vorwiegend den Befruchtungsvorgängen gewidmet und dem Be-
weis, daß im Pollen Spermatozoen enthalten ſind. 1) Dabei
findet er aber Veranlaſſung, ſehr zahlreiche kleinere Blüthen ver-
größert und zum Theil recht ſchön abzubilden, in welcher Be-

1) Wir kommen in der Geſchichte der Sexualtheorie darauf zurück.
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[268/0280] Die Phytotomie im 18. Jahrhundert. bilden das Zellengewebe, welches wir durch alle Theile der Pflanze verbreitet wahrnehmen. Dieſes iſt es, was Malpighi u. a. Schläuche nennen, inſofern es in verſchiedenen Theilen in Form von Bläschenreihen, die mit einander verbunden ſind, er- ſcheint! Noch ſchlimmer ſieht es in Boehmer's dissertatio de celluloso contextu 1785 aus: „Weiße, elaſtiſche, bald dickere bald dünnere Fibern und Fäden unter ſich verwebt, von ver- ſchiedener Figur und Größe bilden Höhlungen oder Zellen oder Cavernen und pflegen mit dem Namen Zellgewebe bezeichnet zu werden.“ Man ſieht, welches Unglück Grew mit ſeiner Theorie vom faſerigen Bau der Zellwände angerichtet hatte und wie der Ausdruck „Zellgewebe“ wörtlich genommen, die hier genannten Bo- taniker u. a. zu ganz unrichtigen Vorſtellungen verführte. Daß es aber nicht nur in Deutſchland bis zu ſolchen Mißverſtändniſſen kam, zeigen Du Hamel's, Comparetti's. Senebier's Werke und ſogar Hill, ein Landsmann Grew's, dachte ſich die Zellen, wie Mohl berichtet, unter der Geſtalt von über ein- ander ſtehenden, unter geſchloſſenen, oben offenen Bechern. Freiherr v. Gleichen-Rutzworm (markgräfl. anſpachſcher geheimer Rath geb. 1717, geſt. 1783) beſchäftigte ſich viel mit der Vervollkommnung der äußeren mechaniſchen Einrichtung der Mikroſkope, von deren außerordentlichen Unzweckmäßigkeit ſchon ſeine Kupfertafeln die überraſchendſte Einſicht gewähren. Er machte mit dieſen Inſtrumenten ſehr zahlreiche Beobachtungen, die er in zwei umfangreichen Werken („das Neueſte aus dem Reich der Pflanzen“ 1764 und „Auserleſene mikroſkopiſche Ent- deckungen“ 1777-81) niederlegte. In beiden iſt aber von der mikroſkopiſchen Anatomie, vom Zellenbau der Pflanze wenig oder gar nicht die Rede. Seine mikroſkopiſchen Beobachtungen ſind vorwiegend den Befruchtungsvorgängen gewidmet und dem Be- weis, daß im Pollen Spermatozoen enthalten ſind. 1) Dabei findet er aber Veranlaſſung, ſehr zahlreiche kleinere Blüthen ver- größert und zum Theil recht ſchön abzubilden, in welcher Be- 1) Wir kommen in der Geſchichte der Sexualtheorie darauf zurück.

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Zitationshilfe: Sachs, Julius: Geschichte der Botanik. München, 1875, S. 268. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sachs_botanik_1875/280>, abgerufen am 24.11.2024.