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Sachs, Julius: Geschichte der Botanik. München, 1875.

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Entwicklungsgeschichte der Zelle, Entstehung der
die Richtigkeit und allgemeine Giltigkeit der Schleiden'schen
Theorie zu prüfen, so mußten sie vor Allem auf das allgemeine
Vorkommen des Zellkerns und auf seine Lagerung an der Seite
der Zellwand achten, denn dieß waren die der Beobachtung und
der Kritik zugänglichsten Momente. Bei der Diskussion der Be-
obachtungen trat ein in dem bisherigen Sprachgebrauch liegender
Uebelstand hervor, indem man mit dem Wort Zelle für gewöhn-
lich zwar nur die Zellhaut, unter Umständen aber auch die
Gesammtheit des ganzen Zellkörpers verstand; auch hatte man
bisher den protoplasmatischen Inhalt der Zellen von den übrigen
Contentis noch nicht scharf geschieden.

Nägeli und Mohl erwarben sich gleichzeitig das Ver-
dienst, die Begriffe in dieser Beziehung zu klären, indem Mohl
den Primordialschlauch 1844 als einen nicht zur Zellhaut gehörigen
Bestandtheil des Zellinhaltes erkannte, seine Betheiligung an der
Zelltheilung nachwies, und 1846 das Protoplasma als solches
in seiner Eigenartigkeit dem übrigen Zellinhalt gegenüber erkannte
und mit dem noch jetzt üblichen Namen belegte. Unterdessen
hatte auch Nägeli das Protoplasma von den übrigen Contentis
unterschieden und seine hervorragende Bedeutung für die Zell-
bildung, sowie seine stickstoffhaltige Beschaffenheit hervorgehoben.

Es darf hier nicht unerwähnt bleiben, daß die Untersuch-
ungen über die Zellbildungsvorgänge die Beobachter nöthigten,
diejenigen Orte aufzusuchen, wo Zellbildung wirklich stattfindet,
wobei sich denn bald die Thatsache herausstellte, daß nicht in
allen, nicht einmal in allen wachsenden Theilen der Pflanze,
Zellen im status nascendi zu finden sind, daß vielmehr nur in
den sogenannten Vegetationspuncten der Stämme und Wurzeln,
in den jüngsten Seitenorganen derselben, und bei den Holzpflanzen
zwischen Rinde und Holz die Orte zu suchen sind, wo gewöhnlich
neue Zellen entstehen. Um diese Zeit begann man auch dem
Wort Cambium, welches Mirbel früher im Sinne eines die
Pflanze durchtränkenden Nahrungssaftes benutzt hatte, einen andern
Begriff unterzulegen; man gewöhnte sich, das Wort auf solche
Gewebemassen anzuwenden, in denen Neubildung von Zellen

Entwicklungsgeſchichte der Zelle, Entſtehung der
die Richtigkeit und allgemeine Giltigkeit der Schleiden'ſchen
Theorie zu prüfen, ſo mußten ſie vor Allem auf das allgemeine
Vorkommen des Zellkerns und auf ſeine Lagerung an der Seite
der Zellwand achten, denn dieß waren die der Beobachtung und
der Kritik zugänglichſten Momente. Bei der Diskuſſion der Be-
obachtungen trat ein in dem bisherigen Sprachgebrauch liegender
Uebelſtand hervor, indem man mit dem Wort Zelle für gewöhn-
lich zwar nur die Zellhaut, unter Umſtänden aber auch die
Geſammtheit des ganzen Zellkörpers verſtand; auch hatte man
bisher den protoplasmatiſchen Inhalt der Zellen von den übrigen
Contentis noch nicht ſcharf geſchieden.

Nägeli und Mohl erwarben ſich gleichzeitig das Ver-
dienſt, die Begriffe in dieſer Beziehung zu klären, indem Mohl
den Primordialſchlauch 1844 als einen nicht zur Zellhaut gehörigen
Beſtandtheil des Zellinhaltes erkannte, ſeine Betheiligung an der
Zelltheilung nachwies, und 1846 das Protoplasma als ſolches
in ſeiner Eigenartigkeit dem übrigen Zellinhalt gegenüber erkannte
und mit dem noch jetzt üblichen Namen belegte. Unterdeſſen
hatte auch Nägeli das Protoplasma von den übrigen Contentis
unterſchieden und ſeine hervorragende Bedeutung für die Zell-
bildung, ſowie ſeine ſtickſtoffhaltige Beſchaffenheit hervorgehoben.

