Erste inductive Versuche und Eröffnung neuer Gesichtspuncte etc.
keine bezüglich ihrer thatsächlichen Richtigkeit kritisch genauer ge- prüft war und die Mehrzahl der physiologischen Sätze war über- haupt nicht aus Beobachtungen an Pflanzen abgeleitet, sondern aus philosophischen Principien und vorwiegend aus Analogieen mit den Thieren.
Sollte eine wissenschaftliche Behandlung der Ernährungslehre zu Stande kommen, so mußte vor Allem das Erfahrungsmaterial bereichert und kritisch behandelt werden. Es bedurfte, um hier- bei sofort auf Widersprüche gegen die alte Philosophie zu stoßen, nicht einmal schwieriger Beobachtungen oder Experimente; es ge- nügte vielmehr, die Dinge sich etwas genauer anzusehen und unbefangener aufzufassen, als es die Alten gethan hatten.
Auf diese Art kam schon Jungius dazu, einem wichtigen Punct der aristotelischen Ernährungslehre zu widersprechen. Im zweiten Fragment seiner de plantis doxoscopiae physicae minores findet sich eine Bemerkung, welche offenbar gegen den aristotelischen Satz, daß die Pflanzen ihre Nahrung völlig zube- reitet aus der Erde aufnehmen und daher auch keine Excremente von sich geben 1), gerichtet ist. Die Pflanzen, sagt Jungius in Uebereinstimmung mit Aristoteles, scheinen einer denkenden Seele (anima intelligente), welche die zuträgliche Nahrung von der unzuträglichen zu unterscheiden wüßte, nicht zu bedürfen. Ari- stoteles hatte ihnen eben deßhalb die völlig zubereitete Nahrung schon in der Erde entstehen lassen. Ganz anders faßt Jungius, gestützt auf thatsächliche Wahrnehmungen, die Sache auf. Zu- nächst sei es möglich, sagt er, daß die aufsaugenden Oeffnungen der Wurzeln so organisirt sind, daß sie nicht jede Art von Saft eintreten lassen und wer wolle sagen, daß die Pflanzen die Eigen- thümlichkeit besäßen, überhaupt nur das ihnen Nützliche anzu- ziehen, denn sie haben ebenso, wie die anderen lebenden Wesen ihre Ausscheidungen, welche durch Blätter, Blüthen und Früchte ausgehaucht werden. Zu diesen rechnet er aber auch die Harze
1) Vergl. Fragmente aristotelischer Phytologie in Meyer's Gesch. d. Bot. I. p. 120.
Erſte inductive Verſuche und Eröffnung neuer Geſichtspuncte etc.
keine bezüglich ihrer thatſächlichen Richtigkeit kritiſch genauer ge- prüft war und die Mehrzahl der phyſiologiſchen Sätze war über- haupt nicht aus Beobachtungen an Pflanzen abgeleitet, ſondern aus philoſophiſchen Principien und vorwiegend aus Analogieen mit den Thieren.
Sollte eine wiſſenſchaftliche Behandlung der Ernährungslehre zu Stande kommen, ſo mußte vor Allem das Erfahrungsmaterial bereichert und kritiſch behandelt werden. Es bedurfte, um hier- bei ſofort auf Widerſprüche gegen die alte Philoſophie zu ſtoßen, nicht einmal ſchwieriger Beobachtungen oder Experimente; es ge- nügte vielmehr, die Dinge ſich etwas genauer anzuſehen und unbefangener aufzufaſſen, als es die Alten gethan hatten.
