Dodart, dem wir schon in der Geschichte der Ernährungslehre begegnet sind, erwarb sich das große Verdienst, zuerst 1700 diese anscheinend selbstverständliche Erscheinung sehr merkwürdig zu finden, sich zunächst durch Versuche an Keimpflanzen davon zu überzeugen, daß diese vertikalen Stellungen durch Krümmungen zu Stande kommen und sich zu fragen, was möglicher Weise die physikalische Ursache davon sein könne, daß sich Hauptwurzeln aus abnormer Lage immer nach unten, Hauptstämme nach oben krümmen, bis sie senkrecht stehen. Es war von untergeordneter Bedeutung, daß seine mechanische Erklärung ganz ungenügend ausfiel, indem er annahm, daß die Fasern der Wurzeln sich auf der feuchteren Seite zusammenziehen, die des Stammes auf derselben ausdehnen; denn viel wichtiger war, daß diese merk- würdigen Erscheinungen überhaupt zum Gegenstand wissenschaft- licher Forschung gemacht wurden und die Literatur zeigt, daß bald darauf verschiedene Naturforscher ihr Interesse derselben zu- wandten und ihren Scharfsinn an Erklärungsversuchen übten, worauf wir noch zurückkommen.
Eine noch allgemeinere Erscheinung als der vertikale Wuchs der Hauptstämme und Wurzeln ist aber das Wachsthum der Pflanzen überhaupt und sicherlich gehörte ebensoviel, ja noch größerer Forschungsgeist dazu, sich die Frage vorzulegen, ob und wie das Wachsen der Pflanzen mechanisch erklärt werden könne. Mariotte hatte schon 1679, wenn auch nur gelegentlich, diese Frage berührt und die Ausdehnung des Markes, das hieß da- mals des parenchymatischen Gewebes, als die Ursache des Wachs- thums der Pflanzentheile in Anspruch genommen; ein Gedanke, der wohl aus der aristotelischen Lehre vom Sitz der Pflanzen- seele im Mark entsprungen sein mochte, den aber Mariotte physikalisch zu begründen suchte. Viel eingehender beschäftigte sich Hales in seinen Statical essays 1727 mit Betrachtungen über das Wachsthum der Pflanzen. An den schon in der Er- nährungslehre vorgeführten Gedankengang anknüpfend, leitet Hales seine Betrachtungen über das Wachsthum mit der Be- merkung ein, daß die Pflanzen aus Schwefel, flüchtigen Salzen
Geſchichte der Phytodynamik.
Dodart, dem wir ſchon in der Geſchichte der Ernährungslehre begegnet ſind, erwarb ſich das große Verdienſt, zuerſt 1700 dieſe anſcheinend ſelbſtverſtändliche Erſcheinung ſehr merkwürdig zu finden, ſich zunächſt durch Verſuche an Keimpflanzen davon zu überzeugen, daß dieſe vertikalen Stellungen durch Krümmungen zu Stande kommen und ſich zu fragen, was möglicher Weiſe die phyſikaliſche Urſache davon ſein könne, daß ſich Hauptwurzeln aus abnormer Lage immer nach unten, Hauptſtämme nach oben krümmen, bis ſie ſenkrecht ſtehen. Es war von untergeordneter Bedeutung, daß ſeine mechaniſche Erklärung ganz ungenügend ausfiel, indem er annahm, daß die Faſern der Wurzeln ſich auf der feuchteren Seite zuſammenziehen, die des Stammes auf derſelben ausdehnen; denn viel wichtiger war, daß dieſe merk- würdigen Erſcheinungen überhaupt zum Gegenſtand wiſſenſchaft- licher Forſchung gemacht wurden und die Literatur zeigt, daß bald darauf verſchiedene Naturforſcher ihr Intereſſe derſelben zu- wandten und ihren Scharfſinn an Erklärungsverſuchen übten, worauf wir noch zurückkommen.
