und sonstigen austretenden Flüssigkeiten und endlich könne es geschehen, daß wie bei den Thieren, ein großer Theil des Saftes durch unmerkliche Ausdunstung entweiche.
Nach der Ansicht des Aristoteles war die Pflanze selbst bei ihrer Ernährung ganz passiv und unthätig; da ihr die vollkom- men zubereitete Nahrung von der Erde dargeboten wurde, so war das Wachsthum gewissermaßen ein bloßer Krystallisations- proceß ohne chemische Veränderung. Mit dem Hinweis auf die Bildung von Exkreten schrieb Jungius dagegen der Pflanze eine chemische Thätigkeit zu, und die Annahme, daß die Organisation der Wurzel schon den Eintritt gewisser Stoffe hindert, den an- derer begünstigt, räumte er der Pflanze eine Mitwirkung bei ihrer Ernährung ein, ohne daß sie dazu einer denkenden Seele be- durfte.
In noch viel schärferem Gegensatz zur aristotelischen Lehre stellte sich ein Zeitgenosse des Jungius, der Arzt und Chemiker Johann Baptist van Helmont1). Indem er die vier Elemente der- selben überhaupt verwarf, betrachtete er als einen Hauptbestandtheil aller Dinge das Wasser; namentlich ließ er aus diesem alle Bestandtheile der Vegetabilien, sowohl die verbrennlichen, wie auch die mineralischen derselben (die Asche) entstehen. Während also Aristoteles die Bestandtheile der Pflanzen schon fertig vor- gebildet durch das Wasser eingeführt werden ließ, schrieb van Helmont im Gegentheil der Pflanze die Fähigkeit zu, aus Wasser die allerverschiedensten Stoffe zu erzeugen. Es wäre nicht gerade nöthig, auf diesen, dem alchymistischen Standpunct entsprungenen Widerspruch gegen die alte Lehre hinzuweisen, wenn nicht van Helmont versucht hätte, seine Ansicht experimentell zu begründen; es kam so der erste zu wissenschaftlichem Zweck unternommene Vegetationsversuch zu Stande, von dem wir überhaupt Nachricht haben, der auch noch von viel späteren Pflanzenphysiologen
1) J. B. van Helmont geb. zu Brüssel 1577, gest. zu Villvorde bei Brüssel 1644, war einer der Hauptvertreter der Jatrochemie, über dessen Leben und Wirken Kopp (Gesch. d. Chemie 1843 I. p. 117 f. f.) ausführ- lich berichtet.
Geſchichte der Ernährungstheorie der Pflanzen.
und ſonſtigen austretenden Flüſſigkeiten und endlich könne es geſchehen, daß wie bei den Thieren, ein großer Theil des Saftes durch unmerkliche Ausdunſtung entweiche.
Nach der Anſicht des Ariſtoteles war die Pflanze ſelbſt bei ihrer Ernährung ganz paſſiv und unthätig; da ihr die vollkom- men zubereitete Nahrung von der Erde dargeboten wurde, ſo war das Wachsthum gewiſſermaßen ein bloßer Kryſtalliſations- proceß ohne chemiſche Veränderung. Mit dem Hinweis auf die Bildung von Exkreten ſchrieb Jungius dagegen der Pflanze eine chemiſche Thätigkeit zu, und die Annahme, daß die Organiſation der Wurzel ſchon den Eintritt gewiſſer Stoffe hindert, den an- derer begünſtigt, räumte er der Pflanze eine Mitwirkung bei ihrer Ernährung ein, ohne daß ſie dazu einer denkenden Seele be- durfte.
