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Sachs, Julius: Geschichte der Botanik. München, 1875.

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Geschichte der Ernährungstheorie der Pflanzen.
zersetzen, ein größeres Quantum an Gewicht zunehmen, als dem
zurückbehaltenen Kohlenstoff entspricht, und daß dies durch die
gleichzeitige Bindung der Bestandtheile des Wassers zu erklären
sei. Ebenso zeigte er, daß die geringen Quantitäten salzartiger
Verbindungen, welche die Pflanzen aus dem Boden aufnehmen,
für ihre Ernährung nothwendig sind, und wenigstens wahr-
scheinlich konnte er es machen, daß das atmosphärische Stickstoff-
gas zur Bildung der stickstoffhaltigen Pflanzensubstanz Nichts
beiträgt. Schon vorher hatte Senebier besonders auf die
Thatsache hingewiesen, daß die Zersetzung der Kohlensäure unter
dem Einfluß des Lichts nur in grünen Organen stattfindet.

So waren von Ingen-Houß, Senebier und Saus-
sure die wesentlichsten Momente der Pflanzenernährung entdeckt.
Wie es aber oft bei Entdeckungen von großer Tragweite zu
gehen pflegt, so war auch diese lange Zeit schweren Mißver-
ständnissen ausgesetzt; weniger in Frankreich, wo in den zwanziger
und dreißiger Jahren Dutrochet und De Candolle die Be-
deutung des Gasaustausches der grünen Organe für die Er-
nährung und Athmung im Ganzen richtig zu würdigen wußten;
Anderen aber und ganz besonders in Deutschland wurde das
Verständniß dadurch getrübt, daß ihnen diese einfachen chemischen
Vorgänge als Grundlage der gesammten Pflanzenernährung und
somit des ganzen Pflanzenlebens nicht genügten; die in den
ersten Jahrzehnten unseres Jahrhunderts in Verbindung mit der
Naturphilosophie ausgebildete Theorie der Lebenskraft, welcher
nicht nur die Philosophen und Physiologen, sondern auch die
Chemiker und Physiker allgemein anhingen, fand es passender,
den Pflanzen eine mysteriöse, vom Leben selbst abstammende
Substanz, den sogenannten Humus zur Ernährung darzubieten.
Die nächstliegenden Erwägungen, welche diese Humustheorie sofort
als widersinnig zurückweisen konnten, wurden übersehen und so
den Ergebnissen Saussure's zum Trotz die Ernährung der
Pflanzen noch einmal, wie es bereits in den früheren Jahrhun-
derten geschehen war, ganz auf Rechnung des Bodens und der
Wurzeln gesetzt; zu den Consequenzen der mit der Lebenskraft

Geſchichte der Ernährungstheorie der Pflanzen.
zerſetzen, ein größeres Quantum an Gewicht zunehmen, als dem
zurückbehaltenen Kohlenſtoff entſpricht, und daß dies durch die
gleichzeitige Bindung der Beſtandtheile des Waſſers zu erklären
ſei. Ebenſo zeigte er, daß die geringen Quantitäten ſalzartiger
Verbindungen, welche die Pflanzen aus dem Boden aufnehmen,
für ihre Ernährung nothwendig ſind, und wenigſtens wahr-
ſcheinlich konnte er es machen, daß das atmoſphäriſche Stickſtoff-
gas zur Bildung der ſtickſtoffhaltigen Pflanzenſubſtanz Nichts
beiträgt. Schon vorher hatte Senebier beſonders auf die
Thatſache hingewieſen, daß die Zerſetzung der Kohlenſäure unter
dem Einfluß des Lichts nur in grünen Organen ſtattfindet.

