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Sachs, Julius: Geschichte der Botanik. München, 1875.

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Geschichte der Phytodynamik.
die meisten Beobachter sich die Frage stellten, welcher Unterschied
zwischen täglichem und nächtlichem Wachsthum bestehe; ohne zu
überlegen, daß Tag und Nacht nicht einfache Naturkräfte sind,
sondern verschiedene und sehr variable Complicationen äußerer
Wachsthumsbedingungen: der Temperatur, Beleuchtung, Feuchtig-
keit, und daß eine solche Fragestellung unmöglich zur Auffindung
gesetzlicher Beziehungen führen kann, so lange man nicht die ein-
zelnen Faktoren kennt, welche in den Begriffen Tag und Nacht
enthalten sind. -- Die theoretisch werthvollste der genannten
Publikationen war unzweifelhaft die von Harting 1842, der
mit Entschiedenheit darauf ausging, aus seinen Messungen be-
stimmte Sätze theoretischen Inhalts zu gewinnen, namentlich die
Abhängigkeit des Wachsthums von der Temperatur auf einen
mathematischen Ausdruck zu bringen, der jedoch ungenügend genug
ausfiel. Die Voraussetzung: daß sich zwischen dem Wachsthum
und der Temperatur eine einfache arithmetische Beziehung finden
müsse, war schon von Adanson im vorigen Jahrhundert an-
geregt worden und fand ganz besonders zwischen 1840 und 1860
vielen Beifall, wobei man jedoch dem Wort Wachsthum einen
höchst allgemeinen Sinn unterlegte, indem man damit in mehr
populärer Redeweise die Gesammtheit aller Vegetationserschein-
ungen bezeichnete. Adanson hatte angenommen, die Zeit des
Ausschlagens der Knospen werde durch die Gesammtzahl der
Grade mittlerer Tageswärme bestimmt, welche vom Jahresan-
fang an gerechnet, zusammenkommen; obgleich Senebier und
später P. de Candolle sich gegen diese Beziehung ausgesprochen
hatten, gewann ein ähnlicher Gedanke nach 1840 nicht nur vielen
Anklang, sondern er wurde geradezu wie ein leicht begreifliches
Naturgesetz behandelt. Boussingault hatte nämlich darauf
hingewiesen, daß wenn man bei Culturpflanzen in Europa und
Amerika die gesammte Vegetationszeit in Tagen ausgedrückt mit
der mittleren Temperatur dieses Zeitraums multiplicirt, die er-
haltenen Producte bei derselben Pflanzenspecies nicht allzuweit
von einander abweichen. Darauf hin wurde nun angenommen,
daß diese Abweichungen nur Folge ungenauer Beobachtung seien

Geſchichte der Phytodynamik.
die meiſten Beobachter ſich die Frage ſtellten, welcher Unterſchied
zwiſchen täglichem und nächtlichem Wachsthum beſtehe; ohne zu
überlegen, daß Tag und Nacht nicht einfache Naturkräfte ſind,
ſondern verſchiedene und ſehr variable Complicationen äußerer
Wachsthumsbedingungen: der Temperatur, Beleuchtung, Feuchtig-
keit, und daß eine ſolche Frageſtellung unmöglich zur Auffindung
geſetzlicher Beziehungen führen kann, ſo lange man nicht die ein-
zelnen Faktoren kennt, welche in den Begriffen Tag und Nacht
enthalten ſind. — Die theoretiſch werthvollſte der genannten
Publikationen war unzweifelhaft die von Harting 1842, der
mit Entſchiedenheit darauf ausging, aus ſeinen Meſſungen be-
ſtimmte Sätze theoretiſchen Inhalts zu gewinnen, namentlich die
Abhängigkeit des Wachsthums von der Temperatur auf einen
mathematiſchen Ausdruck zu bringen, der jedoch ungenügend genug
ausfiel. Die Vorausſetzung: daß ſich zwiſchen dem Wachsthum
und der Temperatur eine einfache arithmetiſche Beziehung finden
müſſe, war ſchon von Adanſon im vorigen Jahrhundert an-
geregt worden und fand ganz beſonders zwiſchen 1840 und 1860
vielen Beifall, wobei man jedoch dem Wort Wachsthum einen
höchſt allgemeinen Sinn unterlegte, indem man damit in mehr
populärer Redeweiſe die Geſammtheit aller Vegetationserſchein-
ungen bezeichnete. Adanſon hatte angenommen, die Zeit des
Ausſchlagens der Knoſpen werde durch die Geſammtzahl der
Grade mittlerer Tageswärme beſtimmt, welche vom Jahresan-
fang an gerechnet, zuſammenkommen; obgleich Senebier und
ſpäter P. de Candolle ſich gegen dieſe Beziehung ausgeſprochen
hatten, gewann ein ähnlicher Gedanke nach 1840 nicht nur vielen
Anklang, ſondern er wurde geradezu wie ein leicht begreifliches
Naturgeſetz behandelt. Bouſſingault hatte nämlich darauf
hingewieſen, daß wenn man bei Culturpflanzen in Europa und
Amerika die geſammte Vegetationszeit in Tagen ausgedrückt mit
der mittleren Temperatur dieſes Zeitraums multiplicirt, die er-
haltenen Producte bei derſelben Pflanzenſpecies nicht allzuweit
von einander abweichen. Darauf hin wurde nun angenommen,
daß dieſe Abweichungen nur Folge ungenauer Beobachtung ſeien

