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Sailer, Johann Michael: Kurzgefaßte Erinnerungen an junge Prediger. München, 1791.

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chen lehrt die Schule und die Uebung: predigen lehrt
nur das Herz, das die Wahrheit der Lehre und die Hei-
ligkeit des Lebens über alles liebt, und die Eigenliebe
bereits unterdrückt hat, um die Wahrheit und Heilig-
keit
über alles lieben zu können.

Daher der grosse Unterschied zwischen Rede-
kunst
und Predigt, zwischen Beredsamkeit des Marktes
und Beredsamkeit der Kirche. Eine Rede für Milo, die
alle Jahrhunderte als ein Muster der bürgerlichen Be-
redsamkeit ansehen, kann der Redner Cicero halten.
Aber predigen, das heisst, eine Rede für das Gute hal-
ten, die die Bösen rührt, und die Kalten erwärmt, und
beyde zum Gutwerden mächtig treibt, kann nur der
Gute, oder wer auf dem rechten Wege ist, es zu wer-
den. Um den Mörder Milo zu vertheidigen, darf man
nur des Milo Freund seyn: aber um das Gute von gan-
zem Herzen zu empfehlen, muss man des Guten
Freund seyn, und das wird man durch Lesen, Schrei-
ben, Aufsätze machen -- nicht.

Daher endlich der grosse Unterschied zwischen
dem Prediger und dem Schauspieler. Dieser darf hie
und da den Guten nur spielen, jener muss selbst gut seyn;
dieser muss sich in die Lage eines andern Menschen hin-
einsetzen können, jener selbst der andere Mensch seyn,
in den er seine Hörer umschaffen will.

Kurz: je natürlicher, desto besser, und natür-
lich
wird uns "die Rede von dem Guten" nicht, bis
wir selbst gut sind, und aus dem Guten reden, und
das verfliegende Lob der Tugend durch ein bleibendes

Gemäl-
C

chen lehrt die Schule und die Uebung: predigen lehrt
nur das Herz, das die Wahrheit der Lehre und die Hei-
ligkeit des Lebens über alles liebt, und die Eigenliebe
bereits unterdrückt hat, um die Wahrheit und Heilig-
keit
über alles lieben zu können.

Daher der groſſe Unterſchied zwiſchen Rede-
kunſt
und Predigt, zwiſchen Beredſamkeit des Marktes
und Beredſamkeit der Kirche. Eine Rede für Milo, die
alle Jahrhunderte als ein Muſter der bürgerlichen Be-
redſamkeit anſehen, kann der Redner Cicero halten.
Aber predigen, das heiſst, eine Rede für das Gute hal-
ten, die die Böſen rührt, und die Kalten erwärmt, und
beyde zum Gutwerden mächtig treibt, kann nur der
Gute, oder wer auf dem rechten Wege iſt, es zu wer-
den. Um den Mörder Milo zu vertheidigen, darf man
nur des Milo Freund ſeyn: aber um das Gute von gan-
zem Herzen zu empfehlen, muſs man des Guten
Freund ſeyn, und das wird man durch Leſen, Schrei-
ben, Aufſätze machen — nicht.

Daher endlich der groſſe Unterſchied zwiſchen
dem Prediger und dem Schauſpieler. Dieſer darf hie
und da den Guten nur ſpielen, jener muſs ſelbſt gut ſeyn;
dieſer muſs ſich in die Lage eines andern Menſchen hin-
einſetzen können, jener ſelbſt der andere Menſch ſeyn,
in den er ſeine Hörer umſchaffen will.

Kurz: je natürlicher, deſto beſſer, und natür-
lich
wird uns „die Rede von dem Guten“ nicht, bis
wir ſelbſt gut ſind, und aus dem Guten reden, und
das verfliegende Lob der Tugend durch ein bleibendes

Gemäl-
C
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[33/0047] chen lehrt die Schule und die Uebung: predigen lehrt nur das Herz, das die Wahrheit der Lehre und die Hei- ligkeit des Lebens über alles liebt, und die Eigenliebe bereits unterdrückt hat, um die Wahrheit und Heilig- keit über alles lieben zu können. Daher der groſſe Unterſchied zwiſchen Rede- kunſt und Predigt, zwiſchen Beredſamkeit des Marktes und Beredſamkeit der Kirche. Eine Rede für Milo, die alle Jahrhunderte als ein Muſter der bürgerlichen Be- redſamkeit anſehen, kann der Redner Cicero halten. Aber predigen, das heiſst, eine Rede für das Gute hal- ten, die die Böſen rührt, und die Kalten erwärmt, und beyde zum Gutwerden mächtig treibt, kann nur der Gute, oder wer auf dem rechten Wege iſt, es zu wer- den. Um den Mörder Milo zu vertheidigen, darf man nur des Milo Freund ſeyn: aber um das Gute von gan- zem Herzen zu empfehlen, muſs man des Guten Freund ſeyn, und das wird man durch Leſen, Schrei- ben, Aufſätze machen — nicht. Daher endlich der groſſe Unterſchied zwiſchen dem Prediger und dem Schauſpieler. Dieſer darf hie und da den Guten nur ſpielen, jener muſs ſelbſt gut ſeyn; dieſer muſs ſich in die Lage eines andern Menſchen hin- einſetzen können, jener ſelbſt der andere Menſch ſeyn, in den er ſeine Hörer umſchaffen will. Kurz: je natürlicher, deſto beſſer, und natür- lich wird uns „die Rede von dem Guten“ nicht, bis wir ſelbſt gut ſind, und aus dem Guten reden, und das verfliegende Lob der Tugend durch ein bleibendes Gemäl- C

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Zitationshilfe: Sailer, Johann Michael: Kurzgefaßte Erinnerungen an junge Prediger. München, 1791, S. 33. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sailer_prediger_1791/47>, abgerufen am 21.11.2024.