einige Maispflanzen gesetzt und verschiedene Maßregeln getroffen. Im October bemerkte er nun folgende Ergebnisse: die Kolben derjenigen Pflanzen, an denen er die männlichen Rispen, als bereits die Narben herabhingen, weggeschnitten hatte, schienen zwar ein ganz gutes Ansehen zu haben; nach genauerer Unter- suchung waren sie jedoch sämmtlich unbefruchtet, ausgenommen einen, der nach jener Seite gerichtet war, von woher der Wind den Pollen anderer Maispflanzen zuwehen konnte. An denjeni- gen Kolben, die ihrer Narben zum Theil beraubt worden waren, fand er gerade so viel Körner als er Narben hatte stehen lassen. Ein noch vor Austritt der Narben in Mousselin eingehüllter Kolben ergab nur unfruchtbare, leere Samenschalen.
Von besonderem Interesse sind die späteren Versuche Müller's von 1751, welche Koelreuter aus dem Gärtnerlexicon (11. Theil p. 543) 1) mittheilt, insofern hier zum ersten Mal die Insectenhülse bei der Bestäubung beobachtet wurde. Müller pflanzte zwölf Tulpen in einer Entfernung von sechs bis sieben Ellen von ein- ander und nahm ihnen sobald sie sich öffneten, ihre Staubfäden sorgfältig weg; er glaubte hierdurch die Befruchtung gänzlich ver- hindert zu haben; einige Tage später jedoch sah er Bienen in einem gewöhnlichen Tulpenbeet sich mit Pollen bedecken und zu seinen kastrirten Blumen hinfliegen. Als sie wieder fort waren, bemerkte er, daß sie eine zur Befruchtung hinreichende Menge von Blumenstaub auf den Narben zurückgelassen hatten und wirklich brachten auch diese Tulpen Samen. Müller sonderte auch männliche Spinatpflanzen von weiblichen ab und fand, daß die letzteren zwar große aber keimlose Samen trugen.
Professor Gleditsch, Director des botanischen Gartens in Berlin, veröffentlichte in demselben Jahr (Hist. de l'acad. roy. des sc. et des lettres für das Jahr 1749, ausgegeben 1751, Berlin) einen Versuch über die künstliche Befruchtung der Palma tactylifera folio flabelliformi, was unzweifelhaft
1) Ich benutze hier Koelreuter's schon genannten Bericht in Mikan's citirter Sammlung.
Geſchichte der Sexualtheorie.
einige Maispflanzen geſetzt und verſchiedene Maßregeln getroffen. Im October bemerkte er nun folgende Ergebniſſe: die Kolben derjenigen Pflanzen, an denen er die männlichen Rispen, als bereits die Narben herabhingen, weggeſchnitten hatte, ſchienen zwar ein ganz gutes Anſehen zu haben; nach genauerer Unter- ſuchung waren ſie jedoch ſämmtlich unbefruchtet, ausgenommen einen, der nach jener Seite gerichtet war, von woher der Wind den Pollen anderer Maispflanzen zuwehen konnte. An denjeni- gen Kolben, die ihrer Narben zum Theil beraubt worden waren, fand er gerade ſo viel Körner als er Narben hatte ſtehen laſſen. Ein noch vor Austritt der Narben in Mouſſelin eingehüllter Kolben ergab nur unfruchtbare, leere Samenſchalen.
