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Sachs, Julius: Geschichte der Botanik. München, 1875.

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Geschichte der Sexualtheorie.

In Konrad Sprengel 1) begegnen wir zum dritten Mal,
wie bei Camerarius und Koelreuter, einem genialen
Forscher, der aber an Kühnheit des Gedankens weit über die
beiden Vorgänger hinausging und deßhalb von seinen Zeitgenossen
und Epigonen noch weniger als diese verstanden wurde. Konrad
Sprengel's Ergebnisse waren so überraschend, paßten so gar
nicht in den trockenen Schematismus der Linne'schen Botanik
und noch weniger in die späteren Ansichten vom Wesen der
Pflanze, daß erst Darwin die ganz vergessene Leistung Spren-
gel's wieder an's Licht ziehen und ihre große Bedeutung für
die Descendenztheorie darthun mußte. -- Hatte Camerarius
zuerst bewiesen, daß Pflanzen überhaupt Sexualität besitzen, und
Koelreuter gezeigt, daß auch Pflanzen verschiedener Species
sich sexuell verbinden können, und fruchtbare Bastarde erzeugen, so
zeigte nun Conrad Sprengel, daß eine gewisse Form der
Bastardirung im Pflanzenreich allgemein vorkommt, nämlich die
Kreuzung verschiedener Blüthen oder verschiedener Individuen
gleicher Species mit einander. In seinem Werk: "Das neu
entdeckte Geheimniß der Natur in Bau und Befruchtung der
Blumen" (Berlin 1793 p. 43), sprach er den Satz aus: "Da
sehr viele Blumen getrennten Geschlechtes und wahrscheinlich

1) Christian Conrad Sprengel, geb. 1750, war Rector in Spandau
und begann erst in dieser Stellung sich mit Botanik zu beschäftigen und
zwar mit solchem Eifer, daß er darüber sein Amt und selbst die Sonntags-
predigt versäumte und abgesetzt wurde. Später lebte er in ärmlichen Ver-
hältnissen in Berlin und als Sonderling sehr vereinsamt, von den Ge-
lehrten sogar gemieden. Zu seinem Unterhalt gab er Unterricht in Sprachen
und Botanik; Sonntags früh machte er Excursionen, an denen jeder gegen
2-3 Groschen pro Stunde theilnehmen konnte. Wegen Mangels an Unter-
stützung und Aufmunterung gab er den 2. Theil seines berühmten Werkes
nicht heraus; sein Verleger hatte ihm nicht einmal ein Freiexemplar des
1. Theils gegeben. Der sehr verzeihliche Aerger über den geringen Bei-
fall, den sein Werk fand, veranlaßte ihn, sich später ganz von der Botanik
zurückzuziehen und sich mit Sprachen zu beschäftigen, bis er 1816 starb.
Einer seiner Schüler widmete ihm einen sehr herzlichen Nachruf in der
"Flora" 1819 p. 541, dem ich diese Angaben entlehne.
Geſchichte der Sexualtheorie.

In Konrad Sprengel 1) begegnen wir zum dritten Mal,
wie bei Camerarius und Koelreuter, einem genialen
Forſcher, der aber an Kühnheit des Gedankens weit über die
beiden Vorgänger hinausging und deßhalb von ſeinen Zeitgenoſſen
und Epigonen noch weniger als dieſe verſtanden wurde. Konrad
Sprengel's Ergebniſſe waren ſo überraſchend, paßten ſo gar
nicht in den trockenen Schematismus der Linné'ſchen Botanik
und noch weniger in die ſpäteren Anſichten vom Weſen der
Pflanze, daß erſt Darwin die ganz vergeſſene Leiſtung Spren-
gel's wieder an's Licht ziehen und ihre große Bedeutung für
die Descendenztheorie darthun mußte. — Hatte Camerarius
zuerſt bewieſen, daß Pflanzen überhaupt Sexualität beſitzen, und
Koelreuter gezeigt, daß auch Pflanzen verſchiedener Species
ſich ſexuell verbinden können, und fruchtbare Baſtarde erzeugen, ſo
zeigte nun Conrad Sprengel, daß eine gewiſſe Form der
Baſtardirung im Pflanzenreich allgemein vorkommt, nämlich die
Kreuzung verſchiedener Blüthen oder verſchiedener Individuen
gleicher Species mit einander. In ſeinem Werk: „Das neu
entdeckte Geheimniß der Natur in Bau und Befruchtung der
Blumen“ (Berlin 1793 p. 43), ſprach er den Satz aus: „Da
ſehr viele Blumen getrennten Geſchlechtes und wahrſcheinlich

