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Sailer, Johann Michael: Kurzgefaßte Erinnerungen an junge Prediger. München, 1791.

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den, um uns durch Liebe mit dem höchsten Gute zu
vereinigen. Solche Radien sind die Kräfte, die uns
gegeben werden, alle Gesetze der Sittlichkeit zu er-
füllen; sie kommen von Gott und führen zu Ihm.
Solche Radien sind die Muster, die uns vorgehalten
sind, um uns zur vollkommensten Erfüllung der Ge-
setze zu führen -- die Liebe Gottes, die Liebe Jesu
Christi, die Liebe aller reinen Geister. Solche Radien
sind die Belohnungen oder Folgen der Heiligkeit, die
uns in der Ferne gewiesen werden, theils um den sin-
kenden Muth zu stärken, theils den Glückseligkeits-
trieb zu ordnen, theils uns zu reizen, damit wir uns
derselben fähig und würdig zu machen streben.

Wenn nun aber die Glaubenslehren und Sitten-
lehren Jesu so genau miteinander verknüpft sind: so
müssen die Bemühungen, jene entbehrlich zu machen,
auch den Zweck dieser vereiteln helfen. Ich wüsste
zwar wohl, wie die Menschen von solchen Bemühun-
gen könnten zurückgebracht werden. Aber das Mit-
tel hat so viel Unangenehmes in der blossen Darstel-
lung, dass wenige Muth genug behalten werden, an
die Anwendung desselben auch nur zu denken. Ge-
nannt
soll es indess doch werden, weil ich gerade
nichts besseres zu thun weiss, als es zu nennen. So-
bald wir darauf ausgehen, wie wir irgend eine gege-
bene Sittenregel nicht mehr bloss mit dem Kopfe be-
greifen
, sondern mit dem Herzen anfassen, und in der
That ausüben mögen; sobald uns mehr um die voll-
kommenste Beobachtung der Pflicht, als die präciseste

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den, um uns durch Liebe mit dem höchſten Gute zu
vereinigen. Solche Radien ſind die Kräfte, die uns
gegeben werden, alle Geſetze der Sittlichkeit zu er-
füllen; ſie kommen von Gott und führen zu Ihm.
Solche Radien ſind die Muſter, die uns vorgehalten
ſind, um uns zur vollkommenſten Erfüllung der Ge-
ſetze zu führen — die Liebe Gottes, die Liebe Jeſu
Chriſti, die Liebe aller reinen Geiſter. Solche Radien
ſind die Belohnungen oder Folgen der Heiligkeit, die
uns in der Ferne gewieſen werden, theils um den ſin-
kenden Muth zu ſtärken, theils den Glückſeligkeits-
trieb zu ordnen, theils uns zu reizen, damit wir uns
derſelben fähig und würdig zu machen ſtreben.

Wenn nun aber die Glaubenslehren und Sitten-
lehren Jeſu ſo genau miteinander verknüpft ſind: ſo
müſſen die Bemühungen, jene entbehrlich zu machen,
auch den Zweck dieſer vereiteln helfen. Ich wüſste
zwar wohl, wie die Menſchen von ſolchen Bemühun-
gen könnten zurückgebracht werden. Aber das Mit-
tel hat ſo viel Unangenehmes in der bloſſen Darſtel-
lung, daſs wenige Muth genug behalten werden, an
die Anwendung deſſelben auch nur zu denken. Ge-
nannt
ſoll es indeſs doch werden, weil ich gerade
nichts beſſeres zu thun weiſs, als es zu nennen. So-
bald wir darauf ausgehen, wie wir irgend eine gege-
bene Sittenregel nicht mehr bloſs mit dem Kopfe be-
greifen
, ſondern mit dem Herzen anfaſſen, und in der
That ausüben mögen; ſobald uns mehr um die voll-
kommenſte Beobachtung der Pflicht, als die präciſeſte

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[89/0103] den, um uns durch Liebe mit dem höchſten Gute zu vereinigen. Solche Radien ſind die Kräfte, die uns gegeben werden, alle Geſetze der Sittlichkeit zu er- füllen; ſie kommen von Gott und führen zu Ihm. Solche Radien ſind die Muſter, die uns vorgehalten ſind, um uns zur vollkommenſten Erfüllung der Ge- ſetze zu führen — die Liebe Gottes, die Liebe Jeſu Chriſti, die Liebe aller reinen Geiſter. Solche Radien ſind die Belohnungen oder Folgen der Heiligkeit, die uns in der Ferne gewieſen werden, theils um den ſin- kenden Muth zu ſtärken, theils den Glückſeligkeits- trieb zu ordnen, theils uns zu reizen, damit wir uns derſelben fähig und würdig zu machen ſtreben. Wenn nun aber die Glaubenslehren und Sitten- lehren Jeſu ſo genau miteinander verknüpft ſind: ſo müſſen die Bemühungen, jene entbehrlich zu machen, auch den Zweck dieſer vereiteln helfen. Ich wüſste zwar wohl, wie die Menſchen von ſolchen Bemühun- gen könnten zurückgebracht werden. Aber das Mit- tel hat ſo viel Unangenehmes in der bloſſen Darſtel- lung, daſs wenige Muth genug behalten werden, an die Anwendung deſſelben auch nur zu denken. Ge- nannt ſoll es indeſs doch werden, weil ich gerade nichts beſſeres zu thun weiſs, als es zu nennen. So- bald wir darauf ausgehen, wie wir irgend eine gege- bene Sittenregel nicht mehr bloſs mit dem Kopfe be- greifen, ſondern mit dem Herzen anfaſſen, und in der That ausüben mögen; ſobald uns mehr um die voll- kommenſte Beobachtung der Pflicht, als die präciſeſte Defini- F 5

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Zitationshilfe: Sailer, Johann Michael: Kurzgefaßte Erinnerungen an junge Prediger. München, 1791, S. 89. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sailer_prediger_1791/103>, abgerufen am 21.11.2024.