Einsicht, so zwar, daß Koelreuter's Bastardiruungen auch jetzt noch, obgleich seitdem Tausende derartiger Experimente gemacht worden sind, zu den besten und lehrreichsten zählen. Er war es aber auch, der zuerst die verschiedenen Einrichtungen innerhalb der Blüthe in ihrer Beziehung zum Sexualverhältniß sorgfältig stu- dirte, zuerst die Bedeutung des Nektars und die Mithülfe der Insecten bei der Bestäubung erkannte und die Ansicht vom Wesen des Sexualactes als einer Vermischung zweier verschiedener Materien aufstellte, welche, wenn auch mit namhaften Verän- derungen, in der Hauptsache jetzt noch als die giltige zu be- trachten ist.
Vergleicht man Koelreuter's nicht umfangreiche, aber inhalts- schwere Schriften mit Allem, was seit Camerarius ge- schrieben worden war, so erstaunt man, nicht nur über die Fülle neuer Gedanken, sondern noch mehr über die außerordentliche Klarheit und Durchsichtigkeit derselben und über die Sicherheit ihrer Begründung durch Experimente und Beobachtung. Bei der Lectüre von Linne's, Gleichen's, Wolff's Schriften über die Sexualität tritt man in eine uns längst fremdgewordene, schwer verständliche Gedankenwelt ein, die nur noch historisches Interesse darbietet. Koelreuter's Schriften dagegen heimeln uns an, als ob sie unserer Zeit angehörten; sehr natürlich, weil das Beste, was wir über die Sexualität wissen, von ihm zuerst ausge- sprochen worden ist; selbst nach mehr als hundert Jahren sind seine Schriften nicht als veraltet zu betrachten. Man sieht hier, wie ein wirklich begabter Denker mit der nöthigen Ausdauer in wenigen Jahren allein weit mehr leistet, als zahlreiche weniger begabte Beobachter im Laufe vieler Jahrzehnte. Wie es aber gerade in solchen Fällen gewöhnlich geschieht und wie es schon Camerarius erfahren hatte, so geschah es auch hier; es dauerte viel länger, bis Andere die Bedeutung seiner Arbeiten schätzen lernten, als er nöthig gehabt hatte, seine Entdeckungen zu Tage zu fördern.
Koelreuter's wichtigste und bekannteste Schrift kam in vier Abtheilungen 1761, 1763, 1764, 1766 unter dem Titel:
Geſchichte der Sexualtheorie.
Einſicht, ſo zwar, daß Koelreuter's Baſtardiruungen auch jetzt noch, obgleich ſeitdem Tauſende derartiger Experimente gemacht worden ſind, zu den beſten und lehrreichſten zählen. Er war es aber auch, der zuerſt die verſchiedenen Einrichtungen innerhalb der Blüthe in ihrer Beziehung zum Sexualverhältniß ſorgfältig ſtu- dirte, zuerſt die Bedeutung des Nektars und die Mithülfe der Inſecten bei der Beſtäubung erkannte und die Anſicht vom Weſen des Sexualactes als einer Vermiſchung zweier verſchiedener Materien aufſtellte, welche, wenn auch mit namhaften Verän- derungen, in der Hauptſache jetzt noch als die giltige zu be- trachten iſt.