Auf dieſe Art kam ſchon Jungius dazu, einem wichtigen Punct der ariſtoteliſchen Ernährungslehre zu widerſprechen. Im zweiten Fragment ſeiner de plantis doxoscopiae physicae minores findet ſich eine Bemerkung, welche offenbar gegen den ariſtoteliſchen Satz, daß die Pflanzen ihre Nahrung völlig zube- reitet aus der Erde aufnehmen und daher auch keine Excremente von ſich geben 1), gerichtet iſt. Die Pflanzen, ſagt Jungius in Uebereinſtimmung mit Ariſtoteles, ſcheinen einer denkenden Seele (anima intelligente), welche die zuträgliche Nahrung von der unzuträglichen zu unterſcheiden wüßte, nicht zu bedürfen. Ari- ſtoteles hatte ihnen eben deßhalb die völlig zubereitete Nahrung ſchon in der Erde entſtehen laſſen. Ganz anders faßt Jungius, geſtützt auf thatſächliche Wahrnehmungen, die Sache auf. Zu- nächſt ſei es möglich, ſagt er, daß die aufſaugenden Oeffnungen der Wurzeln ſo organiſirt ſind, daß ſie nicht jede Art von Saft eintreten laſſen und wer wolle ſagen, daß die Pflanzen die Eigen- thümlichkeit beſäßen, überhaupt nur das ihnen Nützliche anzu- ziehen, denn ſie haben ebenſo, wie die anderen lebenden Weſen ihre Ausſcheidungen, welche durch Blätter, Blüthen und Früchte ausgehaucht werden. Zu dieſen rechnet er aber auch die Harze
1) Vergl. Fragmente ariſtoteliſcher Phytologie in Meyer's Geſch. d. Bot. I. p. 120.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0503"n="491"/><fwplace="top"type="header">Erſte inductive Verſuche und Eröffnung neuer Geſichtspuncte etc.</fw><lb/>
keine bezüglich ihrer thatſächlichen Richtigkeit kritiſch genauer ge-<lb/>
prüft war und die Mehrzahl der phyſiologiſchen Sätze war über-<lb/>
haupt nicht aus Beobachtungen an Pflanzen abgeleitet, ſondern<lb/>
aus philoſophiſchen Principien und vorwiegend aus Analogieen<lb/>
mit den Thieren.</p><lb/><p>Sollte eine wiſſenſchaftliche Behandlung der Ernährungslehre<lb/>
zu Stande kommen, ſo mußte vor Allem das Erfahrungsmaterial<lb/>
bereichert und kritiſch behandelt werden. Es bedurfte, um hier-<lb/>
bei ſofort auf Widerſprüche gegen die alte Philoſophie zu ſtoßen,<lb/>
nicht einmal ſchwieriger Beobachtungen oder Experimente; es ge-<lb/>
nügte vielmehr, die Dinge ſich etwas genauer anzuſehen und<lb/>
unbefangener aufzufaſſen, als es die Alten gethan hatten.</p><lb/><p>Auf dieſe Art kam ſchon Jungius dazu, einem wichtigen<lb/>
Punct der ariſtoteliſchen Ernährungslehre zu widerſprechen. Im<lb/>
zweiten Fragment ſeiner <hirendition="#aq">de plantis doxoscopiae physicae<lb/>
minores</hi> findet ſich eine Bemerkung, welche offenbar gegen den<lb/>
ariſtoteliſchen Satz, daß die Pflanzen ihre Nahrung völlig zube-<lb/>
reitet aus der Erde aufnehmen und daher auch keine Excremente<lb/>
von ſich geben <noteplace="foot"n="1)">Vergl. Fragmente ariſtoteliſcher Phytologie in Meyer's Geſch. d.<lb/>
Bot. <hirendition="#aq">I. p.</hi> 120.</note>, gerichtet iſt. Die Pflanzen, ſagt Jungius in<lb/>
Uebereinſtimmung mit Ariſtoteles, ſcheinen einer denkenden Seele<lb/>
(<hirendition="#aq">anima intelligente</hi>), welche die zuträgliche Nahrung von der<lb/>
unzuträglichen zu unterſcheiden wüßte, nicht zu bedürfen. Ari-<lb/>ſtoteles hatte ihnen eben deßhalb die völlig zubereitete Nahrung<lb/>ſchon in der Erde entſtehen laſſen. Ganz anders faßt Jungius,<lb/>
geſtützt auf thatſächliche Wahrnehmungen, die Sache auf. Zu-<lb/>
nächſt ſei es möglich, ſagt er, daß die aufſaugenden Oeffnungen<lb/>
der Wurzeln ſo organiſirt ſind, daß ſie nicht jede Art von Saft<lb/>
eintreten laſſen und wer wolle ſagen, daß die Pflanzen die Eigen-<lb/>
thümlichkeit beſäßen, überhaupt nur das ihnen Nützliche anzu-<lb/>
ziehen, denn ſie haben ebenſo, wie die anderen lebenden Weſen<lb/>
ihre Ausſcheidungen, welche durch Blätter, Blüthen und Früchte<lb/>
ausgehaucht werden. Zu dieſen rechnet er aber auch die Harze<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[491/0503]
Erſte inductive Verſuche und Eröffnung neuer Geſichtspuncte etc.
