Hauptergebnisse betreffs der Molecularstruktur der Zellhäute und Stärkekörner (Bot. Mitth. 1862) bekannt. Auch die Po- larisationserscheinungen führten ihn wieder, und zwar auf einem ganz anderen Wege zu der Ansicht, daß die organisirten Theile der Pflanzenzelle aus isolirten Molecülen bestehen, zwischen denen sich Flüssigkeit befindet; die neueren Untersuchungen aber ergaben nun auch bestimmtere Vorstellungen von der Natur jener Molecüle, die nach dem optischen Verhalten der untersuchten Gebilde nicht bloß als polyedrisch, sondern als krystallinisch bezeichnet werden durften; die Substanzmolecüle der organisirten Pflanzentheile verhalten sich nach Nägeli wie optisch zweiaxige Krystalle, die also drei verschiedene Axen der Aetherdichtigkeit besitzen; in den Stärkekörnern und Zell- häuten sind diese krystallinischen Molecüle so angeordnet, daß jedesmal eine dieser Axen senkrecht zur Schichtung steht, während die beiden anderen in der Schichtungsebene liegen. Die Wirkung der organisirten Zellentheile auf polarisirtes Licht summirt sich aus den Wirkungen der einzelnen Mole- küle, wogegen die zwischen ihnen liegende Flüssigkeit optisch inaktiv ist und nur insofern in Betracht kommt, als durch ihr Quantum die Molecüle mehr oder minder weit aus einander oder zusammenrücken.
Es würde die Aufgabe der historischen Darstellung über- schreiten, wollte ich es hier versuchen die schon jetzt denk- baren Consequenzen zu entwickeln, welche sich aus Nägeli's Theorie für das Verständniß der Wachsthumsvorgänge, für die Mechanik des Wachsthums ableiten lassen; jeden- falls ist durch diese Ergebnisse ein Schema von der feinsten Struktur der Organismen aufgestellt, in welchem zugleich eine gewisse Uebereinstimmung des Organischen und des Un- organischen, aber auch der wesentliche Unterschied beider zu Tage tritt; an dieses Schema wird jede weitere Untersuchung anknüpfen müssen, welche wirklich und ernsthaft darauf ausgeht, die Erscheinungen des Lebens nach naturwissenschaftlichen Prin- zipien zu erklären.
Entwicklungsgeſchichte der Zelle, Entſtehung der
Hauptergebniſſe betreffs der Molecularſtruktur der Zellhäute und Stärkekörner (Bot. Mitth. 1862) bekannt. Auch die Po- lariſationserſcheinungen führten ihn wieder, und zwar auf einem ganz anderen Wege zu der Anſicht, daß die organiſirten Theile der Pflanzenzelle aus iſolirten Molecülen beſtehen, zwiſchen denen ſich Flüſſigkeit befindet; die neueren Unterſuchungen aber ergaben nun auch beſtimmtere Vorſtellungen von der Natur jener Molecüle, die nach dem optiſchen Verhalten der unterſuchten Gebilde nicht bloß als polyedriſch, ſondern als kryſtalliniſch bezeichnet werden durften; die Subſtanzmolecüle der organiſirten Pflanzentheile verhalten ſich nach Nägeli wie optiſch zweiaxige Kryſtalle, die alſo drei verſchiedene Axen der Aetherdichtigkeit beſitzen; in den Stärkekörnern und Zell- häuten ſind dieſe kryſtalliniſchen Molecüle ſo angeordnet, daß jedesmal eine dieſer Axen ſenkrecht zur Schichtung ſteht, während die beiden anderen in der Schichtungsebene liegen. Die Wirkung der organiſirten Zellentheile auf polariſirtes Licht ſummirt ſich aus den Wirkungen der einzelnen Mole- küle, wogegen die zwiſchen ihnen liegende Flüſſigkeit optiſch inaktiv iſt und nur inſofern in Betracht kommt, als durch ihr Quantum die Molecüle mehr oder minder weit aus einander oder zuſammenrücken.
Es würde die Aufgabe der hiſtoriſchen Darſtellung über- ſchreiten, wollte ich es hier verſuchen die ſchon jetzt denk- baren Conſequenzen zu entwickeln, welche ſich aus Nägeli's Theorie für das Verſtändniß der Wachsthumsvorgänge, für die Mechanik des Wachsthums ableiten laſſen; jeden- falls iſt durch dieſe Ergebniſſe ein Schema von der feinſten Struktur der Organismen aufgeſtellt, in welchem zugleich eine gewiſſe Uebereinſtimmung des Organiſchen und des Un- organiſchen, aber auch der weſentliche Unterſchied beider zu Tage tritt; an dieſes Schema wird jede weitere Unterſuchung anknüpfen müſſen, welche wirklich und ernſthaft darauf ausgeht, die Erſcheinungen des Lebens nach naturwiſſenſchaftlichen Prin- zipien zu erklären.
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Entwicklungsgeſchichte der Zelle, Entſtehung der
Hauptergebniſſe betreffs der Molecularſtruktur der Zellhäute
und Stärkekörner (Bot. Mitth. 1862) bekannt. Auch die Po-
lariſationserſcheinungen führten ihn wieder, und zwar auf einem
ganz anderen Wege zu der Anſicht, daß die organiſirten Theile
der Pflanzenzelle aus iſolirten Molecülen beſtehen, zwiſchen
denen ſich Flüſſigkeit befindet; die neueren Unterſuchungen
aber ergaben nun auch beſtimmtere Vorſtellungen von der
Natur jener Molecüle, die nach dem optiſchen Verhalten der
unterſuchten Gebilde nicht bloß als polyedriſch, ſondern als
kryſtalliniſch bezeichnet werden durften; die Subſtanzmolecüle
der organiſirten Pflanzentheile verhalten ſich nach Nägeli
wie optiſch zweiaxige Kryſtalle, die alſo drei verſchiedene Axen
der Aetherdichtigkeit beſitzen; in den Stärkekörnern und Zell-
häuten ſind dieſe kryſtalliniſchen Molecüle ſo angeordnet, daß
jedesmal eine dieſer Axen ſenkrecht zur Schichtung ſteht,
während die beiden anderen in der Schichtungsebene liegen.
Die Wirkung der organiſirten Zellentheile auf polariſirtes
Licht ſummirt ſich aus den Wirkungen der einzelnen Mole-
küle, wogegen die zwiſchen ihnen liegende Flüſſigkeit optiſch
inaktiv iſt und nur inſofern in Betracht kommt, als durch ihr
Quantum die Molecüle mehr oder minder weit aus einander
oder zuſammenrücken.
Es würde die Aufgabe der hiſtoriſchen Darſtellung über-
ſchreiten, wollte ich es hier verſuchen die ſchon jetzt denk-
baren Conſequenzen zu entwickeln, welche ſich aus Nägeli's
Theorie für das Verſtändniß der Wachsthumsvorgänge,
für die Mechanik des Wachsthums ableiten laſſen; jeden-
falls iſt durch dieſe Ergebniſſe ein Schema von der feinſten
Struktur der Organismen aufgeſtellt, in welchem zugleich
eine gewiſſe Uebereinſtimmung des Organiſchen und des Un-
organiſchen, aber auch der weſentliche Unterſchied beider zu
Tage tritt; an dieſes Schema wird jede weitere Unterſuchung
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Sachs, Julius: Geschichte der Botanik. München, 1875, S. 384. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sachs_botanik_1875/396>, abgerufen am 26.06.2024.
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