"Vorläufige Nachricht von einigen das Geschlecht der Pflanzen betreffenden Versuchen und Beobachtungen" heraus; ich werde versuchen, die wichtigeren Resultate übersichtlicher gruppirt in Kürze zusammenzufassen.
An verschiedenen Stellen finden sich Beobachtungen und Versuche über die Bestäubungseinrichtungen, die bis dahin nur selten und nachlässig beobachtet worden waren. Da man den Pollenschlauch noch nicht kannte und auch Koelreuter von der An- sicht ausging, daß aus den auf die Narbe gebrachten Pollen- körnern eine Flüssigkeit in die Samenknospen eindringe, so war es zunächst von Interesse, die Quantität des Pollens festzustellen, welche zur vollständigen Befruchtung eines Fruchtknotens nöthig ist; zu diesem Zweck zählte Koelreuter die in einer Blüthe ge- bildeten Pollenkörner und verglich sie mit derjenigen Zahl, welche zur vollständigen Befruchtung auf die Narbe gebracht werden muß, und fand, daß die letztere Zahl bei Weitem kleiner ist. So zählte er z. B. in einer Blüthe des Hibiscus venetianus 4863 Pollenkörner, während 50-60 derselben genügten, um mehr als 30 Samen des Fruchtknotens zu befruchten; bei Mira- bilis Jalappa und longiflora zählte er in den Antheren circa 300 Samenkörner, während 2-3 derselben, sogar ein einziges genügte, um den einsamigen Fruchtknoten zu befruchten. Ebenso untersuchte er, ob bei mehrtheiligen, selbst tiefgespaltenen Griffeln die Befruchtung durch einen einzigen derselben in allen Fächern des Fruchtknotens bewirkt werde, was er bestätigt fand.
Sein besonderes Augenmerk richtete Koelreuter auf die Ein- richtungen, durch welche im natürlichen Lauf der Dinge der Pollen aus den Antheren auf die Narben gelangt. Wenn er hierbei auch dem Wind und der Erschütterung noch einen zu großen Spielraum gönnte, so war er doch der Erste, der die große Bedeutung der Insectenwelt für die Bestäubung der Blü- then erkannte: "Ueberhaupt, sagt er, sind die Insecten bei Pflan- zen, bei welchen das Bestäuben nicht gewöhnlichermaßen durch eine unmittelbare Berührung geschieht, (nach neueren Erfahrun- gen freilich meist auch in solchen Fällen) immer mit im Spiel
Weiterer Ausbau der Sexualtheorie etc. etc.
„Vorläufige Nachricht von einigen das Geſchlecht der Pflanzen betreffenden Verſuchen und Beobachtungen“ heraus; ich werde verſuchen, die wichtigeren Reſultate überſichtlicher gruppirt in Kürze zuſammenzufaſſen.
An verſchiedenen Stellen finden ſich Beobachtungen und Verſuche über die Beſtäubungseinrichtungen, die bis dahin nur ſelten und nachläſſig beobachtet worden waren. Da man den Pollenſchlauch noch nicht kannte und auch Koelreuter von der An- ſicht ausging, daß aus den auf die Narbe gebrachten Pollen- körnern eine Flüſſigkeit in die Samenknoſpen eindringe, ſo war es zunächſt von Intereſſe, die Quantität des Pollens feſtzuſtellen, welche zur vollſtändigen Befruchtung eines Fruchtknotens nöthig iſt; zu dieſem Zweck zählte Koelreuter die in einer Blüthe ge- bildeten Pollenkörner und verglich ſie mit derjenigen Zahl, welche zur vollſtändigen Befruchtung auf die Narbe gebracht werden muß, und fand, daß die letztere Zahl bei Weitem kleiner iſt. So zählte er z. B. in einer Blüthe des Hibiscus venetianus 4863 Pollenkörner, während 50-60 derſelben genügten, um mehr als 30 Samen des Fruchtknotens zu befruchten; bei Mira- bilis Jalappa und longiflora zählte er in den Antheren circa 300 Samenkörner, während 2-3 derſelben, ſogar ein einziges genügte, um den einſamigen Fruchtknoten zu befruchten. Ebenſo unterſuchte er, ob bei mehrtheiligen, ſelbſt tiefgeſpaltenen Griffeln die Befruchtung durch einen einzigen derſelben in allen Fächern des Fruchtknotens bewirkt werde, was er beſtätigt fand.
