Sailer, Johann Michael: Kurzgefaßte Erinnerungen an junge Prediger. München, 1791.Das letzte Requisit: Die Wahrheit, die der "Aber, wie kann religiöse Wahrheit mein Ei- II. (*) Ich lege die Gedanken dieses grossen und weisen Mannes
über Beredsamkeit, die ich aus seiner Lebensgeschichte übersetzt habe, am Ende dieses Abschnittes bey. Er soll noch wirken, da er nicht mehr pilgert. Das letzte Requiſit: Die Wahrheit, die der „Aber, wie kann religiöſe Wahrheit mein Ei- II. (*) Ich lege die Gedanken dieſes groſſen und weiſen Mannes
über Beredſamkeit, die ich aus ſeiner Lebensgeſchichte überſetzt habe, am Ende dieſes Abſchnittes bey. Er ſoll noch wirken, da er nicht mehr pilgert. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0032" n="18"/> <p>Das <hi rendition="#i"><hi rendition="#g">letzte Requiſit</hi>: Die Wahrheit, die der<lb/> Prediger lehrt, ſey ihm wie zum Eigenthum geworden.<lb/> und aus dem Eigenthum hervorgedrungen</hi>, fehlt wohl<lb/> den meiſten Predigten: darum ſind ſie auch ſo <choice><sic>kraſtlos</sic><corr>kraftlos</corr></choice>,<lb/> oder wirken wenigſt nicht, was Predigten wirken<lb/> könnten. Wenn der Maler in der Stunde der Begeiſte-<lb/> rung von ſeinem Gegenſtande ſpricht: ſo exiſtirt er <hi rendition="#i">in<lb/> ihm</hi>, und der Mund überflieſst nur von dem, wovon<lb/> ſeine Seele voll iſt. Er denkt nicht an <hi rendition="#i">ſich</hi> und nicht<lb/> an ſeine <hi rendition="#i">Zuhörer</hi>, denn er lebt nur in <hi rendition="#i">ſeinem</hi> Fache, und<lb/> worinn er lebt, daraus und davon ſpricht er nur. Der<lb/> Verſtand <hi rendition="#i">ſieht’s</hi>, und das Herz <hi rendition="#i">empfindt’s</hi>, was die <hi rendition="#i">Zun-<lb/> ge</hi> ausſpricht. Es iſt ihm nicht <hi rendition="#i">fremde</hi>, nicht <hi rendition="#i">ferne</hi>, was<lb/> er ſagt, es iſt <hi rendition="#i">ſein</hi>, iſt eins mit ihm, und er ſpricht aus<lb/> dem Seinen. Dieſer Maler iſt der rechte Prediger. <hi rendition="#i">Il<lb/> penſe, il ſent, & la parole ſuit</hi>, ſagt Fenelon <note place="foot" n="(*)">Ich lege die Gedanken dieſes groſſen und weiſen Mannes<lb/> über Beredſamkeit, die ich aus ſeiner Lebensgeſchichte<lb/> überſetzt habe, am Ende dieſes Abſchnittes bey. Er ſoll<lb/> noch wirken, da er nicht mehr <hi rendition="#i">pilgert</hi>.</note> von<lb/> ihm, und wuſste es aus Erfahrung, was er ſagte. Die<lb/> Predigt muſs alſo kein <hi rendition="#i"><hi rendition="#g">Kunſtgemächte</hi></hi>, ſondern nur<lb/> aus der innern <hi rendition="#i"><hi rendition="#g">Anſchauung</hi></hi> der Wahrheit, und aus<lb/> der <hi rendition="#i"><hi rendition="#g">lebendigen Empfindung</hi></hi> gebohren ſeyn.<lb/> Die Predigt muſs kein Ausguſs einer fremden Seele,<lb/> ſondern ein Ausguſs der deinen ſeyn.</p><lb/> <p>„Aber, <hi rendition="#i"><hi rendition="#g">wie</hi></hi> kann religiöſe Wahrheit mein Ei-<lb/> genthum werden?“ Dieſe Frage iſt meinen Leſern<lb/> gewiſs aus ihrer Seele geholt: möchte es auch die Ant-<lb/> wort ſeyn!</p> </div><lb/> <fw place="bottom" type="catch">II.</fw><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [18/0032]
Das letzte Requiſit: Die Wahrheit, die der
Prediger lehrt, ſey ihm wie zum Eigenthum geworden.
und aus dem Eigenthum hervorgedrungen, fehlt wohl
den meiſten Predigten: darum ſind ſie auch ſo kraftlos,
oder wirken wenigſt nicht, was Predigten wirken
könnten. Wenn der Maler in der Stunde der Begeiſte-
rung von ſeinem Gegenſtande ſpricht: ſo exiſtirt er in
ihm, und der Mund überflieſst nur von dem, wovon
ſeine Seele voll iſt. Er denkt nicht an ſich und nicht
an ſeine Zuhörer, denn er lebt nur in ſeinem Fache, und
worinn er lebt, daraus und davon ſpricht er nur. Der
Verſtand ſieht’s, und das Herz empfindt’s, was die Zun-
ge ausſpricht. Es iſt ihm nicht fremde, nicht ferne, was
er ſagt, es iſt ſein, iſt eins mit ihm, und er ſpricht aus
dem Seinen. Dieſer Maler iſt der rechte Prediger. Il
penſe, il ſent, & la parole ſuit, ſagt Fenelon (*) von
ihm, und wuſste es aus Erfahrung, was er ſagte. Die
Predigt muſs alſo kein Kunſtgemächte, ſondern nur
aus der innern Anſchauung der Wahrheit, und aus
der lebendigen Empfindung gebohren ſeyn.
Die Predigt muſs kein Ausguſs einer fremden Seele,
ſondern ein Ausguſs der deinen ſeyn.
„Aber, wie kann religiöſe Wahrheit mein Ei-
genthum werden?“ Dieſe Frage iſt meinen Leſern
gewiſs aus ihrer Seele geholt: möchte es auch die Ant-
wort ſeyn!
II.
(*) Ich lege die Gedanken dieſes groſſen und weiſen Mannes
über Beredſamkeit, die ich aus ſeiner Lebensgeſchichte
überſetzt habe, am Ende dieſes Abſchnittes bey. Er ſoll
noch wirken, da er nicht mehr pilgert.
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