keine bezüglich ihrer thatſächlichen Richtigkeit kritiſch genauer ge-
prüft war und die Mehrzahl der phyſiologiſchen Sätze war über-
haupt nicht aus Beobachtungen an Pflanzen abgeleitet, ſondern
aus philoſophiſchen Principien und vorwiegend aus Analogieen
mit den Thieren.
Sollte eine wiſſenſchaftliche Behandlung der Ernährungslehre
zu Stande kommen, ſo mußte vor Allem das Erfahrungsmaterial
bereichert und kritiſch behandelt werden. Es bedurfte, um hier-
bei ſofort auf Widerſprüche gegen die alte Philoſophie zu ſtoßen,
nicht einmal ſchwieriger Beobachtungen oder Experimente; es ge-
nügte vielmehr, die Dinge ſich etwas genauer anzuſehen und
unbefangener aufzufaſſen, als es die Alten gethan hatten.
Auf dieſe Art kam ſchon Jungius dazu, einem wichtigen
Punct der ariſtoteliſchen Ernährungslehre zu widerſprechen. Im
zweiten Fragment ſeiner de plantis doxoscopiae physicae
minores findet ſich eine Bemerkung, welche offenbar gegen den
ariſtoteliſchen Satz, daß die Pflanzen ihre Nahrung völlig zube-
reitet aus der Erde aufnehmen und daher auch keine Excremente
von ſich geben 1), gerichtet iſt. Die Pflanzen, ſagt Jungius in
Uebereinſtimmung mit Ariſtoteles, ſcheinen einer denkenden Seele
(anima intelligente), welche die zuträgliche Nahrung von der
unzuträglichen zu unterſcheiden wüßte, nicht zu bedürfen. Ari-
ſtoteles hatte ihnen eben deßhalb die völlig zubereitete Nahrung
ſchon in der Erde entſtehen laſſen. Ganz anders faßt Jungius,
geſtützt auf thatſächliche Wahrnehmungen, die Sache auf. Zu-
nächſt ſei es möglich, ſagt er, daß die aufſaugenden Oeffnungen
der Wurzeln ſo organiſirt ſind, daß ſie nicht jede Art von Saft
eintreten laſſen und wer wolle ſagen, daß die Pflanzen die Eigen-
thümlichkeit beſäßen, überhaupt nur das ihnen Nützliche anzu-
ziehen, denn ſie haben ebenſo, wie die anderen lebenden Weſen
ihre Ausſcheidungen, welche durch Blätter, Blüthen und Früchte
ausgehaucht werden. Zu dieſen rechnet er aber auch die Harze
1) Vergl. Fragmente ariſtoteliſcher Phytologie in Meyer's Geſch. d.
Bot. I. p. 120.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sachs, Julius: Geschichte der Botanik. München, 1875, S. 491. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sachs_botanik_1875/503>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.