In noch viel ſchärferem Gegenſatz zur ariſtoteliſchen Lehre ſtellte ſich ein Zeitgenoſſe des Jungius, der Arzt und Chemiker Johann Baptiſt van Helmont1). Indem er die vier Elemente der- ſelben überhaupt verwarf, betrachtete er als einen Hauptbeſtandtheil aller Dinge das Waſſer; namentlich ließ er aus dieſem alle Beſtandtheile der Vegetabilien, ſowohl die verbrennlichen, wie auch die mineraliſchen derſelben (die Aſche) entſtehen. Während alſo Ariſtoteles die Beſtandtheile der Pflanzen ſchon fertig vor- gebildet durch das Waſſer eingeführt werden ließ, ſchrieb van Helmont im Gegentheil der Pflanze die Fähigkeit zu, aus Waſſer die allerverſchiedenſten Stoffe zu erzeugen. Es wäre nicht gerade nöthig, auf dieſen, dem alchymiſtiſchen Standpunct entſprungenen Widerſpruch gegen die alte Lehre hinzuweiſen, wenn nicht van Helmont verſucht hätte, ſeine Anſicht experimentell zu begründen; es kam ſo der erſte zu wiſſenſchaftlichem Zweck unternommene Vegetationsverſuch zu Stande, von dem wir überhaupt Nachricht haben, der auch noch von viel ſpäteren Pflanzenphyſiologen
1) J. B. van Helmont geb. zu Brüſſel 1577, geſt. zu Villvorde bei Brüſſel 1644, war einer der Hauptvertreter der Jatrochemie, über deſſen Leben und Wirken Kopp (Geſch. d. Chemie 1843 I. p. 117 f. f.) ausführ- lich berichtet.
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Geſchichte der Ernährungstheorie der Pflanzen.
und ſonſtigen austretenden Flüſſigkeiten und endlich könne es
geſchehen, daß wie bei den Thieren, ein großer Theil des Saftes
durch unmerkliche Ausdunſtung entweiche.
Nach der Anſicht des Ariſtoteles war die Pflanze ſelbſt bei
ihrer Ernährung ganz paſſiv und unthätig; da ihr die vollkom-
men zubereitete Nahrung von der Erde dargeboten wurde, ſo
war das Wachsthum gewiſſermaßen ein bloßer Kryſtalliſations-
proceß ohne chemiſche Veränderung. Mit dem Hinweis auf die
Bildung von Exkreten ſchrieb Jungius dagegen der Pflanze eine
chemiſche Thätigkeit zu, und die Annahme, daß die Organiſation
der Wurzel ſchon den Eintritt gewiſſer Stoffe hindert, den an-
derer begünſtigt, räumte er der Pflanze eine Mitwirkung bei ihrer
Ernährung ein, ohne daß ſie dazu einer denkenden Seele be-
durfte.
In noch viel ſchärferem Gegenſatz zur ariſtoteliſchen Lehre
ſtellte ſich ein Zeitgenoſſe des Jungius, der Arzt und Chemiker
Johann Baptiſt van Helmont 1). Indem er die vier Elemente der-
ſelben überhaupt verwarf, betrachtete er als einen Hauptbeſtandtheil
aller Dinge das Waſſer; namentlich ließ er aus dieſem alle
Beſtandtheile der Vegetabilien, ſowohl die verbrennlichen, wie
auch die mineraliſchen derſelben (die Aſche) entſtehen. Während
alſo Ariſtoteles die Beſtandtheile der Pflanzen ſchon fertig vor-
gebildet durch das Waſſer eingeführt werden ließ, ſchrieb van
Helmont im Gegentheil der Pflanze die Fähigkeit zu, aus Waſſer
die allerverſchiedenſten Stoffe zu erzeugen. Es wäre nicht gerade
nöthig, auf dieſen, dem alchymiſtiſchen Standpunct entſprungenen
Widerſpruch gegen die alte Lehre hinzuweiſen, wenn nicht van
Helmont verſucht hätte, ſeine Anſicht experimentell zu begründen;
es kam ſo der erſte zu wiſſenſchaftlichem Zweck unternommene
Vegetationsverſuch zu Stande, von dem wir überhaupt Nachricht
haben, der auch noch von viel ſpäteren Pflanzenphyſiologen
1) J. B. van Helmont geb. zu Brüſſel 1577, geſt. zu Villvorde bei
Brüſſel 1644, war einer der Hauptvertreter der Jatrochemie, über deſſen
Leben und Wirken Kopp (Geſch. d. Chemie 1843 I. p. 117 f. f.) ausführ-
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Sachs, Julius: Geschichte der Botanik. München, 1875, S. 492. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sachs_botanik_1875/504>, abgerufen am 22.11.2024.
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