Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Sachs, Julius: Geschichte der Botanik. München, 1875.

Bild:
<< vorherige Seite
der Organe von Caesalpin bis auf Linne.

Im schärfsten Gegensatz zu der naiven Empirie der deutschen
Väter der Botanik tritt Caesalpin als Denker der Pflanzen-
welt gegenüber; galt jenen die Sammlung der Einzelbeschreibungen
als Hauptaufgabe, so war dagegen für Caesalpin das empirische
Material Gegenstand ernsten Nachdenkens; er suchte vor Allem
das Allgemeine aus dem Einzelnen, das principiell Wichtige aus
dem sinnlich Gegebenen herauszufinden; indem er sich dabei aber
ganz und gar der aristotelischen Denkformen bediente, konnte
nicht fehlen, daß auch Vieles in die Thatsachen hineingedeutet
wurde, was auf inductivem Wege später wieder beseitigt werden
mußte. Aber auch dadurch trat Caesalpin in Gegensatz zu
den deutschen Botanikern des 16. Jahrhunderts, daß er sich nicht
an dem Gesamteindruck der Pflanzen genügen ließ, daß er
vielmehr die einzelnen Theile sorgfältig untersuchte, auch die
kleinen und verborgenen Organe betrachtete; bei ihm wurde die
Beobachtung zuerst zur wissenschaftlichen Forschung und so ent-
stand in ihm eine merkwürdige Verbindung von inductiver Natur-
wissenschaft mit aristotelischer Philosophie und diese ist es beson-
ders, welche den theoretischen Bestrebungen seiner Nachfolger bis
auf Linne ihre eigenthümliche Färbung verleiht.

Mit seiner philosophisch combinirenden, nach umfassenden
Gesichtspunkten suchenden Betrachtung des Pflanzenreiches war
Caesalpin übrigens seiner Zeit weit vorausgeeilt. Sein 1583
erschienenes Werk übte zunächst auf die Mitlebenden keinen wahr-
nehmbaren Einfluß aus; kaum läßt ein solcher sich bei C. Bau-
hin 30-40 Jahre später nachweisen und was nach diesem bis
gegen 1670 von Botanikern geleistet wurde, betraf überall nur
die Vermehrung der Einzelkenntniß der Pflanzen; in ihrem Interesse
wurden seit 1600 Reisen in alle Welttheile unternommen, die
Zahl der im 16. Jahrhundert noch spärlichen botanischen Gärten
mehrte sich rasch (z. B. in Gießen 1617, Paris 1620, Jena
1629, Oxford 1630, Amsterdam 1646, Utrecht 1650 u. s. w.)
statt der Universalwerke, welche das ganze Pflanzenreich zu
umfassen strebten, widmete man sich fortan mit Vorliebe der
botanischen Durchsuchung einzelner, kleinerer Gebiete; es entstan-

der Organe von Caeſalpin bis auf Linné.

Im ſchärfſten Gegenſatz zu der naiven Empirie der deutſchen
Väter der Botanik tritt Caeſalpin als Denker der Pflanzen-
welt gegenüber; galt jenen die Sammlung der Einzelbeſchreibungen
als Hauptaufgabe, ſo war dagegen für Caeſalpin das empiriſche
Material Gegenſtand ernſten Nachdenkens; er ſuchte vor Allem
das Allgemeine aus dem Einzelnen, das principiell Wichtige aus
dem ſinnlich Gegebenen herauszufinden; indem er ſich dabei aber
ganz und gar der ariſtoteliſchen Denkformen bediente, konnte
nicht fehlen, daß auch Vieles in die Thatſachen hineingedeutet
wurde, was auf inductivem Wege ſpäter wieder beſeitigt werden
mußte. Aber auch dadurch trat Caeſalpin in Gegenſatz zu
den deutſchen Botanikern des 16. Jahrhunderts, daß er ſich nicht
an dem Geſamteindruck der Pflanzen genügen ließ, daß er
vielmehr die einzelnen Theile ſorgfältig unterſuchte, auch die
kleinen und verborgenen Organe betrachtete; bei ihm wurde die
Beobachtung zuerſt zur wiſſenſchaftlichen Forſchung und ſo ent-
ſtand in ihm eine merkwürdige Verbindung von inductiver Natur-
wiſſenſchaft mit ariſtoteliſcher Philoſophie und dieſe iſt es beſon-
ders, welche den theoretiſchen Beſtrebungen ſeiner Nachfolger bis
auf Linné ihre eigenthümliche Färbung verleiht.