Sein beſonderes Augenmerk richtete Koelreuter auf die Ein- richtungen, durch welche im natürlichen Lauf der Dinge der Pollen aus den Antheren auf die Narben gelangt. Wenn er hierbei auch dem Wind und der Erſchütterung noch einen zu großen Spielraum gönnte, ſo war er doch der Erſte, der die große Bedeutung der Inſectenwelt für die Beſtäubung der Blü- then erkannte: „Ueberhaupt, ſagt er, ſind die Inſecten bei Pflan- zen, bei welchen das Beſtäuben nicht gewöhnlichermaßen durch eine unmittelbare Berührung geſchieht, (nach neueren Erfahrun- gen freilich meiſt auch in ſolchen Fällen) immer mit im Spiel
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Weiterer Ausbau der Sexualtheorie etc. etc.
„Vorläufige Nachricht von einigen das Geſchlecht der Pflanzen
betreffenden Verſuchen und Beobachtungen“ heraus; ich werde
verſuchen, die wichtigeren Reſultate überſichtlicher gruppirt in
Kürze zuſammenzufaſſen.
An verſchiedenen Stellen finden ſich Beobachtungen und
Verſuche über die Beſtäubungseinrichtungen, die bis dahin nur
ſelten und nachläſſig beobachtet worden waren. Da man den
Pollenſchlauch noch nicht kannte und auch Koelreuter von der An-
ſicht ausging, daß aus den auf die Narbe gebrachten Pollen-
körnern eine Flüſſigkeit in die Samenknoſpen eindringe, ſo war
es zunächſt von Intereſſe, die Quantität des Pollens feſtzuſtellen,
welche zur vollſtändigen Befruchtung eines Fruchtknotens nöthig
iſt; zu dieſem Zweck zählte Koelreuter die in einer Blüthe ge-
bildeten Pollenkörner und verglich ſie mit derjenigen Zahl, welche
zur vollſtändigen Befruchtung auf die Narbe gebracht werden
muß, und fand, daß die letztere Zahl bei Weitem kleiner iſt.
So zählte er z. B. in einer Blüthe des Hibiscus venetianus
4863 Pollenkörner, während 50-60 derſelben genügten, um
mehr als 30 Samen des Fruchtknotens zu befruchten; bei Mira-
bilis Jalappa und longiflora zählte er in den Antheren circa
300 Samenkörner, während 2-3 derſelben, ſogar ein einziges
genügte, um den einſamigen Fruchtknoten zu befruchten. Ebenſo
unterſuchte er, ob bei mehrtheiligen, ſelbſt tiefgeſpaltenen Griffeln
die Befruchtung durch einen einzigen derſelben in allen Fächern
des Fruchtknotens bewirkt werde, was er beſtätigt fand.
Sein beſonderes Augenmerk richtete Koelreuter auf die Ein-
richtungen, durch welche im natürlichen Lauf der Dinge der
Pollen aus den Antheren auf die Narben gelangt. Wenn er
hierbei auch dem Wind und der Erſchütterung noch einen zu
großen Spielraum gönnte, ſo war er doch der Erſte, der die
große Bedeutung der Inſectenwelt für die Beſtäubung der Blü-
then erkannte: „Ueberhaupt, ſagt er, ſind die Inſecten bei Pflan-
zen, bei welchen das Beſtäuben nicht gewöhnlichermaßen durch
eine unmittelbare Berührung geſchieht, (nach neueren Erfahrun-
gen freilich meiſt auch in ſolchen Fällen) immer mit im Spiel
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Sachs, Julius: Geschichte der Botanik. München, 1875, S. 441. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sachs_botanik_1875/453>, abgerufen am 22.11.2024.
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