Sachs, Julius: Geschichte der Botanik. München, 1875.Vorrede. ein größeres Gewicht gelegt, wenn diese in die Entwicklungunserer Wissenschaft nachweislich befruchtend eingegriffen haben; als meine Hauptaufgabe betrachtete ich dagegen, die erste Entstehung wissenschaftlicher Gedanken aufzusuchen und ihre weitere Entwicklung zu umfassenden Theorieen zu verfolgen; hierin liegt meiner Ansicht nach die wahre Ge- schichte einer Wissenschaft. In diesem Sinne ist jedoch die Aufgabe eines Geschichtschreibers der Botanik eine sehr schwierige, da es vielfach nur mit vieler Mühe gelingt den rothen Faden des wissenschaftlichen Gedankens aus einem unglaublichen Wust empirischen Materials herauszufinden. Es war von jeher das hauptsächliche Hinderniß eines rascheren Fortschritts der Botanik, daß die Mehrzahl der Schriftsteller Thatsachen einfach zusammentrugen, ohne ihre theoretische Verwerthung genügend durchzuführen oder auch nur zu versuchen. Ich habe daher als die eigentlichen Träger unserer Geschichte diejenigen Männer in den Vor- dergrund gestellt, welche nicht bloß neue Thatsachen fest- stellten, sondern fruchtbare Gedanken schufen und das em- pirische Material theoretisch verarbeiteten. Von diesem Gesichtspunkt ausgehend habe ich übrigens nur gelegentlich hingeworfene Gedanken für nicht mehr genommen als sie ursprünglich waren; denn das wissenschaftliche Verdienst gebührt nur demjenigen, der die prinzipielle Bedeutung eines Gedankens klar erkennt und für den Fortschritt der Wissen- schaft auszubeuten sucht. Aus diesem Grunde lege ich z. B. auch nur geringen Werth auf gewisse Aeußerungen früherer Schriftsteller, welche man gegenwärtig als die ersten Begründer der Descendenztheorie hinzustellen beliebt; Vorrede. ein größeres Gewicht gelegt, wenn dieſe in die Entwicklungunſerer Wiſſenſchaft nachweislich befruchtend eingegriffen haben; als meine Hauptaufgabe betrachtete ich dagegen, die erſte Entſtehung wiſſenſchaftlicher Gedanken aufzuſuchen und ihre weitere Entwicklung zu umfaſſenden Theorieen zu verfolgen; hierin liegt meiner Anſicht nach die wahre Ge- ſchichte einer Wiſſenſchaft. In dieſem Sinne iſt jedoch die Aufgabe eines Geſchichtſchreibers der Botanik eine ſehr ſchwierige, da es vielfach nur mit vieler Mühe gelingt den rothen Faden des wiſſenſchaftlichen Gedankens aus einem unglaublichen Wuſt empiriſchen Materials herauszufinden. Es war von jeher das hauptſächliche Hinderniß eines raſcheren Fortſchritts der Botanik, daß die Mehrzahl der Schriftſteller Thatſachen einfach zuſammentrugen, ohne ihre theoretiſche Verwerthung genügend durchzuführen oder auch nur zu verſuchen. Ich habe daher als die eigentlichen Träger unſerer Geſchichte diejenigen Männer in den Vor- dergrund geſtellt, welche nicht bloß neue Thatſachen feſt- ſtellten, ſondern fruchtbare Gedanken ſchufen und das em- piriſche Material theoretiſch verarbeiteten. Von dieſem Geſichtspunkt ausgehend habe ich übrigens nur gelegentlich hingeworfene Gedanken für nicht mehr genommen als ſie urſprünglich waren; denn das wiſſenſchaftliche Verdienſt gebührt nur demjenigen, der die prinzipielle Bedeutung eines Gedankens klar erkennt und für den Fortſchritt der Wiſſen- ſchaft auszubeuten ſucht. Aus dieſem Grunde lege ich z. B. auch nur geringen Werth auf gewiſſe Aeußerungen früherer Schriftſteller, welche man gegenwärtig als die erſten Begründer der Deſcendenztheorie hinzuſtellen beliebt; <TEI> <text> <front> <div n="1"> <p><pb facs="#f0009" n="IX"/><fw place="top" type="header">Vorrede.</fw><lb/> ein größeres Gewicht gelegt, wenn dieſe in die Entwicklung<lb/> unſerer Wiſſenſchaft nachweislich befruchtend eingegriffen<lb/> haben; als meine Hauptaufgabe betrachtete ich dagegen,<lb/> die erſte Entſtehung wiſſenſchaftlicher Gedanken aufzuſuchen<lb/> und ihre weitere Entwicklung zu umfaſſenden Theorieen zu<lb/> verfolgen; hierin liegt meiner Anſicht nach die wahre Ge-<lb/> ſchichte einer Wiſſenſchaft. 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Vorrede.
ein größeres Gewicht gelegt, wenn dieſe in die Entwicklung
unſerer Wiſſenſchaft nachweislich befruchtend eingegriffen
haben; als meine Hauptaufgabe betrachtete ich dagegen,
die erſte Entſtehung wiſſenſchaftlicher Gedanken aufzuſuchen
und ihre weitere Entwicklung zu umfaſſenden Theorieen zu
verfolgen; hierin liegt meiner Anſicht nach die wahre Ge-
ſchichte einer Wiſſenſchaft. In dieſem Sinne iſt jedoch
die Aufgabe eines Geſchichtſchreibers der Botanik eine ſehr
ſchwierige, da es vielfach nur mit vieler Mühe gelingt den
rothen Faden des wiſſenſchaftlichen Gedankens aus einem
unglaublichen Wuſt empiriſchen Materials herauszufinden.
Es war von jeher das hauptſächliche Hinderniß eines
raſcheren Fortſchritts der Botanik, daß die Mehrzahl der
Schriftſteller Thatſachen einfach zuſammentrugen, ohne ihre
theoretiſche Verwerthung genügend durchzuführen oder auch
nur zu verſuchen. Ich habe daher als die eigentlichen
Träger unſerer Geſchichte diejenigen Männer in den Vor-
dergrund geſtellt, welche nicht bloß neue Thatſachen feſt-
ſtellten, ſondern fruchtbare Gedanken ſchufen und das em-
piriſche Material theoretiſch verarbeiteten. Von dieſem
Geſichtspunkt ausgehend habe ich übrigens nur gelegentlich
hingeworfene Gedanken für nicht mehr genommen als ſie
urſprünglich waren; denn das wiſſenſchaftliche Verdienſt
gebührt nur demjenigen, der die prinzipielle Bedeutung eines
Gedankens klar erkennt und für den Fortſchritt der Wiſſen-
ſchaft auszubeuten ſucht. Aus dieſem Grunde lege ich
z. B. auch nur geringen Werth auf gewiſſe Aeußerungen
früherer Schriftſteller, welche man gegenwärtig als die
erſten Begründer der Deſcendenztheorie hinzuſtellen beliebt;
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