Es darf hier nicht unerwähnt bleiben, daß die Unterſuch-
ungen über die Zellbildungsvorgänge die Beobachter nöthigten,
diejenigen Orte aufzuſuchen, wo Zellbildung wirklich ſtattfindet,
wobei ſich denn bald die Thatſache herausſtellte, daß nicht in
allen, nicht einmal in allen wachſenden Theilen der Pflanze,
Zellen im status nascendi zu finden ſind, daß vielmehr nur in
den ſogenannten Vegetationspuncten der Stämme und Wurzeln,
in den jüngſten Seitenorganen derſelben, und bei den Holzpflanzen
zwiſchen Rinde und Holz die Orte zu ſuchen ſind, wo gewöhnlich
neue Zellen entſtehen. Um dieſe Zeit begann man auch dem
Wort Cambium, welches Mirbel früher im Sinne eines die
Pflanze durchtränkenden Nahrungsſaftes benutzt hatte, einen andern
Begriff unterzulegen; man gewöhnte ſich, das Wort auf ſolche
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[354/0366] Entwicklungsgeſchichte der Zelle, Entſtehung der die Richtigkeit und allgemeine Giltigkeit der Schleiden'ſchen Theorie zu prüfen, ſo mußten ſie vor Allem auf das allgemeine Vorkommen des Zellkerns und auf ſeine Lagerung an der Seite der Zellwand achten, denn dieß waren die der Beobachtung und der Kritik zugänglichſten Momente. Bei der Diskuſſion der Be- obachtungen trat ein in dem bisherigen Sprachgebrauch liegender Uebelſtand hervor, indem man mit dem Wort Zelle für gewöhn- lich zwar nur die Zellhaut, unter Umſtänden aber auch die Geſammtheit des ganzen Zellkörpers verſtand; auch hatte man bisher den protoplasmatiſchen Inhalt der Zellen von den übrigen Contentis noch nicht ſcharf geſchieden. Nägeli und Mohl erwarben ſich gleichzeitig das Ver- dienſt, die Begriffe in dieſer Beziehung zu klären, indem Mohl den Primordialſchlauch 1844 als einen nicht zur Zellhaut gehörigen Beſtandtheil des Zellinhaltes erkannte, ſeine Betheiligung an der Zelltheilung nachwies, und 1846 das Protoplasma als ſolches in ſeiner Eigenartigkeit dem übrigen Zellinhalt gegenüber erkannte und mit dem noch jetzt üblichen Namen belegte. Unterdeſſen hatte auch Nägeli das Protoplasma von den übrigen Contentis unterſchieden und ſeine hervorragende Bedeutung für die Zell- bildung, ſowie ſeine ſtickſtoffhaltige Beſchaffenheit hervorgehoben. Es darf hier nicht unerwähnt bleiben, daß die Unterſuch- ungen über die Zellbildungsvorgänge die Beobachter nöthigten, diejenigen Orte aufzuſuchen, wo Zellbildung wirklich ſtattfindet, wobei ſich denn bald die Thatſache herausſtellte, daß nicht in allen, nicht einmal in allen wachſenden Theilen der Pflanze, Zellen im status nascendi zu finden ſind, daß vielmehr nur in den ſogenannten Vegetationspuncten der Stämme und Wurzeln, in den jüngſten Seitenorganen derſelben, und bei den Holzpflanzen zwiſchen Rinde und Holz die Orte zu ſuchen ſind, wo gewöhnlich neue Zellen entſtehen. Um dieſe Zeit begann man auch dem Wort Cambium, welches Mirbel früher im Sinne eines die Pflanze durchtränkenden Nahrungsſaftes benutzt hatte, einen andern Begriff unterzulegen; man gewöhnte ſich, das Wort auf ſolche Gewebemaſſen anzuwenden, in denen Neubildung von Zellen

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Zitationshilfe: Sachs, Julius: Geschichte der Botanik. München, 1875, S. 354. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sachs_botanik_1875/366>, abgerufen am 24.11.2024.