getragen, auch die Blüthenstände, ferner die oberständigen und unterständigen Blüthen, die schon Caesalpin unterschieden hatte, werden genauer betrachtet. In der Theorie des Samens lehnt sich Jungius an Caesalpin an, ohne jedoch Neues zu bieten.
Das wesentlich Auszeichnende in dieser theoretischen Botanik des Jungius und der große Fortschritt, den er dabei über Caesalpin hinaus gemacht hat, liegt darin, daß er die Mor- phologie soweit als irgend möglich unabhängig von allen physiolo- gischen Fragen behandelt, daher auch teleologische Deutungen bei ihm ganz zurücktreten. Es sind die Gestaltverhältnisse an sich, welche Jungius ins Auge faßt; die Behandlung ist dabei eine wesentlich vergleichende, das ganze ihm bekannte Pflanzenreich umfassend. Jungius hatte sicherlich von Caesalpin sehr viel gelernt: indem er sich aber wenigstens von den gröberen Verirrungen der aristotelischen Philosophie und der Scholastik frei machte, gelang es ihm, die Gestaltungsgesetze der Pflanzen viel unbefangener als jener aufzufassen. Wie ihm dabei seine mathematische Be- gabung zu Hilfe kam, ist leicht aus seinen oben angeführten, die Symmetrie der Stamm- und Blattgebilde hervorhebenden Definitonen zu entnehmen. Bis auf die Zeit, wo Schleiden und Nägeli die Entwicklungsgeschichte in die Morphologie einführten, sind tiefere und treffendere Definitionen nicht gegeben worden.
Standen Caesalpin, Caspar Bauhin und Jungius jeder in seinem Zeitalter einsam da, so beginnt dagegen in den drei letzten Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts wieder eine regere Thätigkeit gleichzeitig lebender Botaniker. Wie in diesem Zeitraum die Physik durch Newton, die Philosophie durch Locke und Leibnitz, die Anatomie und Physiologie der Pflanzen durch Malpighi und Grew einen raschen Aufschwung nahmen, so wurde auch, wenn auch keineswegs in demselben Maße und mit derselben Vertiefung, die Systematik durch Morison, Ray, Rivinus und Tournefort gefördert. Die rasch aufeinander folgenden theilweise chronologisch in einander verschränkten Arbeiten dieser Männer und ihrer minder begabten Anhänger riefen einen
Die künſtlichen Syſteme und die Nomenclatur
getragen, auch die Blüthenſtände, ferner die oberſtändigen und unterſtändigen Blüthen, die ſchon Caeſalpin unterſchieden hatte, werden genauer betrachtet. In der Theorie des Samens lehnt ſich Jungius an Caeſalpin an, ohne jedoch Neues zu bieten.
Das weſentlich Auszeichnende in dieſer theoretiſchen Botanik des Jungius und der große Fortſchritt, den er dabei über Caeſalpin hinaus gemacht hat, liegt darin, daß er die Mor- phologie ſoweit als irgend möglich unabhängig von allen phyſiolo- giſchen Fragen behandelt, daher auch teleologiſche Deutungen bei ihm ganz zurücktreten. Es ſind die Geſtaltverhältniſſe an ſich, welche Jungius ins Auge faßt; die Behandlung iſt dabei eine weſentlich vergleichende, das ganze ihm bekannte Pflanzenreich umfaſſend. Jungius hatte ſicherlich von Caeſalpin ſehr viel gelernt: indem er ſich aber wenigſtens von den gröberen Verirrungen der ariſtoteliſchen Philoſophie und der Scholaſtik frei machte, gelang es ihm, die Geſtaltungsgeſetze der Pflanzen viel unbefangener als jener aufzufaſſen. Wie ihm dabei ſeine mathematiſche Be- gabung zu Hilfe kam, iſt leicht aus ſeinen oben angeführten, die Symmetrie der Stamm- und Blattgebilde hervorhebenden Definitonen zu entnehmen. Bis auf die Zeit, wo Schleiden und Nägeli die Entwicklungsgeſchichte in die Morphologie einführten, ſind tiefere und treffendere Definitionen nicht gegeben worden.
