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Sailer, Johann Michael: Kurzgefaßte Erinnerungen an junge Prediger. München, 1791.

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Um also den Menschen zu bessern, so begnüge
dich nicht, dass du seinen Verstand belehrest, über-
zeugest, sondern suche auch sein Herz zu rühren; und
um sein Herz zu rühren: so sey zuerst das deine ge-
rührt; damit aber das deine gerührt -- von der Wahr-
heit durchdrungen und beseelet werde: so predige zu-
erst dir selbst, und wage es nicht den Mund aufzuthun,
bis du auf dem Wege, gut und heilig zu werden, eine
schöne, grosse Strecke vorausgewandelt hast.

So ist es nun klar, dass der Prediger nicht nur
ein frommer Mann, d. h. im Guten gegründet und ge-
übet seyn soll, um zu lehren, was er soll, sondern
auch um zu lehren, wie er soll. (*)

Daher denn auch der grosse Unterschied zwi-
schen Aufsätze machen und Predigen. Aufsätze ma-

chen
(*) Dadurch wird aber schon gar nicht geläugnet, dass auch
böse Menschen Wahrheit sagen können. Es kann aller-
dings auch der Strassenräuber Menschenliebe, der Harpax
Freygebigkeit, und ein Wollustthier Keuschheit empfehlen.
Christus sagt es ja deutlich: "Alles, was die Schriftgelehr-
ten und Pharisäer, auf dem Stuhl Mosis sitzend -- lehren,
das soll man thun, aber nach ihren Werken soll man nicht
thun."
Matth. XXIII. 2. 3. Allein, das bleibt doch auch
unumstösslich wahr: wenn der Strassenräuber Menschen-
liebe, und der Harpax Freygebigkeit, und das Wollust-
thier Keuschheit empfehlen: so wird die Wahrheit, die sie
in den Mund nehmen, in ihrem Mund entweiht, und kann
nicht wirken, was sie von edlen, freygebigen, reinen
Menschen ausgesprochen -- wirken muss. Denn sie ver-
stehen
selbst nicht, was sie lehren; und können nicht mit
Kraft verkünden, was an ihnen keine bewiesen hat.
Diess ist die Sache.

Um alſo den Menſchen zu beſſern, ſo begnüge
dich nicht, daſs du ſeinen Verſtand belehreſt, über-
zeugeſt, ſondern ſuche auch ſein Herz zu rühren; und
um ſein Herz zu rühren: ſo ſey zuerſt das deine ge-
rührt; damit aber das deine gerührt — von der Wahr-
heit durchdrungen und beſeelet werde: ſo predige zu-
erſt dir ſelbſt, und wage es nicht den Mund aufzuthun,
bis du auf dem Wege, gut und heilig zu werden, eine
ſchöne, groſſe Strecke vorausgewandelt haſt.

So iſt es nun klar, daſs der Prediger nicht nur
ein frommer Mann, d. h. im Guten gegründet und ge-
übet ſeyn ſoll, um zu lehren, was er ſoll, ſondern
auch um zu lehren, wie er ſoll. (*)

Daher denn auch der groſſe Unterſchied zwi-
ſchen Aufſätze machen und Predigen. Aufſätze ma-

chen
(*) Dadurch wird aber ſchon gar nicht geläugnet, daſs auch
böſe Menſchen Wahrheit ſagen können. Es kann aller-
dings auch der Straſſenräuber Menſchenliebe, der Harpax
Freygebigkeit, und ein Wolluſtthier Keuſchheit empfehlen.
Chriſtus ſagt es ja deutlich: „Alles, was die Schriftgelehr-
ten und Phariſäer, auf dem Stuhl Moſis ſitzend -- lehren,
das ſoll man thun, aber nach ihren Werken ſoll man nicht
thun.“
Matth. XXIII. 2. 3. Allein, das bleibt doch auch
unumſtöſslich wahr: wenn der Straſſenräuber Menſchen-
liebe, und der Harpax Freygebigkeit, und das Wolluſt-
thier Keuſchheit empfehlen: ſo wird die Wahrheit, die ſie
in den Mund nehmen, in ihrem Mund entweiht, und kann
nicht wirken, was ſie von edlen, freygebigen, reinen
Menſchen ausgeſprochen -- wirken muſs. Denn ſie ver-
ſtehen
ſelbſt nicht, was ſie lehren; und können nicht mit
Kraft verkünden, was an ihnen keine bewieſen hat.
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[32/0046] Um alſo den Menſchen zu beſſern, ſo begnüge dich nicht, daſs du ſeinen Verſtand belehreſt, über- zeugeſt, ſondern ſuche auch ſein Herz zu rühren; und um ſein Herz zu rühren: ſo ſey zuerſt das deine ge- rührt; damit aber das deine gerührt — von der Wahr- heit durchdrungen und beſeelet werde: ſo predige zu- erſt dir ſelbſt, und wage es nicht den Mund aufzuthun, bis du auf dem Wege, gut und heilig zu werden, eine ſchöne, groſſe Strecke vorausgewandelt haſt. So iſt es nun klar, daſs der Prediger nicht nur ein frommer Mann, d. h. im Guten gegründet und ge- übet ſeyn ſoll, um zu lehren, was er ſoll, ſondern auch um zu lehren, wie er ſoll. (*) Daher denn auch der groſſe Unterſchied zwi- ſchen Aufſätze machen und Predigen. Aufſätze ma- chen (*) Dadurch wird aber ſchon gar nicht geläugnet, daſs auch böſe Menſchen Wahrheit ſagen können. Es kann aller- dings auch der Straſſenräuber Menſchenliebe, der Harpax Freygebigkeit, und ein Wolluſtthier Keuſchheit empfehlen. Chriſtus ſagt es ja deutlich: „Alles, was die Schriftgelehr- ten und Phariſäer, auf dem Stuhl Moſis ſitzend -- lehren, das ſoll man thun, aber nach ihren Werken ſoll man nicht thun.“ Matth. XXIII. 2. 3. Allein, das bleibt doch auch unumſtöſslich wahr: wenn der Straſſenräuber Menſchen- liebe, und der Harpax Freygebigkeit, und das Wolluſt- thier Keuſchheit empfehlen: ſo wird die Wahrheit, die ſie in den Mund nehmen, in ihrem Mund entweiht, und kann nicht wirken, was ſie von edlen, freygebigen, reinen Menſchen ausgeſprochen -- wirken muſs. Denn ſie ver- ſtehen ſelbſt nicht, was ſie lehren; und können nicht mit Kraft verkünden, was an ihnen keine bewieſen hat. Dieſs iſt die Sache.

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Zitationshilfe: Sailer, Johann Michael: Kurzgefaßte Erinnerungen an junge Prediger. München, 1791, S. 32. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sailer_prediger_1791/46>, abgerufen am 23.11.2024.