Von beſonderem Intereſſe ſind die ſpäteren Verſuche Müller's von 1751, welche Koelreuter aus dem Gärtnerlexicon (11. Theil p. 543) 1) mittheilt, inſofern hier zum erſten Mal die Inſectenhülſe bei der Beſtäubung beobachtet wurde. Müller pflanzte zwölf Tulpen in einer Entfernung von ſechs bis ſieben Ellen von ein- ander und nahm ihnen ſobald ſie ſich öffneten, ihre Staubfäden ſorgfältig weg; er glaubte hierdurch die Befruchtung gänzlich ver- hindert zu haben; einige Tage ſpäter jedoch ſah er Bienen in einem gewöhnlichen Tulpenbeet ſich mit Pollen bedecken und zu ſeinen kaſtrirten Blumen hinfliegen. Als ſie wieder fort waren, bemerkte er, daß ſie eine zur Befruchtung hinreichende Menge von Blumenſtaub auf den Narben zurückgelaſſen hatten und wirklich brachten auch dieſe Tulpen Samen. Müller ſonderte auch männliche Spinatpflanzen von weiblichen ab und fand, daß die letzteren zwar große aber keimloſe Samen trugen.
Profeſſor Gleditſch, Director des botaniſchen Gartens in Berlin, veröffentlichte in demſelben Jahr (Hist. de l'acad. roy. des sc. et des lettres für das Jahr 1749, ausgegeben 1751, Berlin) einen Verſuch über die künſtliche Befruchtung der Palma tactylifera folio flabelliformi, was unzweifelhaft
1) Ich benutze hier Koelreuter's ſchon genannten Bericht in Mikan's citirter Sammlung.
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Geſchichte der Sexualtheorie.
einige Maispflanzen geſetzt und verſchiedene Maßregeln getroffen.
Im October bemerkte er nun folgende Ergebniſſe: die Kolben
derjenigen Pflanzen, an denen er die männlichen Rispen, als
bereits die Narben herabhingen, weggeſchnitten hatte, ſchienen
zwar ein ganz gutes Anſehen zu haben; nach genauerer Unter-
ſuchung waren ſie jedoch ſämmtlich unbefruchtet, ausgenommen
einen, der nach jener Seite gerichtet war, von woher der Wind
den Pollen anderer Maispflanzen zuwehen konnte. An denjeni-
gen Kolben, die ihrer Narben zum Theil beraubt worden waren,
fand er gerade ſo viel Körner als er Narben hatte ſtehen laſſen.
Ein noch vor Austritt der Narben in Mouſſelin eingehüllter
Kolben ergab nur unfruchtbare, leere Samenſchalen.
Von beſonderem Intereſſe ſind die ſpäteren Verſuche Müller's
von 1751, welche Koelreuter aus dem Gärtnerlexicon (11. Theil
p. 543) 1) mittheilt, inſofern hier zum erſten Mal die Inſectenhülſe
bei der Beſtäubung beobachtet wurde. Müller pflanzte zwölf
Tulpen in einer Entfernung von ſechs bis ſieben Ellen von ein-
ander und nahm ihnen ſobald ſie ſich öffneten, ihre Staubfäden
ſorgfältig weg; er glaubte hierdurch die Befruchtung gänzlich ver-
hindert zu haben; einige Tage ſpäter jedoch ſah er Bienen in
einem gewöhnlichen Tulpenbeet ſich mit Pollen bedecken und zu
ſeinen kaſtrirten Blumen hinfliegen. Als ſie wieder fort waren,
bemerkte er, daß ſie eine zur Befruchtung hinreichende Menge
von Blumenſtaub auf den Narben zurückgelaſſen hatten und
wirklich brachten auch dieſe Tulpen Samen. Müller ſonderte
auch männliche Spinatpflanzen von weiblichen ab und fand, daß
die letzteren zwar große aber keimloſe Samen trugen.
Profeſſor Gleditſch, Director des botaniſchen Gartens in
Berlin, veröffentlichte in demſelben Jahr (Hist. de l'acad. roy.
des sc. et des lettres für das Jahr 1749, ausgegeben 1751,
Berlin) einen Verſuch über die künſtliche Befruchtung der
Palma tactylifera folio flabelliformi, was unzweifelhaft
1) Ich benutze hier Koelreuter's ſchon genannten Bericht in
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Sachs, Julius: Geschichte der Botanik. München, 1875, S. 424. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sachs_botanik_1875/436>, abgerufen am 17.06.2024.
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