Standen Caeſalpin, Caspar Bauhin und Jungius jeder in ſeinem Zeitalter einſam da, ſo beginnt dagegen in den drei letzten Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts wieder eine regere Thätigkeit gleichzeitig lebender Botaniker. Wie in dieſem Zeitraum die Phyſik durch Newton, die Philoſophie durch Locke und Leibnitz, die Anatomie und Phyſiologie der Pflanzen durch Malpighi und Grew einen raſchen Aufſchwung nahmen, ſo wurde auch, wenn auch keineswegs in demſelben Maße und mit derſelben Vertiefung, die Syſtematik durch Moriſon, Ray, Rivinus und Tournefort gefördert. Die raſch aufeinander folgenden theilweiſe chronologiſch in einander verſchränkten Arbeiten dieſer Männer und ihrer minder begabten Anhänger riefen einen
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0080"n="68"/><fwplace="top"type="header">Die künſtlichen Syſteme und die Nomenclatur</fw><lb/>
getragen, auch die Blüthenſtände, ferner die oberſtändigen und<lb/>
unterſtändigen Blüthen, die ſchon <hirendition="#g">Caeſalpin</hi> unterſchieden hatte,<lb/>
werden genauer betrachtet. In der Theorie des Samens lehnt<lb/>ſich <hirendition="#g">Jungius</hi> an <hirendition="#g">Caeſalpin</hi> an, ohne jedoch Neues zu<lb/>
bieten.</p><lb/><p>Das weſentlich Auszeichnende in dieſer theoretiſchen Botanik<lb/>
des <hirendition="#g">Jungius</hi> und der große Fortſchritt, den er dabei über<lb/><hirendition="#g">Caeſalpin</hi> hinaus gemacht hat, liegt darin, daß er die Mor-<lb/>
phologie ſoweit als irgend möglich unabhängig von allen phyſiolo-<lb/>
giſchen Fragen behandelt, daher auch teleologiſche Deutungen<lb/>
bei ihm ganz zurücktreten. Es ſind die Geſtaltverhältniſſe an ſich,<lb/>
welche <hirendition="#g">Jungius</hi> ins Auge faßt; die Behandlung iſt dabei eine<lb/>
weſentlich vergleichende, das ganze ihm bekannte Pflanzenreich<lb/>
umfaſſend. <hirendition="#g">Jungius</hi> hatte ſicherlich von <hirendition="#g">Caeſalpin</hi>ſehr viel<lb/>
gelernt: indem er ſich aber wenigſtens von den gröberen Verirrungen<lb/>
der ariſtoteliſchen Philoſophie und der Scholaſtik frei machte,<lb/>
gelang es ihm, die Geſtaltungsgeſetze der Pflanzen viel unbefangener<lb/>
als jener aufzufaſſen. Wie ihm dabei ſeine mathematiſche Be-<lb/>
gabung zu Hilfe kam, iſt leicht aus ſeinen oben angeführten, die<lb/>
Symmetrie der Stamm- und Blattgebilde hervorhebenden Definitonen<lb/>
zu entnehmen. Bis auf die Zeit, wo <hirendition="#g">Schleiden</hi> und <hirendition="#g">Nägeli</hi><lb/>
die Entwicklungsgeſchichte in die Morphologie einführten, ſind<lb/>
tiefere und treffendere Definitionen nicht gegeben worden.</p><lb/><p>Standen <hirendition="#g">Caeſalpin</hi>, <hirendition="#g">Caspar Bauhin</hi> und <hirendition="#g">Jungius</hi><lb/>
jeder in ſeinem Zeitalter einſam da, ſo beginnt dagegen in den<lb/>
drei letzten Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts wieder eine regere<lb/>
Thätigkeit gleichzeitig lebender Botaniker. Wie in dieſem Zeitraum<lb/>