Vergleicht man Koelreuter's nicht umfangreiche, aber inhalts- ſchwere Schriften mit Allem, was ſeit Camerarius ge- ſchrieben worden war, ſo erſtaunt man, nicht nur über die Fülle neuer Gedanken, ſondern noch mehr über die außerordentliche Klarheit und Durchſichtigkeit derſelben und über die Sicherheit ihrer Begründung durch Experimente und Beobachtung. Bei der Lectüre von Linné's, Gleichen's, Wolff's Schriften über die Sexualität tritt man in eine uns längſt fremdgewordene, ſchwer verſtändliche Gedankenwelt ein, die nur noch hiſtoriſches Intereſſe darbietet. Koelreuter's Schriften dagegen heimeln uns an, als ob ſie unſerer Zeit angehörten; ſehr natürlich, weil das Beſte, was wir über die Sexualität wiſſen, von ihm zuerſt ausge- ſprochen worden iſt; ſelbſt nach mehr als hundert Jahren ſind ſeine Schriften nicht als veraltet zu betrachten. Man ſieht hier, wie ein wirklich begabter Denker mit der nöthigen Ausdauer in wenigen Jahren allein weit mehr leiſtet, als zahlreiche weniger begabte Beobachter im Laufe vieler Jahrzehnte. Wie es aber gerade in ſolchen Fällen gewöhnlich geſchieht und wie es ſchon Camerarius erfahren hatte, ſo geſchah es auch hier; es dauerte viel länger, bis Andere die Bedeutung ſeiner Arbeiten ſchätzen lernten, als er nöthig gehabt hatte, ſeine Entdeckungen zu Tage zu fördern.
Koelreuter's wichtigſte und bekannteſte Schrift kam in vier Abtheilungen 1761, 1763, 1764, 1766 unter dem Titel:
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Geſchichte der Sexualtheorie.
Einſicht, ſo zwar, daß Koelreuter's Baſtardiruungen auch jetzt noch,
obgleich ſeitdem Tauſende derartiger Experimente gemacht worden
ſind, zu den beſten und lehrreichſten zählen. Er war es aber
auch, der zuerſt die verſchiedenen Einrichtungen innerhalb der
Blüthe in ihrer Beziehung zum Sexualverhältniß ſorgfältig ſtu-
dirte, zuerſt die Bedeutung des Nektars und die Mithülfe der
Inſecten bei der Beſtäubung erkannte und die Anſicht vom
Weſen des Sexualactes als einer Vermiſchung zweier verſchiedener
Materien aufſtellte, welche, wenn auch mit namhaften Verän-
derungen, in der Hauptſache jetzt noch als die giltige zu be-
trachten iſt.
Vergleicht man Koelreuter's nicht umfangreiche, aber inhalts-
ſchwere Schriften mit Allem, was ſeit Camerarius ge-
ſchrieben worden war, ſo erſtaunt man, nicht nur über die Fülle
neuer Gedanken, ſondern noch mehr über die außerordentliche
Klarheit und Durchſichtigkeit derſelben und über die Sicherheit
ihrer Begründung durch Experimente und Beobachtung. Bei der
Lectüre von Linné's, Gleichen's, Wolff's Schriften über die
Sexualität tritt man in eine uns längſt fremdgewordene, ſchwer
verſtändliche Gedankenwelt ein, die nur noch hiſtoriſches Intereſſe
darbietet. Koelreuter's Schriften dagegen heimeln uns an, als
ob ſie unſerer Zeit angehörten; ſehr natürlich, weil das Beſte,
was wir über die Sexualität wiſſen, von ihm zuerſt ausge-
ſprochen worden iſt; ſelbſt nach mehr als hundert Jahren ſind
ſeine Schriften nicht als veraltet zu betrachten. Man ſieht hier,
wie ein wirklich begabter Denker mit der nöthigen Ausdauer in
wenigen Jahren allein weit mehr leiſtet, als zahlreiche weniger
begabte Beobachter im Laufe vieler Jahrzehnte. Wie es aber
gerade in ſolchen Fällen gewöhnlich geſchieht und wie es ſchon
Camerarius erfahren hatte, ſo geſchah es auch hier; es
dauerte viel länger, bis Andere die Bedeutung ſeiner Arbeiten
ſchätzen lernten, als er nöthig gehabt hatte, ſeine Entdeckungen
zu Tage zu fördern.
Koelreuter's wichtigſte und bekannteſte Schrift kam in
vier Abtheilungen 1761, 1763, 1764, 1766 unter dem Titel:
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Sachs, Julius: Geschichte der Botanik. München, 1875, S. 440. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sachs_botanik_1875/452>, abgerufen am 22.11.2024.
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