So waren von Ingen-Houß, Senebier und Sauſ-
ſure die weſentlichſten Momente der Pflanzenernährung entdeckt.
Wie es aber oft bei Entdeckungen von großer Tragweite zu
gehen pflegt, ſo war auch dieſe lange Zeit ſchweren Mißver-
ſtändniſſen ausgeſetzt; weniger in Frankreich, wo in den zwanziger
und dreißiger Jahren Dutrochet und De Candolle die Be-
deutung des Gasaustauſches der grünen Organe für die Er-
nährung und Athmung im Ganzen richtig zu würdigen wußten;
Anderen aber und ganz beſonders in Deutſchland wurde das
Verſtändniß dadurch getrübt, daß ihnen dieſe einfachen chemiſchen
Vorgänge als Grundlage der geſammten Pflanzenernährung und
ſomit des ganzen Pflanzenlebens nicht genügten; die in den
erſten Jahrzehnten unſeres Jahrhunderts in Verbindung mit der
Naturphiloſophie ausgebildete Theorie der Lebenskraft, welcher
nicht nur die Philoſophen und Phyſiologen, ſondern auch die
Chemiker und Phyſiker allgemein anhingen, fand es paſſender,
den Pflanzen eine myſteriöſe, vom Leben ſelbſt abſtammende
Subſtanz, den ſogenannten Humus zur Ernährung darzubieten.
Die nächſtliegenden Erwägungen, welche dieſe Humustheorie ſofort
als widerſinnig zurückweiſen konnten, wurden überſehen und ſo
den Ergebniſſen Sauſſure's zum Trotz die Ernährung der
Pflanzen noch einmal, wie es bereits in den früheren Jahrhun-
derten geſchehen war, ganz auf Rechnung des Bodens und der
Wurzeln geſetzt; zu den Conſequenzen der mit der Lebenskraft

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[484/0496] Geſchichte der Ernährungstheorie der Pflanzen. zerſetzen, ein größeres Quantum an Gewicht zunehmen, als dem zurückbehaltenen Kohlenſtoff entſpricht, und daß dies durch die gleichzeitige Bindung der Beſtandtheile des Waſſers zu erklären ſei. Ebenſo zeigte er, daß die geringen Quantitäten ſalzartiger Verbindungen, welche die Pflanzen aus dem Boden aufnehmen, für ihre Ernährung nothwendig ſind, und wenigſtens wahr- ſcheinlich konnte er es machen, daß das atmoſphäriſche Stickſtoff- gas zur Bildung der ſtickſtoffhaltigen Pflanzenſubſtanz Nichts beiträgt. Schon vorher hatte Senebier beſonders auf die Thatſache hingewieſen, daß die Zerſetzung der Kohlenſäure unter dem Einfluß des Lichts nur in grünen Organen ſtattfindet. So waren von Ingen-Houß, Senebier und Sauſ- ſure die weſentlichſten Momente der Pflanzenernährung entdeckt. Wie es aber oft bei Entdeckungen von großer Tragweite zu gehen pflegt, ſo war auch dieſe lange Zeit ſchweren Mißver- ſtändniſſen ausgeſetzt; weniger in Frankreich, wo in den zwanziger und dreißiger Jahren Dutrochet und De Candolle die Be- deutung des Gasaustauſches der grünen Organe für die Er- nährung und Athmung im Ganzen richtig zu würdigen wußten; Anderen aber und ganz beſonders in Deutſchland wurde das Verſtändniß dadurch getrübt, daß ihnen dieſe einfachen chemiſchen Vorgänge als Grundlage der geſammten Pflanzenernährung und ſomit des ganzen Pflanzenlebens nicht genügten; die in den erſten Jahrzehnten unſeres Jahrhunderts in Verbindung mit der Naturphiloſophie ausgebildete Theorie der Lebenskraft, welcher nicht nur die Philoſophen und Phyſiologen, ſondern auch die Chemiker und Phyſiker allgemein anhingen, fand es paſſender, den Pflanzen eine myſteriöſe, vom Leben ſelbſt abſtammende Subſtanz, den ſogenannten Humus zur Ernährung darzubieten. Die nächſtliegenden Erwägungen, welche dieſe Humustheorie ſofort als widerſinnig zurückweiſen konnten, wurden überſehen und ſo den Ergebniſſen Sauſſure's zum Trotz die Ernährung der Pflanzen noch einmal, wie es bereits in den früheren Jahrhun- derten geſchehen war, ganz auf Rechnung des Bodens und der Wurzeln geſetzt; zu den Conſequenzen der mit der Lebenskraft

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Zitationshilfe: Sachs, Julius: Geschichte der Botanik. München, 1875, S. 484. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sachs_botanik_1875/496>, abgerufen am 22.11.2024.