die Phyſik durch <hirendition="#g">Newton</hi>, die Philoſophie durch <hirendition="#g">Locke</hi> und<lb/><hirendition="#g">Leibnitz</hi>, die Anatomie und Phyſiologie der Pflanzen durch<lb/><hirendition="#g">Malpighi</hi> und <hirendition="#g">Grew</hi> einen raſchen Aufſchwung nahmen, ſo<lb/>
wurde auch, wenn auch keineswegs in demſelben Maße und mit<lb/>
derſelben Vertiefung, die Syſtematik durch <hirendition="#g">Moriſon</hi>, <hirendition="#g">Ray</hi>,<lb/><hirendition="#g">Rivinus</hi> und <hirendition="#g">Tournefort</hi> gefördert. Die raſch aufeinander<lb/>
folgenden theilweiſe chronologiſch in einander verſchränkten Arbeiten<lb/>
dieſer Männer und ihrer minder begabten Anhänger riefen einen<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[68/0080]
Die künſtlichen Syſteme und die Nomenclatur
getragen, auch die Blüthenſtände, ferner die oberſtändigen und
unterſtändigen Blüthen, die ſchon Caeſalpin unterſchieden hatte,
werden genauer betrachtet. In der Theorie des Samens lehnt
ſich Jungius an Caeſalpin an, ohne jedoch Neues zu
bieten.
Das weſentlich Auszeichnende in dieſer theoretiſchen Botanik
des Jungius und der große Fortſchritt, den er dabei über
Caeſalpin hinaus gemacht hat, liegt darin, daß er die Mor-
phologie ſoweit als irgend möglich unabhängig von allen phyſiolo-
giſchen Fragen behandelt, daher auch teleologiſche Deutungen
bei ihm ganz zurücktreten. Es ſind die Geſtaltverhältniſſe an ſich,
welche Jungius ins Auge faßt; die Behandlung iſt dabei eine
weſentlich vergleichende, das ganze ihm bekannte Pflanzenreich
umfaſſend. Jungius hatte ſicherlich von Caeſalpin ſehr viel
gelernt: indem er ſich aber wenigſtens von den gröberen Verirrungen
der ariſtoteliſchen Philoſophie und der Scholaſtik frei machte,
gelang es ihm, die Geſtaltungsgeſetze der Pflanzen viel unbefangener
als jener aufzufaſſen. Wie ihm dabei ſeine mathematiſche Be-
gabung zu Hilfe kam, iſt leicht aus ſeinen oben angeführten, die
Symmetrie der Stamm- und Blattgebilde hervorhebenden Definitonen
zu entnehmen. Bis auf die Zeit, wo Schleiden und Nägeli
die Entwicklungsgeſchichte in die Morphologie einführten, ſind
tiefere und treffendere Definitionen nicht gegeben worden.
Standen Caeſalpin, Caspar Bauhin und Jungius
jeder in ſeinem Zeitalter einſam da, ſo beginnt dagegen in den
drei letzten Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts wieder eine regere
Thätigkeit gleichzeitig lebender Botaniker. Wie in dieſem Zeitraum
die Phyſik durch Newton, die Philoſophie durch Locke und
Leibnitz, die Anatomie und Phyſiologie der Pflanzen durch
Malpighi und Grew einen raſchen Aufſchwung nahmen, ſo
wurde auch, wenn auch keineswegs in demſelben Maße und mit
derſelben Vertiefung, die Syſtematik durch Moriſon, Ray,
Rivinus und Tournefort gefördert. Die raſch aufeinander
folgenden theilweiſe chronologiſch in einander verſchränkten Arbeiten
dieſer Männer und ihrer minder begabten Anhänger riefen einen
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sachs, Julius: Geschichte der Botanik. München, 1875, S. 68. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sachs_botanik_1875/80>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.