1) Chriſtian Conrad Sprengel, geb. 1750, war Rector in Spandau
und begann erſt in dieſer Stellung ſich mit Botanik zu beſchäftigen und
zwar mit ſolchem Eifer, daß er darüber ſein Amt und ſelbſt die Sonntags-
predigt verſäumte und abgeſetzt wurde. Später lebte er in ärmlichen Ver-
hältniſſen in Berlin und als Sonderling ſehr vereinſamt, von den Ge-
lehrten ſogar gemieden. Zu ſeinem Unterhalt gab er Unterricht in Sprachen
und Botanik; Sonntags früh machte er Excurſionen, an denen jeder gegen
2-3 Groſchen pro Stunde theilnehmen konnte. Wegen Mangels an Unter-
ſtützung und Aufmunterung gab er den 2. Theil ſeines berühmten Werkes
nicht heraus; ſein Verleger hatte ihm nicht einmal ein Freiexemplar des
1. Theils gegeben. Der ſehr verzeihliche Aerger über den geringen Bei-
fall, den ſein Werk fand, veranlaßte ihn, ſich ſpäter ganz von der Botanik
zurückzuziehen und ſich mit Sprachen zu beſchäftigen, bis er 1816 ſtarb.
Einer ſeiner Schüler widmete ihm einen ſehr herzlichen Nachruf in der
„Flora“ 1819 p. 541, dem ich dieſe Angaben entlehne.
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[448/0460] Geſchichte der Sexualtheorie. In Konrad Sprengel 1) begegnen wir zum dritten Mal, wie bei Camerarius und Koelreuter, einem genialen Forſcher, der aber an Kühnheit des Gedankens weit über die beiden Vorgänger hinausging und deßhalb von ſeinen Zeitgenoſſen und Epigonen noch weniger als dieſe verſtanden wurde. Konrad Sprengel's Ergebniſſe waren ſo überraſchend, paßten ſo gar nicht in den trockenen Schematismus der Linné'ſchen Botanik und noch weniger in die ſpäteren Anſichten vom Weſen der Pflanze, daß erſt Darwin die ganz vergeſſene Leiſtung Spren- gel's wieder an's Licht ziehen und ihre große Bedeutung für die Descendenztheorie darthun mußte. — Hatte Camerarius zuerſt bewieſen, daß Pflanzen überhaupt Sexualität beſitzen, und Koelreuter gezeigt, daß auch Pflanzen verſchiedener Species ſich ſexuell verbinden können, und fruchtbare Baſtarde erzeugen, ſo zeigte nun Conrad Sprengel, daß eine gewiſſe Form der Baſtardirung im Pflanzenreich allgemein vorkommt, nämlich die Kreuzung verſchiedener Blüthen oder verſchiedener Individuen gleicher Species mit einander. In ſeinem Werk: „Das neu entdeckte Geheimniß der Natur in Bau und Befruchtung der Blumen“ (Berlin 1793 p. 43), ſprach er den Satz aus: „Da ſehr viele Blumen getrennten Geſchlechtes und wahrſcheinlich 1) Chriſtian Conrad Sprengel, geb. 1750, war Rector in Spandau und begann erſt in dieſer Stellung ſich mit Botanik zu beſchäftigen und zwar mit ſolchem Eifer, daß er darüber ſein Amt und ſelbſt die Sonntags- predigt verſäumte und abgeſetzt wurde. Später lebte er in ärmlichen Ver- hältniſſen in Berlin und als Sonderling ſehr vereinſamt, von den Ge- lehrten ſogar gemieden. Zu ſeinem Unterhalt gab er Unterricht in Sprachen und Botanik; Sonntags früh machte er Excurſionen, an denen jeder gegen 2-3 Groſchen pro Stunde theilnehmen konnte. Wegen Mangels an Unter- ſtützung und Aufmunterung gab er den 2. Theil ſeines berühmten Werkes nicht heraus; ſein Verleger hatte ihm nicht einmal ein Freiexemplar des 1. Theils gegeben. Der ſehr verzeihliche Aerger über den geringen Bei- fall, den ſein Werk fand, veranlaßte ihn, ſich ſpäter ganz von der Botanik zurückzuziehen und ſich mit Sprachen zu beſchäftigen, bis er 1816 ſtarb. Einer ſeiner Schüler widmete ihm einen ſehr herzlichen Nachruf in der „Flora“ 1819 p. 541, dem ich dieſe Angaben entlehne.

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Zitationshilfe: Sachs, Julius: Geschichte der Botanik. München, 1875, S. 448. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sachs_botanik_1875/460>, abgerufen am 22.11.2024.