Mit ſeiner philoſophiſch combinirenden, nach umfaſſenden
Geſichtspunkten ſuchenden Betrachtung des Pflanzenreiches war
Caeſalpin übrigens ſeiner Zeit weit vorausgeeilt. Sein 1583
erſchienenes Werk übte zunächſt auf die Mitlebenden keinen wahr-
nehmbaren Einfluß aus; kaum läßt ein ſolcher ſich bei C. Bau-
hin 30-40 Jahre ſpäter nachweiſen und was nach dieſem bis
gegen 1670 von Botanikern geleiſtet wurde, betraf überall nur
die Vermehrung der Einzelkenntniß der Pflanzen; in ihrem Intereſſe
wurden ſeit 1600 Reiſen in alle Welttheile unternommen, die
Zahl der im 16. Jahrhundert noch ſpärlichen botaniſchen Gärten
mehrte ſich raſch (z. B. in Gießen 1617, Paris 1620, Jena
1629, Oxford 1630, Amſterdam 1646, Utrecht 1650 u. ſ. w.)
ſtatt der Univerſalwerke, welche das ganze Pflanzenreich zu
umfaſſen ſtrebten, widmete man ſich fortan mit Vorliebe der
botaniſchen Durchſuchung einzelner, kleinerer Gebiete; es entſtan-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0053" n="41"/>
          <fw place="top" type="header">der Organe von Cae&#x017F;alpin bis auf Linn<hi rendition="#aq">é.</hi></fw><lb/>
          <p>Im &#x017F;chärf&#x017F;ten Gegen&#x017F;atz zu der naiven Empirie der deut&#x017F;chen<lb/>
Väter der Botanik tritt <hi rendition="#g">Cae&#x017F;alpin</hi> als Denker der Pflanzen-<lb/>
welt gegenüber; galt jenen die Sammlung der Einzelbe&#x017F;chreibungen<lb/>
als Hauptaufgabe, &#x017F;o war dagegen für <hi rendition="#g">Cae&#x017F;alpin</hi> das empiri&#x017F;che<lb/>
Material Gegen&#x017F;tand ern&#x017F;ten Nachdenkens; er &#x017F;uchte vor Allem<lb/>
das Allgemeine aus dem Einzelnen, das principiell Wichtige aus<lb/>
dem &#x017F;innlich Gegebenen herauszufinden; indem er &#x017F;ich dabei aber<lb/>
ganz und gar der ari&#x017F;toteli&#x017F;chen Denkformen bediente, konnte<lb/>
nicht fehlen, daß auch Vieles in die That&#x017F;achen hineingedeutet<lb/>
wurde, was auf inductivem Wege &#x017F;päter wieder be&#x017F;eitigt werden<lb/>
mußte. Aber auch dadurch trat <hi rendition="#g">Cae&#x017F;alpin</hi> in Gegen&#x017F;atz zu<lb/>
den deut&#x017F;chen Botanikern des 16. Jahrhunderts, daß er &#x017F;ich nicht<lb/>
an dem Ge&#x017F;amteindruck der Pflanzen genügen ließ, daß er<lb/>
vielmehr die einzelnen Theile &#x017F;orgfältig unter&#x017F;uchte, auch die<lb/>
kleinen und verborgenen Organe betrachtete; bei ihm wurde die<lb/>
Beobachtung zuer&#x017F;t zur wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaftlichen For&#x017F;chung und &#x017F;o ent-<lb/>
&#x017F;tand in ihm eine merkwürdige Verbindung von inductiver Natur-<lb/>
wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft mit ari&#x017F;toteli&#x017F;cher Philo&#x017F;ophie und die&#x017F;e i&#x017F;t es be&#x017F;on-<lb/>
ders, welche den theoreti&#x017F;chen Be&#x017F;trebungen &#x017F;einer Nachfolger bis<lb/>
auf <hi rendition="#g">Linn<hi rendition="#aq">é</hi></hi> ihre eigenthümliche Färbung verleiht.</p><lb/>
          <p>Mit &#x017F;einer philo&#x017F;ophi&#x017F;ch combinirenden, nach umfa&#x017F;&#x017F;enden<lb/>
Ge&#x017F;ichtspunkten &#x017F;uchenden Betrachtung des Pflanzenreiches war<lb/><hi rendition="#g">Cae&#x017F;alpin</hi> übrigens &#x017F;einer Zeit weit vorausgeeilt. Sein 1583<lb/>
er&#x017F;chienenes Werk übte zunäch&#x017F;t auf die Mitlebenden keinen wahr-<lb/>