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[606/0618] Geſchichte der Phytodynamik. die meiſten Beobachter ſich die Frage ſtellten, welcher Unterſchied zwiſchen täglichem und nächtlichem Wachsthum beſtehe; ohne zu überlegen, daß Tag und Nacht nicht einfache Naturkräfte ſind, ſondern verſchiedene und ſehr variable Complicationen äußerer Wachsthumsbedingungen: der Temperatur, Beleuchtung, Feuchtig- keit, und daß eine ſolche Frageſtellung unmöglich zur Auffindung geſetzlicher Beziehungen führen kann, ſo lange man nicht die ein- zelnen Faktoren kennt, welche in den Begriffen Tag und Nacht enthalten ſind. — Die theoretiſch werthvollſte der genannten Publikationen war unzweifelhaft die von Harting 1842, der mit Entſchiedenheit darauf ausging, aus ſeinen Meſſungen be- ſtimmte Sätze theoretiſchen Inhalts zu gewinnen, namentlich die Abhängigkeit des Wachsthums von der Temperatur auf einen mathematiſchen Ausdruck zu bringen, der jedoch ungenügend genug ausfiel. Die Vorausſetzung: daß ſich zwiſchen dem Wachsthum und der Temperatur eine einfache arithmetiſche Beziehung finden müſſe, war ſchon von Adanſon im vorigen Jahrhundert an- geregt worden und fand ganz beſonders zwiſchen 1840 und 1860 vielen Beifall, wobei man jedoch dem Wort Wachsthum einen höchſt allgemeinen Sinn unterlegte, indem man damit in mehr populärer Redeweiſe die Geſammtheit aller Vegetationserſchein- ungen bezeichnete. Adanſon hatte angenommen, die Zeit des Ausſchlagens der Knoſpen werde durch die Geſammtzahl der Grade mittlerer Tageswärme beſtimmt, welche vom Jahresan- fang an gerechnet, zuſammenkommen; obgleich Senebier und ſpäter P. de Candolle ſich gegen dieſe Beziehung ausgeſprochen hatten, gewann ein ähnlicher Gedanke nach 1840 nicht nur vielen Anklang, ſondern er wurde geradezu wie ein leicht begreifliches Naturgeſetz behandelt. Bouſſingault hatte nämlich darauf hingewieſen, daß wenn man bei Culturpflanzen in Europa und Amerika die geſammte Vegetationszeit in Tagen ausgedrückt mit der mittleren Temperatur dieſes Zeitraums multiplicirt, die er- haltenen Producte bei derſelben Pflanzenſpecies nicht allzuweit von einander abweichen. Darauf hin wurde nun angenommen, daß dieſe Abweichungen nur Folge ungenauer Beobachtung ſeien

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Zitationshilfe: Sachs, Julius: Geschichte der Botanik. München, 1875, S. 606. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sachs_botanik_1875/618>, abgerufen am 24.11.2024.