Eine noch allgemeinere Erſcheinung als der vertikale Wuchs der Hauptſtämme und Wurzeln iſt aber das Wachsthum der Pflanzen überhaupt und ſicherlich gehörte ebenſoviel, ja noch größerer Forſchungsgeiſt dazu, ſich die Frage vorzulegen, ob und wie das Wachſen der Pflanzen mechaniſch erklärt werden könne. Mariotte hatte ſchon 1679, wenn auch nur gelegentlich, dieſe Frage berührt und die Ausdehnung des Markes, das hieß da- mals des parenchymatiſchen Gewebes, als die Urſache des Wachs- thums der Pflanzentheile in Anſpruch genommen; ein Gedanke, der wohl aus der ariſtoteliſchen Lehre vom Sitz der Pflanzen- ſeele im Mark entſprungen ſein mochte, den aber Mariotte phyſikaliſch zu begründen ſuchte. Viel eingehender beſchäftigte ſich Hales in ſeinen Statical essays 1727 mit Betrachtungen über das Wachsthum der Pflanzen. An den ſchon in der Er- nährungslehre vorgeführten Gedankengang anknüpfend, leitet Hales ſeine Betrachtungen über das Wachsthum mit der Be- merkung ein, daß die Pflanzen aus Schwefel, flüchtigen Salzen
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Geſchichte der Phytodynamik.
Dodart, dem wir ſchon in der Geſchichte der Ernährungslehre
begegnet ſind, erwarb ſich das große Verdienſt, zuerſt 1700 dieſe
anſcheinend ſelbſtverſtändliche Erſcheinung ſehr merkwürdig zu
finden, ſich zunächſt durch Verſuche an Keimpflanzen davon zu
überzeugen, daß dieſe vertikalen Stellungen durch Krümmungen
zu Stande kommen und ſich zu fragen, was möglicher Weiſe die
phyſikaliſche Urſache davon ſein könne, daß ſich Hauptwurzeln
aus abnormer Lage immer nach unten, Hauptſtämme nach oben
krümmen, bis ſie ſenkrecht ſtehen. Es war von untergeordneter
Bedeutung, daß ſeine mechaniſche Erklärung ganz ungenügend
ausfiel, indem er annahm, daß die Faſern der Wurzeln ſich auf
der feuchteren Seite zuſammenziehen, die des Stammes auf
derſelben ausdehnen; denn viel wichtiger war, daß dieſe merk-
würdigen Erſcheinungen überhaupt zum Gegenſtand wiſſenſchaft-
licher Forſchung gemacht wurden und die Literatur zeigt, daß
bald darauf verſchiedene Naturforſcher ihr Intereſſe derſelben zu-
wandten und ihren Scharfſinn an Erklärungsverſuchen übten,
worauf wir noch zurückkommen.
Eine noch allgemeinere Erſcheinung als der vertikale Wuchs
der Hauptſtämme und Wurzeln iſt aber das Wachsthum der
Pflanzen überhaupt und ſicherlich gehörte ebenſoviel, ja noch
größerer Forſchungsgeiſt dazu, ſich die Frage vorzulegen, ob und
wie das Wachſen der Pflanzen mechaniſch erklärt werden könne.
Mariotte hatte ſchon 1679, wenn auch nur gelegentlich, dieſe
Frage berührt und die Ausdehnung des Markes, das hieß da-
mals des parenchymatiſchen Gewebes, als die Urſache des Wachs-
thums der Pflanzentheile in Anſpruch genommen; ein Gedanke,
der wohl aus der ariſtoteliſchen Lehre vom Sitz der Pflanzen-
ſeele im Mark entſprungen ſein mochte, den aber Mariotte
phyſikaliſch zu begründen ſuchte. Viel eingehender beſchäftigte
ſich Hales in ſeinen Statical essays 1727 mit Betrachtungen
über das Wachsthum der Pflanzen. An den ſchon in der Er-
nährungslehre vorgeführten Gedankengang anknüpfend, leitet
Hales ſeine Betrachtungen über das Wachsthum mit der Be-
merkung ein, daß die Pflanzen aus Schwefel, flüchtigen Salzen
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Sachs, Julius: Geschichte der Botanik. München, 1875, S. 582. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sachs_botanik_1875/594>, abgerufen am 26.06.2024.
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