nehmbaren Einfluß aus; kaum läßt ein &#x017F;olcher &#x017F;ich bei C. <hi rendition="#g">Bau</hi>-<lb/><hi rendition="#g">hin</hi> 30-40 Jahre &#x017F;päter nachwei&#x017F;en und was nach die&#x017F;em bis<lb/>
gegen 1670 von Botanikern gelei&#x017F;tet wurde, betraf überall nur<lb/>
die Vermehrung der Einzelkenntniß der Pflanzen; in ihrem Intere&#x017F;&#x017F;e<lb/>
wurden &#x017F;eit 1600 Rei&#x017F;en in alle Welttheile unternommen, die<lb/>
Zahl der im 16. Jahrhundert noch &#x017F;pärlichen botani&#x017F;chen Gärten<lb/>
mehrte &#x017F;ich ra&#x017F;ch (z. B. in Gießen 1617, Paris 1620, Jena<lb/>
1629, Oxford 1630, Am&#x017F;terdam 1646, Utrecht 1650 u. &#x017F;. w.)<lb/>
&#x017F;tatt der Univer&#x017F;alwerke, welche das ganze Pflanzenreich zu<lb/>
umfa&#x017F;&#x017F;en &#x017F;trebten, widmete man &#x017F;ich fortan mit Vorliebe der<lb/>
botani&#x017F;chen Durch&#x017F;uchung einzelner, kleinerer Gebiete; es ent&#x017F;tan-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[41/0053] der Organe von Caeſalpin bis auf Linné. Im ſchärfſten Gegenſatz zu der naiven Empirie der deutſchen Väter der Botanik tritt Caeſalpin als Denker der Pflanzen- welt gegenüber; galt jenen die Sammlung der Einzelbeſchreibungen als Hauptaufgabe, ſo war dagegen für Caeſalpin das empiriſche Material Gegenſtand ernſten Nachdenkens; er ſuchte vor Allem das Allgemeine aus dem Einzelnen, das principiell Wichtige aus dem ſinnlich Gegebenen herauszufinden; indem er ſich dabei aber ganz und gar der ariſtoteliſchen Denkformen bediente, konnte nicht fehlen, daß auch Vieles in die Thatſachen hineingedeutet wurde, was auf inductivem Wege ſpäter wieder beſeitigt werden mußte. Aber auch dadurch trat Caeſalpin in Gegenſatz zu den deutſchen Botanikern des 16. Jahrhunderts, daß er ſich nicht an dem Geſamteindruck der Pflanzen genügen ließ, daß er vielmehr die einzelnen Theile ſorgfältig unterſuchte, auch die kleinen und verborgenen Organe betrachtete; bei ihm wurde die Beobachtung zuerſt zur wiſſenſchaftlichen Forſchung und ſo ent- ſtand in ihm eine merkwürdige Verbindung von inductiver Natur- wiſſenſchaft mit ariſtoteliſcher Philoſophie und dieſe iſt es beſon- ders, welche den theoretiſchen Beſtrebungen ſeiner Nachfolger bis auf Linné ihre eigenthümliche Färbung verleiht. Mit ſeiner philoſophiſch combinirenden, nach umfaſſenden Geſichtspunkten ſuchenden Betrachtung des Pflanzenreiches war Caeſalpin übrigens ſeiner Zeit weit vorausgeeilt. Sein 1583 erſchienenes Werk übte zunächſt auf die Mitlebenden keinen wahr- nehmbaren Einfluß aus; kaum läßt ein ſolcher ſich bei C. Bau- hin 30-40 Jahre ſpäter nachweiſen und was nach dieſem bis gegen 1670 von Botanikern geleiſtet wurde, betraf überall nur die Vermehrung der Einzelkenntniß der Pflanzen; in ihrem Intereſſe wurden ſeit 1600 Reiſen in alle Welttheile unternommen, die Zahl der im 16. Jahrhundert noch ſpärlichen botaniſchen Gärten mehrte ſich raſch (z. B. in Gießen 1617, Paris 1620, Jena 1629, Oxford 1630, Amſterdam 1646, Utrecht 1650 u. ſ. w.) ſtatt der Univerſalwerke, welche das ganze Pflanzenreich zu umfaſſen ſtrebten, widmete man ſich fortan mit Vorliebe der botaniſchen Durchſuchung einzelner, kleinerer Gebiete; es entſtan-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/sachs_botanik_1875
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/sachs_botanik_1875/53
Zitationshilfe: Sachs, Julius: Geschichte der Botanik. München, 1875, S. 41. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sachs_botanik_1875/53>, abgerufen am 22.11.2024.